Pränataler Einfluss und Erzieherischer Einfluss auf den Menschen

hallo leute,

ich und eine bekannte diskutieren darüber wie stark ein pränataler einfluss mit stress und angst der mutter über längeren zeitraum sich auf das kind bzw. auf deren leben sich auswirkt bzw. auch das leben und die täglichen gedanken, handlungen bestimmen kann.

Ihre Arbeitskollegin hat zwei Söhne. der eine 32 und der jüngere 28. Der Ältere ist extrovertiert hat ein grosses selbstbewusstsein, hat kein Problem auf leute zuzugehen etc. Der jüngere hingegen ist genaus das Gegenteil. Hat eine Angststörung entwickelt, so eine art soziale Phobie wie ich das verstanden hatte, das hat sich wohl zu Depressionen weiterentwickelt. Er ist wohl auch gerade in psychologischer betreuung.

Nun mal zu der Geschichte: Die erste Geburt verlief problemlos. Vater war da und die Frau wurde auch umsorgt etc. Nachdem die Frau mit dem zweiten Kind schwanger war, ca 2 monate später sagte der Vater das er ins Ausland gehen will um Geld zu verdienen. So wie die Arbeitskollegin es meiner bekannten erzählt hatte war es für sie natürlich erstmal ein kleiner schock und hatte natürlich Angst

a) Wirkt sich das bereits auf das Embryo aus?!

Nachdem der Vater ins Ausland gegangen ist, bekam die Ehefrau ca. 2 monate einen Brief in dem er wohl schrieb:  das er eigentlich vor hatte für immer in dem land zu bleiben und er möchte das sie mit den Kindern nachkommt und er auch nicht mehr vorhat zurückzukommen.

Das verursachte natürlich grosse Angst und Stress bei Ihr. Letztendlich aber kam sie nach 2 Jahren nach. Und die Erziehung war wohl auch eher kontraproduktiv was selbstbewusstsein, ängste überwinden etc. angeht. Im Gegenteil es war wohl eine zu überbehütete mutter.

b) Hat dieser Einfluss von Stress und Angst im Mutterleib und auch in den ersten Jahren der Mutter auf das Kind dazu geführt das sich der Mensch so entwickelt hat?! und zusätzlich durch die Erziehung,das ganze Leben dadurch bestimmt wird?!

Es ist so eine Art zu empfindliches Nervensystem?!

Meine Meinung ist, das es wohl leider ein Grund sein könnte warum sich dieser Mensch so entwickelt hat und wohl wenig dafür kann und das finde ich wiederum, ja, einen grausigen Gedanken das man im Grunde doch wenig einfluss hat wer man wird.
Meine Bekannte meint das es nicht so einen grossen Einfluss hat und das es Menschen gibt die schlimmeres durchleben aber dennoch glücklich sind bzw. werden können.

Ich bin gespannt auf eure Meinungen und vielleicht gibt es auch jemanden der sich professionell damit beschäftigt und seine Meinung darlegt.

Vielleicht könnte auch noch jemand etwas über den Einfluss der Erbanlagen sagen, da es ja Brüder sind, das bedeutet es sind nur 50% der Gene gleich oder?!

Vielen Dank und schönen Sonntag

ich und eine bekannte diskutieren darüber wie stark ein
pränataler einfluss mit stress und angst der mutter über
längeren zeitraum sich auf das kind bzw. auf deren leben sich
auswirkt

Es besteht, so weit ich das übersehen kann, heute Konsens darüber, dass erhöhtes Stress- und Angstniveau schwangerer Mütter sich auf die Hirnstrukturen des Neugeborenen auswirkt, d.h. relativ irreversible Dispositionen auf neuronaler Ebene erzeugt.
In den ersten Lebensjahren dann gleiches, wobei da noch weitere -psychologische- Faktoren hinzukommen wie v.a. die Güte der Objektbeziehung zur primären Versorgungsperson.

Für Genaueres (also z.B. für die Nennnung der Hirnregionen oder der beteiligten Transmitterstoffe) müsste ich einen Stock tiefer gehen und in mein Bücherregal greifen, weil diese hirnphysiologischen Erkenntnisse meine Wissensgebiete nur am Rande berühren.
Dafür bin jetzt zu faul, könnte aber bei größerem Verlangen ein bißchen was dazu referieren und/oder ein paar Texte zum Selbstnachlesen nennen.

Gruß
F.

Hallo Fragewurm,

Meine Meinung ist, das es wohl leider ein Grund sein könnte
warum sich dieser Mensch so entwickelt hat und wohl wenig
dafür kann und das finde ich wiederum, ja, einen grausigen
Gedanken das man im Grunde doch wenig einfluss hat wer man
wird.

