Hallo Nils,
manche GröĂen in der Physik sind bezugssystem-unabhĂ€ngig, andere nicht. Geschwindigkeiten und Beschleunigungen hĂ€ngen vom Bezugssystem (BS) ab, und ebenso verhĂ€lt es sich mit der kinetischen Energie. Die Geschwindigkeits_differenz_ zweier BSe gegeneinander hĂ€ngt dagegen _nicht_ vom BS ab (*): Ein Zug, der gegenĂŒber dem Gleis mit 80 km/h fĂ€hrt, hat diese Geschwindigkeit vom Bahnhof aus betrachtet ebenso wie von einem ĂŒber den Zug fliegenden DĂŒsenjet aus betrachtet oder von der Sonne aus betrachtet. Die Energie_erhöhung_, also der Zuwachs an kinetischer Energie, wenn ein Körper von v1 auf v2 beschleunigt wird, _bleibt_ dagegen BS-abhĂ€ngig. Das mag auf den ersten Blick dem âgesunden Menschenverstandâ widerstreben, aber dazu gibt es keinen Grund. Setzt sich ein Mann in einem Zug in Bewegung (0 --> 5 km/h), dann erhöht er seine kinetische Energie vom Zug aus gesehen um
1/2 m (5 km/h)^2 = 1/2 m _25_ (km/h)^2
vom DĂŒsenjet aus gesehen jedoch um
1/2 m (500^2 â 495^2) (km/h)^2 = 1/2 m _4975_ (km/h)^2
Die Ergebnisse dieser Rechnung sind jedoch nur MaĂzahlen, denen keine direkte physikalische Bedeutung zukommt. Eine solche hat erst die Energie, die freiwird, wenn der Mann gegen die TĂŒr rennt und bei diesem inelastischen StoĂ Energie in WĂ€rme umwandelt wird. Diese WĂ€rme ist real und von ihr darf der gesunde Menschenverstand erwarten, daĂ sie fĂŒr alle BSe gleich ist. Und sie ist es auch, weil in dem entsprechenden Ausdruck
E_inelast_stoĂ = 1/2 m1 m2/(m1 + m2) (v2 â v1)^2
âbravâ nur die Geschwindigkeitsdifferenz der beiden StoĂpartner auftritt. Da m1, m2 und v2 â v1 fĂŒr alle BSe gleich groĂ sind, ist auch E_inelast_stoĂ BS-unabhĂ€ngig, wie es sein muĂ.
Auf eine durchaus harte Probe gestellt wird der gesunde Menschenverstand ĂŒbrigens bei Geschwindigkeiten, die so groĂ sind, daĂ die spezielle RelativitĂ€tstheorie zum Tragen kommt. Die SRT besagt, daĂ einige GröĂen, die in der klassischen Physik BS-unabhĂ€ngig waren, es bei hohen Geschwindigkeiten nicht mehr sind (und umgekehrt fĂŒr c: Die SRT baut gerade darauf auf, daĂ die Lichtgeschwindigkeit BS-_un_abhĂ€ngig ist!), und dazu zĂ€hlt âunglaublicherweiseâ auch die Geschwindigkeits_differenz_ (siehe sog. âEinstein-Addition der Geschwindigkeitenâ)! Deshalb habe ich oben das â(*)â gesetzt, um dem Satz davor jetzt hinzufĂŒgen zu können: Die Geschwindigkeits_differenz_ zweier BSe gegeneinander hĂ€ngt im Rahmen der klassischen Physik, d. h. bei kleinen Geschwindigkeiten _nicht_ vom BS ab; bei relativistischen Geschwindigkeiten ist sie BS-abhĂ€ngig.
Der Satz
âDer Zug hĂ€lt auf seiner Fahrt durch Amerika um 15 Uhrâ
ist ohne Angabe des BSs (15 Uhr in welcher Zeitzone???)
niemals sinnvoll.
Der Satz
âDer Stein, den der Mann aus dem fahrenden Zug schleudert, fliegt mit 20 m/sâ
ist ebenfalls nie sinnvoll (20 m/s relativ zum Zug oder relativ zum Boden???).
Der Satz
âDas Licht der Scheinwerfer vorne am Zug ist c schnellâ
ist immer ohne Angabe eines BS sinnvoll (!), weil die Lichtgeschwindigkeit BS-unabhĂ€ngig ist â das Licht ist c schnell gegenĂŒber dem Zug _und_ gegenĂŒber dem Gleis, selbst, wenn der Zug mit 0.8 c fahren wĂŒrde.
Der Satz
âDer Mann lĂ€uft den Zuggang mit 5 km/h entlangâ
ist sinvoll nur fĂŒr den nichtrelativistischen Grenzfall (!).
Der Satz
âDer Mann hat seine kinetische Energie durch Schneller-Laufen um 5000 J erhöhtâ
ist ohne Angabe des BSs nie sinnvoll.
Der Satz
âBei dem Aufprall des Manns auf eine TĂŒr im Zug wurde die Energie 40 J freiâ
ist dagegen ohne Angabe des BSs sinnvoll.
Wie Du siehst, kommen bei der Frage, ob eine GröĂe BS-unabhĂ€ngig ist oder nicht, alle Varianten vor, und manchmal kommt es sogar noch auf die auftretenden Geschwindigkeiten (nichtrelativistisch oder relativistisch) an.
Das Problem ist doch, dass man zwar die Geschwindigkeit relativ
angeben kann, aber das bei der Energie aufgrund der
quadratischen AbhÀngigkeit von der Geschwindigkeit nicht
möglich sein sollte.
So ist es, nur ist das kein Problem, sondern höchstens etwas kontraintuitiv 
Mir ist nicht klar, wie man die
Zuggeschwindigkeit (die der Mann ja definitiv auch besitzt)
vernachlÀssigen kann, auch wenn man nur sagen möchte, wieviel
höher seine Energie ist als wenn er im Zug still stehen wĂŒrde.
Man darf die Zuggeschwindigkeit nicht vernachlĂ€ssigen. Das Problem ist strikt von dem âInelastischer StoĂâ-Problem zu trennen. Bei letzterem kommt es âanstĂ€ndigerweiseâ nur auf die Relativgeschwindigkeit der StoĂpartner an.
Sollte bedingt durch die Beschleunigung des Zuges auf
50.004995 m/s der Mann nicht eine Geschwindigkeitsdifferenz
von 55 m/s - 50.004995 m/s, also 4.995005 m/s (