Proteste gegen Islamisierung in der Türkei ?

Hallo,

die aktuellen Proteste in Teilen der Türkei gegen die AKP und Erdogan, sollen sich laut einiger Medienberichte gegen die zunehmende Islamisierung der Türkei richten. Genannt wurde dabei ein Alkoholverbot. Ansonsten habe ich in den TV-Medien nullkommagarnix dazu gesehen. Im Internet wurde ich bislang auch nicht fündig.

Also worin besteht den diese behauptete Islamisierung ?

Die Person Erdogan sowie die Rolle der AKP und ihre Wurzeln ist mir durchaus bekannt. Es geht um aktuelle politische Handlungen, bspw. Gesetzeserlässe, Strukturveränderungen u.ä., die ein Indiz für eine Islamisierung der Türkei darstellen könnten.

Gruß
vdmaster

Hallo,

Ich bin der Meinung es geht eher in die andere Richtung: Protestiert wird gegen neoliberalismus und den autoritären Stil von Erdogan. Es heißt das die Kluft zwischen Arm und Reich noch nie so schnell auseinander ging, wie unter der kapitalistischen regierung von Erdogan.
Es gibt die verschiedensten Gründe warum die Leute mittlerweile auf der Straße gehen. Aber das (abgesehen von einer Minderheit) gegen eine Islamisierung demonstriert wird, glaube ich nicht. Islamisierung hat nämlich mit neoliberalismus und Kapitalismus recht wenig gemein. Mich würde also brennend interessieren (genau wie dich) welche gründe es für eine Islamisierung geben sollte.
Einige der mir bekannten Gründe für die Demonstrationen:

  • Autoritäres durchsetzen von Bauvorhaben: Behörden dürfen in der Türkei Viertel niederreißen, „wenn es den Interessen der Stadt dient“. So sind unter Erdogan schon einige kuturelle Viertel niedergegangen.

  • Erdogans persönlicher autoritärer Stil: „Despotismus ist ein weiteres Markenzeichen der Regierung Erdogan. Der Ministerpräsident führt Prozesse gegen Hunderte Bürger, angeblich weil sie ihn beleidigt haben. Er hat einen Karikaturisten verklagt, der ihn als Katze gezeichnet hatte“ (http://www.spiegel.de/politik/ausland/aufstand-gegen…)
    Aber die waren die mit Sicherheit schon bekannt.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich handfeste Fakten für die Islamisierung gibt.

Grüße

Genannt wurde dabei ein Alkoholverbot.

Darauf hatte ich vergessen einzugehen: Ein Alkoholverbot ist für mich kein Anzeichen einer „Islamisierung“. Der Konsum von Alkohol ist auch in westlichen Ländern teilweise sehr stark eingeschränkt. Warum sollte es sich dabei um Islamisierung handeln?

Hallo Baboon,

ich stimme Dir 100%ig zu. Bislang sieht es nirgends nach einer Islamisierung aus. Dass Erdogan gerne Autokrat wäre, ist mir bekannt.

Aber bislang scheint das Islamisierungsargument heiße Luft zu sein.

Gruß
vdmaster

Hallo,

Hallo,

Also worin besteht den diese behauptete Islamisierung ?

Die Angst einiger säkularer türkischen Eliten vor einer „Islamisierung“ ist für uns sicherlich z. T. schwer nachvollziehbar, aber es geht in einigen Fällen um Symbole, die für viele Türken auf die eine oder andere weise hochpolitisch besetzt sind.
Das sind zB

  • die Aufhebung des Kopftuchverbotes für Schülerinnen und Studentinnen sowie staatliche Angestellte (eine absolute Provokation für Kemalisten)
  • die Verschärfung des Alkoholverbotes, die ganz klar in der Türkei religiös besetzt diskutiert wird und selbst von vielen praktizierenden Muslimen mehr oder weniger abgelehnt wird.

sowie viele kleine Einzelmaßnahmen von Provinzgouverneuren oder Bürgermeistern wie zB das Kussverbot in einer Metrostation in Ankara, die Reservierung von Strandabschnitten für religiöse Frauen, die (zeitweilige) Protegierung der sog. „Gülen“-Bewegung bis hin zur Vereitelung von staatsanwaltlichen Ermittlungen wg. finanzieller Unregelmäßigkeiten, das „Flirten“ von Erdogan mit Milli Görus bei seinen deutschland-Besuchen und einiges mehr.
Manche säkular Denkende haben das Gefühl, daß gerade mit diesen Einzelmaßnahmen immer mal wieder ausgetestet werden soll, wie weit man gehen kann.
Auch die Besetzung des öffentlichen Raumes durch relativ strenge Muslime in vielen Großstadtquartieren sowie verbale und auch tätliche Angriffe auf Säkulare und Alevis bereitet vielen Unbehagen.

