Postulate des empirischen Denkens von Kant?

Hallo,

ich arbeite grade an einem Vortrag über die ‚‚Postulate des empirischen Denkens überhaupt‘‘ von Immanuel Kant, und da hänge ich nun irgendwie bei der Begriffsdefinition von ‚‚formalen Bedingungen der Erfahrung‘‘ und ‚‚materiellen Bedingungen der Erfahrung‘‘.

Hier nochmal die Postulate:

„1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich.
2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.
3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig." (B 265-266)

Wie sind denn nun eben diese Bedingungen der Erfahrung definiert und/oder wo könnte ich die nachlesen? [Alle Linktipps werden gerne genommen smile]

Liebe Grüße,

Moin,moin,
leider kann ich keinen Kommentar abgeben da ich das Thema nicht beherrsche. Es tut mir leid.
Tschüs

hallo,

kant ist eigentlich nicht mein gebiet, aber es gibt im netz eine menge brauchbarer infos, welche da wären:

http://de.wikipedia.org/wiki/A_priori

http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerter…

http://books.google.de/books?id=ajMaop59f1UC&pg=PA12…

was deine fragen angeht, dürfte das ausreichend sein.

ohne gewähr

grüße

amurtiger

Sorry, bin kein Kant-Kenner und kann deswegen leider nichts beitragen!
LG - Michael Gutmann

Du wirst KANT besser verstehen, wenn Du Dir nochmal ansiehst, was denn diese „formalen“ und „materialen“
Voraussetzungen nach KANTS Meinung zu sein haben.

Füll die Begriffe doch selbst mit Leben: MATERIAL sind lt. Kant die Sinneseindrücke, die von realen Objekten herrühren. FORMAL sind die Eindrücke, die vom Geist als widerspruchsfrei und logisch kohärent erkannt werden. Diese Definition mag arg verkürzt sein, und sicher würde niemand an unserer Uni eine solche Aussage öffentlich machen. Aber hinter der Hand würde man es doch so sagen.

Klammern wir mal aus, was nach KANT dann unreal, also keine empirische Erfahrung ist. Du wirst sofort merken, dass es die ethischen/moralischen WERTE sind, die KANT ausklammert. Liebe, Moral, Würde, Stolz, … sind keine empirischen Erfahrungen, denn sie entspringen keinen Objekten und besitzen keine Logik.

Natürlich hat KANT damals den größten Käse erzählt. KANT war ein theoretisierender Eiferer, der in der Zeit der Aufklärung unbedingt den konservativen Kirchen das Zepter aus der Hand schlagen wollte. Diese legten damals nämlich die WERTE fest, nach denen eine Gesellschaft ihr Zusammenleben organisiert - und KANT war zur EInsicht gekommen, dass solche WERTE viel zu fehleranfällig und zu leicht missbrauchbar waren. Er suchte deshalb nach einem Weg, die Macht der Kirchen zu brechen - und der führte über die Entwertung der WERTE. KANT zerstörte die voraufklärerischen Wertesysteme, indem er die Behauptungen der Kirchen als „irreal“, als „unwirklich“ etc. markierte. Dazu musste er lediglich die allgemeine Definition von WIRKLICH ändern, und er tat dies, indem er nur den stofflichen Erfahrungsquellen (im Sinne der Naturwissenschaften) und der Logik (im Sinne seiner Philosophie) Realität zusprach.

Seine Postulate sind versteckte Axiome: willkürliche Setzungen, die man ebensogut auch ganz anders setzen könnte.

Natürlich reicht es aber nicht, Kant nun einfach als Deppen abzustempeln. Wir müssen eine bessere Definition für „Erfahrung“ finden, die Kants Fehler vermeidet.

  1. Zunächst: Alle Erfahrungen - egal woher sie entspringen - sind real.

Erklärung: „Liebe“ und „Ärger“ sind bspw. sogar realer
als „Atome“, denn Liebe hat jeder schon erlebt - Atome als solche aber hat noch nie jemand direkt und unmittelbar gesehen. Es ist völlig unerheblich, welcher Quelle wir eine Erfahrung zuschreiben, aber DASS wir etwas erfahren, ist UNBESTREITBAR. Die Subjektivität oder Objektivität einer Erfahrungsquelle ist daher völlig irrelevant für die Tatsache, dass die Erfahrung selbst reinste Empirie ist!

Für KANT hingegen gibt es keine Liebe und keinen Ärger, weil diese Erfahrungen weder eine MATERIALE noch eine FORMALE Essenz haben. Wie gesagt: Kant hatte gute Gründe dafür, diese WERTE zielgerichtet aus seinem Weltbild „herauszudefinieren“. Seine „Realitätsverweigerung“ hatte … naja … eben die genannten politischen Gründe.