In deinem Fall hast ein grundsätzliches Problem mit der Datenlage.

Wie schon geschrieben wurde, gibt es eine rein hormonelle Beeinflussung andererseits erzeugt aber auch schon der Unterschied zwischen Erstgeborenem und dem folgenden Geschwister meist einen Effekt in die selbe Richtung.

MfG Peter(TOO)

Hallo,

vielen Dank für deine Antwort.
Es wäre nett von dir wenn du mir Links, Texte etc. nennen könntest. Ich würde darüber gerne mehr erfahren.

Vielen Dank nochmals

Hallo Peter,

vorab danke für die Antwort.
Was meinst du mit „In deinem Fall hast ein grundsätzliches Problem mit der Datenlage.“
Kannst du mir Links, Texte empfehlen die diesen unterschied zwischen Erstgeborenen und dem folge Geschwister beschreibt?! Selbstverständlich kann ich google’n aber vielleicht kannst du etwas Empfehlen.

Vielen Dank nochmals

Hallo Fragewurm,

Es wäre nett von dir wenn du mir Links, Texte etc. nennen
könntest. Ich würde darüber gerne mehr erfahren.

Da habe ich leider nichts zur Hand, müsste ich auch googeln!

Kurz:
Die erstgeborenen haben noch den grössten Wiederstand bei den Eltern zu überwinden, weil für die Eltern Alles auch noch neu.
Das betrifft vor allem die kleinen Schritte zur Selbständigkeit. z.B. erstes mal Ausgang und heimkommen wenn es schon dunkel ist usw., das fängt aber schon ganz früh an, z.B. mit selber essen anstatt gefüttert zu werden.
Bei den folgenden Geschwistern ist das dann für die Eltern schon zur Routine geworden.

Deshalb werden die Erstgeborenen eher zu Kämpfern im Leben, als sie nachfolgenden Geschwister. Es kann natürlich auch sein, dass ein Erstgeborener resigniert…

MfG Peter(TOO)

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Es wäre nett von dir wenn du mir Links, Texte etc. nennen
könntest. Ich würde darüber gerne mehr erfahren.

Eine sehr schöne, und für Nicht-Neurophysiologen einigermaßen verstehbare, Kurzfassung relevanter neurophysiologischer Erkenntnisse aus traumatherapeutischer Sicht bietet dieses Buch im Kapitel „Die normale Stressphysiologie“.
http://www.amazon.de/Traumazentrierte-Psychotherapie…

Ich möchte hier einigermaßen kurz den darin enthaltenen Gedankenganz zu deiner Fragestellung zusammenfassen:
Eine dauergestresste (Angst ist physiologisch als eine Art von Stress aufzufassen; darum keine Unterscheidung notwendig) Schwangere hat einen erhöhten CRH-Spiegel (Corticotropin-releasing Hormon).

-> dieser erhöhte mütterliche CRH-Spiegel hat einen hormonalen Einfluss bereits auf die pränatale Hirnentwicklung des Fötus, was die spätere postnatale Fähigkeit des Neugeborenen reduziert, von sich aus, innerpsychisch, mit den Stressoren seiner Innen- und Umwelt fertig zu werden.

–> postnatal erfolgt beim Hirnwachstum eine Art Auslese und Stabilisierung von genetisch angelegtem Wachstumspotential, die entsprechend den Umwelterfahrungen des Säuglings erfolgt. Hier setzt sich somit die bereits pränatal erworbene geminderte Stressbewältigungs- bzw. Emotionsregulationskapazität weiter fort.

—> dazu kommt neben der „inneren“ Stressbewältigungskapazität des Säuglings die Form der Stressbewältigung in der Beziehung des Säuglings zur primären Pflegeperson.
Ein Säugling bzw. dessen sog. „Distress Vocalisations“ (Schreien, Weinen usw) wirken auf die Mutter notwendig (weil evolutionsbiologisch so angelegt) als Stressoren, die von ihr nicht ignoriert werden können. Wenn die innere Stressbewältigungskapiztät des Säuglings bereits herabgesetzt ist, dann umso mehr.

----> Eine Mutter, die mit diesem Stress fertig werden kann, kann in ihrer Bindung zum Säugling die Stressregulierung für ihn übernehmen; eine Mutter, die (evtl. durch zusätzlichen äußeren Stress) damit nicht fertig werden kann, muss -um das eigene Stressniveau zu begrenzen- mit (innerem) Rückzugsverhalten reagieren.