Letztendlich hast Du aber recht, daß diese Erklärungsweise zu kurz greift. Durch die enorme wirtschaftliche Entwicklung der Türkei in den letzten Jahren brechen mehrere lange schwelende gesellschaftliche Konflikte auf, bei denen sich die Akteure durchaus bunt mischen wie zB

  • Stadt (v.a. Istanbul, Izmir) gegen Land (aufstrebende Regionen wie Kayseri, Adana, Antalya und sogar Dyarbakir)
  • säkulare (oft korrupte) Eliten, die den Staatsapparat für ihre natürliche Beute halten gegen aufstrebenden, idR moderat muslimischen Mittelstand
  • Jung gegen Alt
  • beginnende ökologische Bewegung gegen Turbokapitalisten
  • Basisdemokraten gegen Zentralstaat

und noch Einiges mehr.
Interessanterweise hat sich zB die von der Gülen-bewegung finanzierte und getragen große Tageszeitung Zamam mittlerweile von Erdogan abgesetzt und wird von vielen Türken nunmehr als Oppositionsblatt wahrgenommen.

Viele Demonstranten auf dem Taksim mißtrauen aber zb nicht nur Erdogan, sondern auch den Traditionskemalisten der CHP und den zT faschistoiden Nationalisten der MHP, die sich an die Proteste „angehängt“ haben, zutiefst, haben sich auch CHP und MHP in der Vergangenheit im Konfliktfall nicht gerade als Musterdemokraten bewährt, sondern auch autoritäre Lösungen bis hin zum Militärputsch befürwortet oder zumindest provoziert.
Die türkische Gesellschaft hat in den letzten beiden Jahrzehnten begonnen, sich sehr stark auszudifferenzieren. Deswegen ist es verfehlt, von einem „türkischen Frühling“ zu reden, weil die Türkei trotz allem in ihrer Entwicklung sehr viel weiter ist als die Länder des südlichen Mittelmeers.
Was in der Türkei momentan passiert, hat einerseits bezüglich Religion sehr viel mehr mit den europäischen Kulturkämpfen des späten 19. und frühen 20. Jhdt zu tun und andererseits mit den gesellschaftlichen „westlichen“ Emanzipationsbewegungen seit 1968.
Dies konnte vor Antritt der AKP-Regierung durch Unterentwicklung und dogmatischem, zT autoritären Kemalismus lange „unter der Decke“ gehalten werden.

Trotz der Person Erdogan wird wahrscheinlich die AKP auf absehbare Zeit der spannendste Akteur auf der türkischen politischen Bühne sein, da gerade in der AKP viele Politiker (einschl. Präsident Gül) eher versuchen, zumindest einige der gesellschaftlichen Widersprüche auszutarieren und auch Konflikte zu befrieden.

Einzig Erdogan wird wohl seinen Traum von der Verfassungsänderung hin zur starken Präsidialrepublik (mit ihm als Präsidenten) beerdigen müssen, da er alle für eine Verfassungsänderung notwendigen potentiellen Verbündeten mit seiner sturen Haltung vor den kopf gestossen hat.
Der „Kampf“ um den Gezi-Park wird nicht die letzte gesellschaftliche Großauseinandersetzung in der Türkei bleiben, der sich an einem vergleichsweise kleinen Anlaß entzünden wird.

Am Ende könnte tatsächlich eine sehr viel stärkere Annäherung an europäische Verhältnisse und gesellschaftliche Strukturen stehen, als manchem (auch in Europa) lieb wäre - mit einer AKP als tatsächlich demokratisch-konservativen Partei mit leichtem religiösen Akzenten wie zB die CDU.