Fassen wir nochmal zusammen:

  • ALLE Erfahrungen sind EMPIRISCH und REAL.
  • JEDE Erfahrung genügt deshalb den Anforderungen des POSITIVISMUS.
  1. Wenn man das eingesehen hat, wird auch Kants zweiter Fehler klar: Kant weigerte sich, das Subjekt zu akzeptieren. Wie PIRSIG (R. M. Pirsig: „Lila oder ein Versuch über Moral“, 1992; hier: Struktur der Metatheorie der Qualität) gezeigt hat, finden Werteerfahrungen aber nicht NUR im Subjekt oder NUR am Objekt statt, sondern DAZWISCHEN!

BEISPIEL:

Stellen wir uns eine Person vor, die auf einer glühenden Herdplatte sitzt. Dieser Person wird es völlig piepegal sein, ob der höllische Schmerz nun „formal“ oder „material“ ist - sie wird garantiert reflexartig aufspringen und den Allerwertesten kühlen.

Was ist passiert?

a) Die Person setzt sich auf die Platte
b) Eine Schmerzerfahrung füllt das Bewusstsein
c) Ein Reflex treibt die Person von der Herdplatte
d) Die intellektuelle Analyse der Person (des Subjektes) findet erst statt, wenn der Hintern mit Brandsalbe versorgt ist.

Entscheidend ist: Die Werteerfahrung kann man nicht allein dem Subjekt oder dem Objekt zuschreiben. Der Wert, die Wertung, die Werterfahrung - alle finden nur statt in dem Moment, in dem das Subjekt mit dem Objekt in Kontakt tritt. Noch genauer gesagt: Das Subjekt weiß in diesem Augenblick nichts von sich selbst. „Es“ handelt direkt und unmittelbar und ohne intellektuelle Zwischenschritte, bspw. in Form des Reflexes. Erst HINTERHER (!!!) analysiert der Geist die Situation, und ERST HIER (!!!) wird NACHTRÄGLICH (!) die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt vorgenommen.

Es kann gar nicht anders sein: Erst die intellektuelle Auseinandersetzung mit einer VERGANGENEN Situation bringt die Gegensätze ICH und WELT, SUBJEKT und OBJEKT, MATERIAL und FORMAL hervor.

Diese Einsicht war für Kant unmöglich, weil er das ICH - das identisch mit der VERNUNFT ist - der Erfahrung vorangestellt und übergeordnet hatte. Kant wollte, dass die Vernunft zuerst kommt - aber er übersah, dass die Erfahrung dem ICH ohne Ausnahme grundsätzlich vorangeht.

Sein Denkfehler war einfach, aber fatal. Er schrieb Unmengen von Texten und Büchern, in denen er sich verzweifelt um Reparaturen und Updates an seinen Theorien bemühte - aber es blieb eine mühselige und unbefriedigende Flickschusterei.

Seine Texte waren unlesbar. Kaum jemand verstand ihn.
Dass niemand Kant angriff, lag daran, dass man ihn unbedingt als Schlachtross für die Aufklärung brauchte. Man war nicht f ü r Kant. Sondern man war g e g e n die klerikalen Strukturen dieser Zeit, während zugleich die aufkommende Bourgeoisie sich bspw. mit Kants Philosophie zu dekorieren und sich als neue Elite mit - nun nicht mehr klerikalem, sondern intellektuellem - Führungsanspruch präsentierte.8

Aber das ist ein anderes THema.

Lies mal Pirisg.

Hallo Buchinator
ich hab mich auch erst mal schlau machen müssen, da ich eher von der Analytischen Philosophie herkomme.
Formal bei Kant ist „der Seite des Subjekts zuzuordnen“, d.h. die Leistung, die Erfahrungen in eine „Reihe“ (vor allem zeitlich) zu bringen (Apperzeption, Apprehension) und die Ausstattung mit Gehirn und Sinnesorganen.
Materiell (material): die Seite der Gegenstände. „Material“ wird oft als „inhaltlich“ im Gegensatz zu „formal“ übersetzt.
Möglich: ist die Erfahrung dann, wenn diese Ausstattung bei einem Subjekt vorhanden ist, aber eben nur möglich, weil es vielleicht nicht in der Lage ist, diese Ausstattung richtig anzuwenden (z.B. wenn die Begriffe für die Einordnung des Wahrgenommenen fehlen, Bsp das Erhabene ist mit Begriffen unfaßbar). Oder wenn man unaufmerksam ist, d.h. es ist eben möglich, etwas Wirkliches zu übersehen.
Wirklich: sind die Gegenstände. Aber bei Kant ist das wahnsinnig kompliziert: Klassischer Spruch: (aus KdrV): die Bedingungen der Erfahrung der Gegenstände sind zugleich die Bedingungen der Gegenstände. Wagemutig paraphrasiert: keine Erfahrung ohne Gegenstände. Das nennt Kant objektiv. Noch wagemutiger übersetzt: ohne (mögliche) Erfahrbarkeit keine Gegenstände!
Daraus hat sich eine Tradition bis in die moderne Wissenschaftstheorie gehalten, daß man z.B. Theorien, die prinzipiell unüberprüfbar sind, nicht aufstellen sollte (z.B. Stringtheorie).
„Dessen Zusammenhang…“ besser, „Das, dessen Zusammenhang…“
notwendig: hier einige Beispiele für Notwendiges bei Kant (ich bin mir nicht sicher, ob sie in Deinem Zusammenhang entscheidend sind):

