Hallo Verena,
Ich studiere Soziale Arbeit. Neulich hatten wir den
„Positivismusstreit“?
Einigermaßen unverständlich, weil dieser Streit selbst eigentlich eine olle Kamelle ist; bestimmte Positionen daraus aber sind selbstverständlich noch heute aktuell, kreisen aber heute nicht mehr um eine Chimäre namens „Positivismus“.
Irgendwie ist mir nicht klar über was
die beiden Vertreter streiten.
Du hast das doch ganz adäquat zusammengefasst!
weitere Literaturempfehlung dazu (die von Oliver angegebene Literatur ist natürlich der Bezug schlechthin):
Dahms, Positivismusstreit (Erstausgabe 1994), 446 Seiten
http://www.amazon.de/Positivismusstreit-Hans-Joachim…
(behandelt die Theamtik sehr umfassend von ihren Anfängen um 1936 bis einschließlich der Habermas-Albert-Debatten in den 60ern)
Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften. Materialien (Aufsatzsammlung 1963-1967), 330 Seiten
http://www.amazon.de/Logik-Sozialwissenschaften-Mate…
Was ich nicht selbst kenne, darum nicht empfehlen, aber anmerken will:
http://www.amazon.de/Zur-Logik-Sozialwissenschaften-…
Der
Positivismusstreit hat insbesondere in den
Sozialwissenschaften eine Klärung und Abgrenzung von
wissenschaftstheoretischen Standpunkten vorangetrieben.
ja, klar.
Hauptstreitpunkte waren die Frage der Wertfreiheit der
Wissenschaft (Forschungsmethoden),
Ja, aber nicht „Wertfreiheit oder nicht“, sondern darum was Wertfreiheit denn überhaupt sein soll.
Beide Positionen haben das Paradox anerkannt, dass „Wertfreiheit“ ja selbst ein „Wert“ ist.
Wie sie aber mit diesem Paradox dann umgegangen sind, ist sicher unterschiedlich.
die Möglichkeit der
Isolation einzelner Daten und Fakten aus der komplexen,
geschichtlich -gesellschaftlichen Totalität,
die Bedeutung des
gesellschaftlichen Entwicklungsstandes und damit auch die
Stellung des Wissenschaftlers zu Forschungsprozess, -ziel,
-methode und –resultat,
korrekt
das Verhältnis von Empirie und
Theorie,
richtig, aber man müsste hinzufügen: Streit darüber, was unter Empirie überhaupt verstanden werden kann;
denn keine der beiden Seiten wollte ja irgendwie die Theorie gegenüber der Empirie propagieren, beiden ging es um die Stärkung der Empirie, aber eben um eine jeweils andere Konzeption von Empirie.
(diese Frage der Empirie ist m.E. der entscheidende Punkt im Positivismusstreit, und auch das, was bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat, im Gegenteil).
Adorno: „Uns lockt es, die Erfahrung gegen den Empirismus zu verteidigen, einen minder eingeschränkten, minder engen und verdinglichten Begriff von Erfahrung der Wissenschaft zuzubringen. Ziel der Kontroverse ist nicht ein Ja oder Nein zur Empirie, sondern die Interpretation von Empirie selber, zumal der sogenannten empirischen Methoden; Solche Interpretation ist philosophisch bei uns nicht weniger als bei den Empiristen“
Besonders interessant in diesem Zusammenhang:
Adorno, Gesellschaftstheorie und empirische Forschung (Vortrag/Aufsatz von 1969, ca. 10 Seiten)
und
Adorno, Zur Logik der Sozialwissenschaften (Vortrag/Aufsatz von 1962, ca. 20 Seiten),
beide in:
Adorno, Soziologische Schriften I
http://www.amazon.de/Soziologische-Schriften-Theodor…
die (politische) Verantwortung des Wissenschaftlers
für Auftrag und Verwertung seiner wissenschaftlichen Forschung
und ähnliches.
nicht aber in dem Sinne verstanden, wie wir das heute mit „Ethikkommissionen“, etc. meinen …
K. Popper forderte aufgrund empirisch-positivistischer
Überzeugung gemäss seiner Theorie des kritischen
Rationalismus, dass eine Theorie nur mittels Falsifikation
getestet werden kann, da nur solche Sätze wissenschaftlich
sinnvoll seien, die durch Erfahrung überprüft werden können.
das hat Oliver ja schon kommentiert!
Er hat Recht, dass Popper seinem Selbstverständnis nach nicht unter „Positivismus“ eingereiht werden kann (es muss aber klar sein, dass Adorno und Habermas einen weiter gefassten Begriff von „Positivismus“ verwenden, der dann natürlich Popper genauso einschließt, wie etwa den Pragmatismus auch).
Er hat Recht, dass Popper nicht mit dem „Sinnkriterium“ des Logischen Empirismus operiert.
Und er hat Recht, dass Adorno und Habermas an vielen Stellen die Debatte gegen Popper geführt haben, wo sie eigentlich andere damit hätten treffen wollen.
[Dahms in seinem angegebenen Werk hält diese Bezüge aber einigermaßen gut auseinander (vor allem weil er den „Positivismusstreit“ eben schon in den 30ern beginnen lässt bzw. sogar schon auf die Vorgeschichte in den 20ern verweist), damit also auch wirklich den Logischen Empirismus (Positivismus) heranzieht, auch wenn er vieles andere wiederum verflacht und verblödelt)
Diese „Falschheit“ und „Oberflächlichkeit“ in der Diskussion bestand auf beiden Seiten, v.a. wohl, weil der „Positivismusstreit“ insbesondere auch über Vorträge auf Tagungen geführt wurde, und auch schnell sich auf Personen zuspitzte, u.a. weil er -für solche philosophischen und Soziologie-theoretischen Themen vollkommen ungewöhnlich- im Lichte breiter Öffentlichkeit geführt wurde, und damit eminent „gesellschaftspolitisch“ aufgeladen war.
T. Adorno forderte, dass die Hypothesen, die in einer Theorie
verwendet werden, nicht - wie K. Popper vorgeschlagen hat -
beliebig generiert werden sollen, sondern im Hinblick auf die
Entwicklung der Gesellschaft.
ganz ganz grob ja;
aber dickes ABER: das ist nicht so naiv gemeint, wie es sich hier anhört;
es geht hier im Grunde um Hegel (und Marx);
also um die Frage von Gesellschaftskritik als Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit, um die „bestimmte Negation“, damit auch um ein bestimmtes Theorie-Praxis-Verhältnis.
Sorry, aber das kann ich jetzt einfach nicht so knapp darstellen.
Ich hoffe mir kann dabei jemand helfen.
Kann man eigentlich leider nicht, außer mit Literaturangaben;
alles andere ist schwierig hier.
Viele Grüße
Franz