Gruß

&Tschüß

vdmaster

Wolfgang

Hallo Wolfgang,

Na, das nenne ich mal eine umfassende Analyse der momentanen Verhältnisse in der Türkei. Danke hierfür, wobei Du natürlich einiges aufgezählt hast, was ich bereits wußte. Aber auch im Detail Dinge, die mir nicht bekannt waren.

Es gibt also eine momentane Miniatur-Islamisierung in der Türkei.

Die eigentlichen und sehr vielfältigen Gräben gehen kreuz und quer durch die differenten, türkischen Gesellschaftsmilieus. Viele Köche kochen an der momentanen Protestbewegung mit.

Die Jungen, offen und demokratisch Denkenden haben die Sache losgetreten. Jetzt sind viele (unterschiedliche) auf den Zug gesprungen. Darunter auch durchaus politische Extremisten mit Gewaltpotential.

Es bleibt abzuwarten was gesellschaftlich unter dem Strich dabei
rumkommt.

Zu den 1968ern: Die sehe ich politisch und kulturell doch teilweise kritisch. Die 1848er darf man auch nennen.

Trotz der Person Erdogan wird wahrscheinlich die AKP auf
absehbare Zeit der spannendste Akteur auf der türkischen
politischen Bühne sein (…)

Abwarten und Döner essen :wink: .

Einzig Erdogan wird wohl seinen Traum von der
Verfassungsänderung hin zur starken Präsidialrepublik (mit ihm
als Präsidenten) beerdigen müssen (…)

Die AKP wird sich hoffentlich nicht „putinisieren“ lassen.

Am Ende könnte tatsächlich eine sehr viel stärkere Annäherung
an europäische Verhältnisse und gesellschaftliche Strukturen
stehen, als manchem (auch in Europa) lieb wäre - mit einer AKP
als tatsächlich demokratisch-konservativen Partei mit leichtem
religiösen Akzenten wie zB die CDU.

Wie die CDU in ihrer Frühphase. Das C wird schon lange sehr klein geschrieben. Die Wähler werden schon lange nicht mehr im Kirchturmschatten rekrutiert.

Nochmals Danke für Deine Antwort.

Gruß
vdmaster

Es gibt also eine momentane Miniatur-Islamisierung in der
Türkei.

Nein, das wäre eine glatte Untertreibung! Die aktuelle Regierung ist derzeit munter dabei die klar säkulare und rechtsstaatliche Aufstellung des türkischen Staates zu unterlaufen. Was wir hier im Westen davon mitbekommen mag dir als „nicht so schlimm“ vorkommen - warum auch immer, aber was wir da erleben ist die Demontage einer lebendigen Demokratie.

Fakt ist: Erdogan tritt derzeit mit seinen Äußerungen und seiner direkten Lenkung von Polizeieinsätzen jenseits jeglicher rechtsstaatlicher Verhältnismäßigkeit in die Fußstapfen diverser Diktatoren. Dass „nebenbei“ Nachrichtendienste auf Regimekritiker „einwirken“ und Demonstranten, die nur ihre Grundrechte ausüben in Gefängnissen verschwinden hinterlässt mehr als nur ein „Gschmäckle“.
Darüber hinaus ist das Beispiel der geplanten Bebauung des Taxim-Platzes nur eines von vielen, bei denen Erdogan selbst rechtswidrig rechtsstaatliche Verfahren umgeht und Partei- und Glaubensfreunde protegiert. Die Polizei ist übrigens in weiten Teilen der Führungsebene mittlerweile mit AKP-nahestehendem Personal besetzt.

Zu guter letzt hat Erdogan Ende letzten Jahres die ca. 150 führenden Militärs der türkischen Streitkräfte wegen eines angeblich geplanten Putsches kassieren lassen - diese Herren haben derzeit alle eine Adresse im Gefängnis. Damit hat Erdogan das Militär vorerst ausgeschaltet - in der türischen Historie war das Militär immer der Garant für den säkularen und demokratischen Staat - und er kann schalten und walten, wie er will und genau das tut er.

Wenn das allerdings so weitergeht wird der Putsch denke ich über kurz oder lang wirklich kommen.

Hallo,

Es gibt also eine momentane Miniatur-Islamisierung in der
Türkei.