Vernunft/Einheit/Kant: das Gesetz der Vernunft, die Einheit zu suchen, ist notwendig, weil wir ohne es gar keine Vernunft hätten – dadurch haben wir nicht mehr nur punktuelle Übereinstimmung, sondern systematische Kohärenz – (S. 104)

I 113
Vernunft/Kant: wir projizieren Vernunftursachen in das Objekt hinein. Allerdings: diese Projektion ist notwendig! (S. 113)

Aus Günther Schulte Kant Einführung (Campus) Frankfurt/M 1994

Die Regeln der Erfahrung sind a priori und nicht selbst wieder Gegenstand der Erfahrung, sonst wäre Erfahrung zirkulär.

Durch Übung trennen wir den Anteil der Erfahrung, der notwendig im Subjekt gegeben ist, von dem Teil, der den Gegenständen anhaftet. Zunächst können wir das nicht unterscheiden.

Auch bei Kant sind Tatsachen der Natur nicht notwendig (wie bei den religiösen Autoren), sondern zufällig. Im Zusammenhang mit der Vernunft sind sie aber doch notwendig, weil die Vernunft sie (wagemutig paraphrasiert) in die einzige Ordnung bringt, durch die das Subjekt sie wahrnehmen kann. Das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein!

Die Gegenstände sind also nicht dem Subjekt „gegenübergestellt“, sondern quasi von ihm produziert. Aber deswegen nicht bloß eingebildet, nur eben anders gar nicht wahrnehmbar. Das ist im Kern das, was Kant meint, wenn er sagt, daß wir „die Dinge an sich“ nicht erkennen können.

Lockerer Zusammenhang: die (moderne) These, daß wir die Natur nach unseren Begriffen aufteilen, die Natur aber auch gut ohne uns auskommt, nur haben wir eben keine Chance, darüber etwas zu wissen, wie sie dann aussähe.

Frederick Strawson hat darauf hingewiesen, daß Kant an keiner Stelle behauptet, daß die Dinge an sich sich irgendwie von den Dingen wie wir sie wahrnehmen, unterscheiden. Sie könnten ganz genauso sein, nur daß wir das eben nicht wissen können.

Uff, hoffentlich findest Du noch jemand, der sich bei Kant besser auskennt.

Sehr gute Literatur zu Kant: Rudolf Eisler, Kant-Lexikon, Olms-Verlag, 1979 Hildesheim/New York (da gibt’s inzwischen eine Neuauflage).

Alles Gute, und melde Dich, wenn Du noch was brauchst.

Timo ich-heiß-natürlich-gar-nicht-Zettsky.

Ich kriege gerade die Meldung, daß ein längeres Zitat gelöscht wird. Hoffentlich ist es der Satz über die „Bedingungen der Erfahrung“, den kannst Du leicht noch mal nachschlagen.

Hallo lieber ‚Buchinator‘,

nach meiner Meinung bezieht Kant sich in dieser Textstelle (B 265-266) mit dem Ausdruck ‚Erfahrung‘ bzw. ‚Bedingungen der Erfahrung‘ auf den Abschnitt Transzendentale Ästhetik in seinem Werk ‚Kritik der reinen Vernunft‘. Über Transzendentale Ästhetik gibt es einen ausführlichen Abschnitt in Wikipedia. Es wird alles Wesentliche dazu kurz erläutert.

Ich denke, mit den Ausführungen in Wikipedia ist das Gedankengebäude von Kant gut zu erschließen. Seine neue Sicht(Kopernikanische Wende im Denken)läßt sich in Bezug auf Erfahrung in einem Satz zusammenfassen: Wir können nur das erkennen, was wir denken können. Wie dieser Vorgang des Erkennens initiert und abläuft wird im Abschnitt Transzendentale Asthetik beschrieben.

Wollte man die Postulate des empirischen Denkens vielleicht nur ungenau aber plausibel übersetzen, so würde ich die Metapher Film zu Rate ziehen: Unsere Anschauung (im Sinne von Kant) signalisiert uns natürliche Bewegungen ab 15 Bilder pro Sekunde, also eine mögliche Realität, die unsere Fantasie beschäftigt. Aber keine Wirklichkeit, da nicht alle Empfindungen befriedigt werden so z. B. der Geruchssinn.

Ich hoffe, dass meine sehr kurze Antwort etwas zu Klärung beitragen konnte. Ich stehe für weitere Fragen gerne zur Verügung.

Herzliche Grüße

Karl-Georg