-----> damit funktionieren für den Säugling aber beide „Kanäle“ der Stressbewältigung nicht ausreichend bzw. dysfunktional: weder sein eigener innerer noch der via seiner Bindung zur Mutter.

------> Folge ist ein erhöhtes Stressniveau des Säuglings, das auch an bestimmten pysiologischen Parametern messbar gemacht werden kann (erhöhte Herzratenaktivierung, erhöhter Kortisolspiegel)

--------> ein solcherart gestresstes Kind wird selbst zum noch größeren Stressor für die eh schon gestresste Mutter … es besteht hier also die Anlage zum stabilen Kreislaufprozess, der das Problematische ist; um hin und wieder Stress geht es hier also nicht, sondern um dessen Permamenz.

----------> was letztlich dauerhaft bleibt, ist eine erhöhte Vulnerabilität im Bereich der Stress- und Emotionsregulierung beim Kind; dauerhaft, weil zu einer Zeit des grundlegenden Hirnwachstums erfolgt, und so in den Hirnstrukturen quasi „dauerhaft gespeichert“, d.h. bestimmend für die erfahrungsabhängige Ausreifung der Amygdala (ein wichtiger Ort der Emotionsregulation) und weiterer Teile des Limbischen Systems bzw. für die synaptische Verschaltung des Limbischen Systems in sich und mit den subkortikalen und kortikalen Kreisläufen (wo die „höheren“ Funktionen wie das Denken, das Planen, das Problemlösen lokalisiert sind; die werden für die Stressbewältigung benötigt).

Ich habe nur auf diesen Teil deiner Frage geantwortet:
„ich und eine bekannte diskutieren darüber wie stark ein pränataler einfluss mit stress und angst der mutter über längeren zeitraum sich auf das kind bzw. auf deren leben sich auswirkt“
Dass ich mit meinen Ausführungen a) keinen Automatismus für die Ausbildung von Angststörungen und Depression andeuten möchte, und dass b) auch viele andere „psychologische“ Faktoren bei der Ausbildung von Symptomen oder Charaktereigenheiten hineinspielen, sollte klar sein.

Gruß
F.

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Hallo,

a) Wirkt sich das bereits auf das Embryo aus?!

Wer weiß das schon genau, aber es ist sehr wahrscheinlich.

b) Hat dieser Einfluss von Stress und Angst im Mutterleib und
auch in den ersten Jahren der Mutter auf das Kind dazu geführt
das sich der Mensch so entwickelt hat?! und zusätzlich durch
die Erziehung,das ganze Leben dadurch bestimmt wird?!

Dazu geführt: NEIN.
Dazu beigetragen: Vermutlich ja.

Meine Meinung ist, das es wohl leider ein Grund sein könnte
warum sich dieser Mensch so entwickelt hat

Grund? Eher Einfluss.

und wohl wenig
dafür kann und das finde ich wiederum, ja, einen grausigen
Gedanken das man im Grunde doch wenig einfluss hat wer man
wird.

Ich widerspreche dir. Natürlich hat man sehr viel Einfluss, wer man wird. Je älter und reifer man wird, desto mehr.
Aber ohne Zweifel haben manche bessere und andere schlechtere Voraussetzungen. Das gilt aber doch für alles. Du zum Beispiel gehörst zu den ganz besonders privilegierten Menschen auf der Welt, die lesen und schreiben können und sogar Zugang zu einem Computer haben. Du hättest in eine ganz andere Welt hineingeboren werden können. Dann wärst du vermutlich ein ganz anderer Mensch geworden.

Meine Bekannte meint das es nicht so einen grossen Einfluss
hat und das es Menschen gibt die schlimmeres durchleben aber
dennoch glücklich sind bzw. werden können.

Stichwort „Resilienz“. Wir Menschen sind nunmal unterschiedlich und haben auch unterschiedliche Lebensbedingungen. Und der stabilste und glücklichste Mensch kann morgen einen Unfall oder eine schwere Krankheit haben.

Jedenfalls: Dieser Bruder ist seinem empfindlichen Nervenkostüm ja nicht hilflos ausgesetzt. Er kann sich in Therapie begeben und sich helfen lassen. Und reift dabei vielleicht auf ganz andere Weise als sein Bruder zu einem stabilen und interessanten Menschen heran. Wer weiß.

LG,
Julia

Hallo Julia,

vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist immer gut andere Sichtweisen zu lesen :smile: Bringt mich zum nachdenken.

Danke

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Hallo,

viele Dank für deine ausführliche Erklärung, ich habe zwar nicht alles verstanden, aber ich werde mich damit ein wenig beschäftigen weil mich das sehr interessiert.

Danke dir