Nein, das wäre eine glatte Untertreibung!

Ja, vielleicht wäre das Verpacken in „Miniatur“-Islamisierung besser gewesen. Anfänglich wurde in D von der Angst vor der Islamisierung berichtet, als es um die Motive der Demonstranten ging. Da wollte ich nachharken.

Die aktuelle
Regierung ist derzeit munter dabei die klar säkulare und
rechtsstaatliche Aufstellung des türkischen Staates zu
unterlaufen.

An der Rechtsstaatlichkeit habe ich aber so meine Zweifel. Welche vorherige Regierung der Türkei war denn Deiner Meinung nach rechtsstaatlich ?

(…)aber was
wir da erleben ist die Demontage einer lebendigen Demokratie.

Sie oben. Habe meine Zweifel daran, dass die Türkei bislang jemals eine „lebendige“ Demokratie war. Vor allem müßte der Terminus lebendig spezifiziert werden, da sie ja augenscheinlich eine Wahldemokratie ist. Nach Jahrzehnten der indirekten oder direkten Militärdiktatur.

Fakt ist: Erdogan tritt derzeit mit seinen Äußerungen und
seiner direkten Lenkung von Polizeieinsätzen jenseits
jeglicher rechtsstaatlicher Verhältnismäßigkeit in die
Fußstapfen diverser Diktatoren.

Etwas sehr plakativ formuliert. die Fußstapfen sind (noch) zu groß.

Dass „nebenbei“
Nachrichtendienste auf Regimekritiker „einwirken“ und
Demonstranten, die nur ihre Grundrechte ausüben in
Gefängnissen verschwinden hinterlässt mehr als nur ein
„Gschmäckle“.

100% Zustimmung. Ist aber türkische Polit-„Folklore“ (ja, der war bitterböse und auch so gemeint). Da zieht sich ein niemals unterbrochener roter Faden von der Staatsgründung bis heute.

Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Tiefer_Staat
Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Folter_in_der_T%C3%BCrkei

Ich kann mich nicht erinnern, dass die Türkei jemals die Menschenrechte im Lande wirklich respektiert hätte.

Darüber hinaus ist das Beispiel der geplanten Bebauung des
Taxim-Platzes nur eines von vielen, bei denen Erdogan selbst
rechtswidrig rechtsstaatliche Verfahren umgeht und Partei- und
Glaubensfreunde protegiert.

Bebaut werden sollte der Gezi-Park ein Teil des Taksim-Platzes. Und gerade beim Gezi-Park hält sich Erdogan an ein vorläufiges Gerichtsurteil, welches das Bauvorhaben stoppte. Der Park übrigens auch eine interessante Geschichte in Bezug auf die Armenier. Der Platz als Ort blutiger Meinungsunterdrückung.

Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gezi-Park
Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Taksim-Platz

Dass Erdogan Rechtsstaatlichkeit beugt, bezweifel ich gar nicht.

Die Polizei ist übrigens in weiten
Teilen der Führungsebene mittlerweile mit AKP-nahestehendem
Personal besetzt.

Zu guter letzt hat Erdogan Ende letzten Jahres die ca. 150
führenden Militärs der türkischen Streitkräfte wegen eines
angeblich geplanten Putsches kassieren lassen - diese Herren
haben derzeit alle eine Adresse im Gefängnis. Damit hat
Erdogan das Militär vorerst ausgeschaltet - in der türischen
Historie war das Militär immer der Garant für den säkularen
und demokratischen Staat - und er kann schalten und walten,
wie er will und genau das tut er.

Ein Machtumbau vom Terrormilitär (vgl. Link „Tiefer Staat“) zum regierungs"freundlichen" Militär. Das türkische Militär war ein Garant für den säkularen Staat. Da stimme ich zu. So wie das ägyptische Militär in - eben - Ägypten. Aber ein Garant für den demokratischen Staat ??? Das ist ja wohl ein Schenkelklopfer. Da denk ich mal, dass Dir das so auf der Tastatur rausgerutscht ist. Wenn Du das ernst meinst, dann trägst Du Scheuklappen. Ich empfehle
ein wenig Recherche zum Thema „Militärputsch“ im letzten Jahrhundert. Das türkische Militär hat soviel mit Demokratie gemein wie die heutige Bundeswehr mit der Mondlandung !

