Positivismusstreit -Klärung verschiedener Begriffe

Guten Tag,
Wäre schön, wenn ihr mir helfen könntet ein wenig Klarheit bezüglich dieses Thema zu gewinnen…
bzw. bezüglich der mit diesem Thema zusammenhängenden Fragen und Begriffe:
(es geht im Folgenden wohl vor allem um die Unterschiede, wie Erkenntnisse im wissensch.Sinne
gewonnen werden können)

  1. Was ist Positivismus?
    -> Nach meinem Verständnis impliziert dieser Begriff die Meinung, dass Erkenntnisse nur aufgrund von empirischen Untersuchungen erlangt werden dürfen/sollen. Solches aus der Erfahrung gründende Wissen kann nach expliziter emp. Prüfung auch als absolutes, wahres Wissen betrachtet werden: eine Verifizierung von Aussagen/Theorien ist somit prinzipiell möglich - mithin auch die Akkumulation von Wahrheit und der Fortschritt der Wissenschaft.

  2. Unterschied Positivismus/kritischer Rationalismus?
    -> Nach Popper müssen empirische wissensch. Systeme(Theorien) an der Erfahrung scheitern können - sie müssen also in der Praxis prüfbar sein, um sie gegebenenfalls falsifizieren zu können. Etwas abs. Wahres gibt es zwar, für den Menschen ist sie aber aufgrund seiner Begrenztheit nur bedingt ersichtlich. Falsifizierung statt Verifizierung! Ferner werden metaphysische Aussagen durch den kritischen Rationalismus nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern eher als nützliche Quellen für neue Theorien gesehen. (evtl. ergibt sich zu späterem Zeitpunkt die Möglichkeit der empirischen Überprüfung)
    Ein Fortschritt der Wissensch. ist also auch möglich - allmähliche Annäherung an Wahrheit.

  3. Relativismus
    -> Wahrheit ist immer relativ. Linearer Fortschritt in der Wissensch. ist nicht vorhanden.
    Mithin gibt es auch kein bestimmtes Ziel in der Wissenschaft / keine Wahrheitsakkumul.
    Theorien werden aber solange als gültig betrachtet, bis sie falsifiziert werden.

  4. kritische Theorie / Frankfurter Schule
    -> Stärkere Abgrenzung vom Positivismus… Inwiefern … ?
    Die Abgrenzung zum Positivismus und kritischen Rationalismus ist mir nicht wirklich klar. Wird hier nicht soviel Wert auf die empirische Überprüfbarkeit gelegt?

Hoffe meine Ausführungen sind nicht allzu verworren; )
Würde die genauen Unterschiede der Begriffe aber wirklich gern verstehen … also schon einmal danke für jedweden Kommentar; )

mfg
mauredo

Positivismus und andere Theorien
Hi Mauredo.

  1. Was ist Positivismus?
    -> Nach meinem Verständnis impliziert dieser Begriff die
    Meinung, dass Erkenntnisse nur aufgrund von empirischen
    Untersuchungen erlangt werden dürfen/sollen.

Etwas genauer: aufgrund der Untersuchung und Interpretation empirischer Daten via Sinnesorgane und Messinstrumente. Als real gelten nur Dinge, die sinnlich wahrnehmbar bzw. messbar sind. Aussagen über Transzendentes werden als unwissenschaftlich abgelehnt.

Solches aus der
Erfahrung gründende Wissen kann nach expliziter emp. Prüfung
auch als absolutes, wahres Wissen betrachtet werden: eine
Verifizierung von Aussagen/Theorien ist somit prinzipiell
möglich - mithin auch die Akkumulation von Wahrheit und der
Fortschritt der Wissenschaft.

Das gilt zunächst auch für den reinen Empirismus, der das Materielle bzw. die Außenwelt als real ansieht. Im Positivismus neigt man zu einer differenzierenden Zwischenstellung zwischen empirischem Materialismus und Transzendentalismus (damit meine ich die Position, dass es eine transzendente Realität gibt, gleich ob erkennbar oder nicht). Der Positivist hält sich zwar strikt an die Daten, behauptet aber nicht, dass es jenseits davon, in der Transzendenz, gar nicht gäbe. Er lässt diese Frage einfach offen, da sie wissenschaftlich nicht entscheidbar ist.

  1. Unterschied Positivismus/kritischer Rationalismus?
    -> Nach Popper müssen empirische wissensch. Systeme(Theorien)
    an der Erfahrung scheitern können - sie müssen also in
    der Praxis prüfbar sein, um sie gegebenenfalls falsifizieren
    zu können. Etwas abs. Wahres gibt es zwar, für den Menschen
    ist sie aber aufgrund seiner Begrenztheit nur bedingt
    ersichtlich.