Wenn das allerdings so weitergeht wird der Putsch denke ich
über kurz oder lang wirklich kommen.

Könnte passieren. Es werden Gerüchte laut, die die Behauptung aufstellen, dass die bereits das Mittel des „Agent Provocateur“ einsetzen, um einen Vorwand zu haben. Weil der Möchtegern-Diktator Erdogan und die AKP ihnen zu sehr ans Bein gepinkelt haben. Vgl. oben wieder „Tiefer Staat“.

Aber zurück zum Thema: Nenne doch bitte quellengestützte Belege für die Islamisierung. Ich bin da gerne aufnahmebereit.

Um eins noch klarzustellen: Verbesserungen in puncto Demokratie erwarte ich von Erdogan nicht. Aber auch er wird (möglicherweise) einen Wandel zur inhaltlichen Demokratie in der Türkei nicht verhindern können. Hoffentlich !

Gruß
vdmaster

Nochmal zum Thema „Tiefer Staat“:

http://www.boell.de/weltweit/europanordamerika/europ…

Hallo vdmaster,

ich glaube nicht an eine „Islamisierung“ in der Türkei.

Erdogan hat übrigens eine Tatsache bewußt gemacht als er den Demonstranten zurief:
„I c h habe die Mehrheit hinter mir,nicht ihr!“ Genau das ist nunmal das Prinzip Demokratie.Eine Belehrung,sehr peinlich für uns alle.

Ich glaube wir haben wirklich vergessen oder können das gar nicht denken, dass in einer Demokratie eine Mehrheit bürgerliches Recht,Freiheit willkürlich entziehen kann. Freiheit,Rechtsstaatlichkeit muss n i c h t gleichbedeutend mit einem doch anscheinend demokratischen Regierungssystem einhergehen, sozusagen aus kausalem Zusammenhang heraus.
Erdogan wurde jahrelang von uns Westlern hofiert und mit genügend Geld gefüttert - nur um unsere partikularen Einzelinteressen zu verfolgen im Deckmäntelchen der " zu exportierenden Demokratie".Dabei wurde Erdogan in seinen Langfristzielen falsch eingeschätzt.Wir wußten schlicht und ergreifend gar nicht, welcher Wolf im Schafspelz hier angefüttert wurde.

Daraus müssen wir jetzt lernen.

Gruß

Riester Johann

Moin auch,

Erdogan hat übrigens eine Tatsache bewußt gemacht als er den
Demonstranten zurief:
„I c h habe die Mehrheit hinter mir,nicht ihr!“

Erdogan hatte bei den letzten Wahlen die Mehrheit hinter sich, das Projekt Gezipark stand damals gar nicht zur Debatte, ebensowenig wie das Verkaufsverbot von Alkohol nach 22:00 Uhr und anderen Dingen.

Genau das ist
nunmal das Prinzip Demokratie.

Das ist es nicht! Demokratie heißt eben keinesfalls, sich alle 4 Jahren wählen zu lassen und dann 4 Jahre lang Entscheidungen par ordre de Mufti mit Tränengas und Wasserwerfern durchzusetzen. Erdogan ist Ministerpräsident der Türkei, nicht der türkische Sultan.

Eine Belehrung,sehr peinlich für
uns alle.

Es ist noch sehr die Frage, wer alle ist.

Ich glaube wir haben wirklich vergessen oder können das gar
nicht denken, dass in einer Demokratie eine Mehrheit
bürgerliches Recht,Freiheit willkürlich entziehen kann.

Genau das geht nicht. Bürgerliches Recht und Freiheit, hier Demonstrations- und Redefreiheit, kann man einer Minderheit NICHT entziehen!

Freiheit,Rechtsstaatlichkeit muss n i c h t gleichbedeutend
mit einem doch anscheinend demokratischen Regierungssystem
einhergehen, sozusagen aus kausalem Zusammenhang heraus.

Hä?

Erdogan wurde jahrelang von uns Westlern hofiert und mit
genügend Geld gefüttert - nur um unsere partikularen
Einzelinteressen zu verfolgen im Deckmäntelchen der " zu
exportierenden Demokratie".Dabei wurde Erdogan in seinen
Langfristzielen falsch eingeschätzt.Wir wußten schlicht und
ergreifend gar nicht, welcher Wolf im Schafspelz hier
angefüttert wurde.

Wussten wir das nicht oder war es uns aus wirtschaftlichen Gründen einfach egal?

Ralph

Hallo vdmaster,

Hallo,

Ich glaube wir haben wirklich vergessen oder können das gar
nicht denken, dass in einer Demokratie eine Mehrheit
bürgerliches Recht,Freiheit willkürlich entziehen kann.

Bist Du etwa ein Verfassungsfeind ? Ich empfehle mal als Einführung die Lektüre der Art. 1 und 19 Abs. 2 GG:
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_1.html
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_19.html

Freiheit,Rechtsstaatlichkeit muss n i c h t gleichbedeutend
mit einem doch anscheinend demokratischen Regierungssystem
einhergehen, sozusagen aus kausalem Zusammenhang heraus.

Bist Du dir eigentlich nicht im Klaren darüber, auf welcher abschüssigen inhaltlichen Bahn Du Dich bewegst, wenn Du Demokratie nicht als integralen Bestandteil von Freiheit definierst?
Wenn man Freiheit (und damit explizit auch demokratische Teilhabe) nicht als individuellen Anspruch aller Individuen sieht, kommt man ganz schnell in krude klassenbezogene oder „völkische“ Kategorien, deren furchtbare Auswirkungen doch sattsam bekannt sein sollten.

Gruß

Kopfschüttelnd

Riester Johann

Wolfgang

Hallo Wolfgang,

ich bin überzeugter Demokrat(ich frage mich allerdings,welcher zivilisierter Mensch eigentlich nicht Demokrat ist?!),allerdings vertraue ich als freier Bürger niemals Mehrheiten.Ich hinterfrage Alles und Jeden.Versuche eigene Antworten zu geben und bringe mich ein.Nur so kann Schaden von einem Volk,der Gesamtheit abgehalten werden.
Wohin es führen kann,gibt man auch nur in einem Punkt nach, macht Kompromisse im Deckmäntelchen für das Wohl des Großen und Ganzen…das kann man brandaktuell in der Türkei sehen.

Die Türkei ist eine Demokratie und trotzdem verletzt die Regierung grundlegende Rechte ihrer Bürger.

Meine Intension ist die Tatsache bewußt zu machen, dass man auch in einer Demokratie kämpfen muss um der Freiheit willen!Wir satten Westler konnten uns ja bis vor Kurzem nicht vorstellen dass eine demokratisch gewählte Regierung mit absoluter und vor Allem unbegründeter Waffengewalt gegen seine eigenen Bürger vorgeht.
Dass eine demokratische Regierung einen unbegründeten Angriffskrieg gegen einen anderen Staat führen kann haben wir schon erlebt.

Also Wolfgang, die Feinde der Verfassung können nicht die sein, die das Kind beim Namen nennen sondern doch wohl die mittels einem trojanischen Pferd unsere blutig erkämpfte Zivilisation zerstören möchten.(Dies gilt im Übrigen nicht nur jetzt aktuell für die Türkei,sondern auch immer für die Ewiggestrigen bei uns.)

Erdogan ist ein vom Westen in seinem Innersten katastrophal falsch eingeschätzter Autokrat.Eine gebildeter Autokrat, der die Grundfesten,die Schalthebel der Demokratie sehr wohl versteht.Deshalb auch der beschämend/belehrende Ausspruch zu den Demonstranten:„I c h habe die Mehrheit hinter mir,ihr nicht!“
Wir sollten der Minderheit in der Türkei helfen,damit Erdogan endlich seine Macht verliert und der Türkei der Weg geebnet wird für ein zivilisatorisch hoch entwickeltes,europäisches Leben.

Gruß

Riester Johann

Hallo,

ich fasse Dein Credo mal zusammen:

  1. Demokratie per se kann in ihrer definierten Reinform auch schlecht sein. Beispiel: Partei A erhält durch Wahlen 51% und entschliesst sich alle, die nicht A gewählt haben, am darauffolgenden Tag zu exekutieren.