Dem „positiv“ gestimmten Positivismus stellt Popper seine wahrheitsskeptischen Falsifikationismus entgegen, ohne aber, wie du richtig sagst, absolute Wahrheiten grundsätzlich zu leugnen. Was er leugnet, ist die Beweisbarkeit von Wahrheit. „Absolut“ ist nur die Falschheit einer Aussage, nämlich dann, wenn sie empirisch widerlegt wurde (ein einziger Fall reicht aus). Das induktive Prinzip dagegen - die Kette von Bestätigungen einer Hypothese - vermag nichts über deren Wahrheit auszusagen. Es gibt also keine Verifikation.

Ein Fortschritt der Wissensch. ist also auch möglich -
allmähliche Annäherung an Wahrheit.

Das bleibt im Popperschen Kontext aber eine Leerformel - eben da man nie verifizieren kann, ob etwas absolut wahr ist oder nicht.

  1. Relativismus
    -> Wahrheit ist immer relativ. Linearer Fortschritt in der
    Wissensch. ist nicht vorhanden.
    Mithin gibt es auch kein bestimmtes Ziel in der Wissenschaft /
    keine Wahrheitsakkumul.
    Theorien werden aber solange als gültig betrachtet, bis sie
    falsifiziert werden.

Der Relativismus ist ein weitverbreitetes Übel, das für seine Gegner aber den Vorteil hat, leicht widerlegbar zu sein. Sein „performativer Selbstwiderspruch“ (Apel) ist sein selbstgeschaufeltes Grab, wobei dieses Argument von den Relativisten (natürlich) als unzulässige Rhetorik abgelehnt wird.

  1. kritische Theorie / Frankfurter Schule
    -> Stärkere Abgrenzung vom Positivismus… Inwiefern … ?
    Die Abgrenzung zum Positivismus und kritischen Rationalismus
    ist mir nicht wirklich klar. Wird hier nicht soviel Wert auf
    die empirische Überprüfbarkeit gelegt?

Im Postivismustreit ging es im wesentlichen um die Frage, ob eine rationale (sozial-)wissenschaftliche Untersuchung gesellschaftlicher Totalitäten möglich ist oder nicht. Popper hielt dagegen und entsprechende Versuche für sehr bedenklich. Die Frankfurter dagegen beharrten auf der Analyse des gesamtgesellschaftlichen Kontextes, da nur so die Ursachen sozialer Probleme erkannt werden können. Für sie doktorte der (sozialwissenschaftliche) Ansatz Poppers nur an Symptomen herum.

Gruß

Horst

Hallo!

  1. kritische Theorie / Frankfurter Schule
    -> Stärkere Abgrenzung vom Positivismus… Inwiefern … ?
    Die Abgrenzung zum Positivismus und kritischen Rationalismus
    ist mir nicht wirklich klar. Wird hier nicht soviel Wert auf
    die empirische Überprüfbarkeit gelegt?

Adornos zugespitzteste Erwiderung auf solchen Verdacht, die Kritischen Theoretiker würden weniger Wert auf die Empirie legen:

Uns lockt es, die Erfahrung gegen den Empirismus [womit er auch Popper und den ‚Positivismus‘ meint] zu verteidigen, einen minder eingeschränkten, minder engen und verdinglichten Begriff von Erfahrung der Wissenschaft zuzubringen. Ziel der Kontroverse ist nicht ein Ja oder Nein zur Empirie, sondern die Interpretation von Empirie selber, zumal der sogenannten empirischen Methoden; Solche Interpretation ist philosophisch bei uns nicht weniger als bei den Empiristen.

Es geht erstens der Kritischen Theorie also nicht darum, sich weniger auf Empirie zu stützen, sondern darum, sich auf eine nicht-verdinglichte, nicht-mystifizierte, Empirie zu stützen.

Zum zweiten geht es den Kritischen Theoretikern darum zu zeigen, dass alle Forschung Interpretation von Daten, von ‚Gegebenem‘ ist.
Wenn also die Dinge nicht ‚selbst sprechen‘, dann ist der Interpretand der Forschungsdaten ein Teil der Forschung selbst.
Selbstreflektion des Forschers wird damit ein unverzichtbarer Bestandteil der Reflektion über das Forschungsobjekt.
Da der Forscher aber selbst wiederum Teil des gesamtgesellschaftlichen Gefüges ist, ist auch die Gesellschaftsanalyse, bzw. das Wissen von der Situiertheit der Forschungsergebnisse in ihrem gesellschaftlichen Rahmen, unverzichtbar.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð € _

Hallo Mauredo,

bist du zufällig Psy-Fernstudent? :smile:

Gruß
Miriam