Ist logisch eine Wahldemokratie. Gebe ich Dir völlig recht. Aber der definierte, politische Begriff Demokratie geht darüber ja hinaus und umfaßt die Begriffe Freiheit und Recht. So hatten wir in den 50er Jahren in D zweifelsfrei eine institutionelle, freiheitliche Demokratie. Durch das Aufkommen der Bürgerbewegungen ab den 80ern ist diese zur lebendigen, auf kleinerem Level bereits praktizierten Demokratie (direkte Demokratie) weiterentwickelt worden. Heutzutage werden Bürger in einem weit höheren Maße an Entscheidungen beteiligt als noch in den 70ern. Bspw. Referendum in BaWü zu „Stuttgart 21“.
Die Türkei ist davon noch weit entfernt.

  1. Erdogan ist ein „Wolf im Schafspelz“

Das sehe ich auch so. Sage aber, dass es sich mit früheren Regierungen ähnlich verhält. Die Türkei mag eine institutionelle Demokratie sein. Sie war aber stets autoritär und nationalistisch.
Erdogan hat da einiges verbessert. Weil er mußte, da von der EU getrieben. Und auch von den nachgewachsenen türkischen Bürgern, die scheinbar gerade ihre emanzipatorische Phase wiederaufleben lassen.
Recht so.

Andererseits kann man sich nicht einbilden, dass man eine Regierung durch Demos absetzt, wenn nicht auch in der Bevölkerung die Mehrheit hinter einem steht. Und das scheint bislang nicht der Fall zu sein, da ansonsten die gewählten Parteien demokratischer wären.

Deine Einschätzung, dass man hier in der EU Erdogan nicht mit der gebotenen Skepsis im Auge behält, teile ich jedoch nicht.

Gruß
vdmaster

Hallo,

Also worin besteht den diese behauptete Islamisierung ?

In dem laizistischen Staat Türkei, waren religiöse Symbole im Öffentlichen Dienst verboten. Dazu zählten Kopftücher!!

Dies hat er sehr bald nach Machtantritt verändert.
Jetzt dürfen Lehrinnen Kopftücher tragen.
Studentinnen dürfen mit Kopftuch die Uni besuchen!

Das Alkoholverbot hast du selbst genannt.

Er will das Knutschen auf der Straße verbieten. Im Zuge dieses Vorhabens wurden Serien abgesetzt, weil diese zu freizügig waren!

Ach ja: Geburtenkontrolle!

Die Person Erdogan sowie die Rolle der AKP und ihre Wurzeln
ist mir durchaus bekannt. Es geht um aktuelle politische
Handlungen, bspw. Gesetzeserlässe, Strukturveränderungen u.ä.,
die ein Indiz für eine Islamisierung der Türkei darstellen
könnten.

Doch ein sehr wichtiges Indiez ist wohl die Zerstörung des laizistischen Staates!!(Religion wird nicht mehr strikt vom Staatswesen getrennt)

Das ist erst der Anfang. Er will ja einen Gottesstaat gründen nach Vorbild der Sharia!

Gruß
vdmaster

Meine persönliche Meinung: Erdogan ist eine echte Gefahr.
Er hat in vielen Teilen das Militär entmachtet (Es wird auf Atatürk vereidigt und steht ihm somit sehr im Weg).
Gesetze verändert, so dass es kaum noch möglich ist einen Militärputsch zu veranstalten.
Dies hat er ja nicht aus Liebe zur Demokratie getan, sondern um sich selbst seinen Posten zu sichern!
Jetzt kann nicht mehr geputscht werden. Er verändert weiterhin Gesetze, die seine Macht stärken.

Mit Bussen und umgerechnet für 30 Euro Bestechungsgeld werden seine „Anhänger“ (wie damals Hitler nach der Machtergreifung) auf Plätze gekarrt damit sie ihrem Führer zujubeln können!

So wurden ja auch Wahlen manipuliert! Man gab den armen Leuten bissl was zu fressen und sie wählten ihn. So kam er jedesmal an die Macht!

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich k…möchte!

Nun bekommt der Islam noch eine hässliche Fratze in die Reihe der abscheulichen Fratzen geschenkt!
Danke dir, Führer Erdogan!

Grüße
Ayse (die Angst hat, dass die Türkei wirklich zu einem Islamstaat verkommt!)

Hallo,

Jetzt dürfen Lehrinnen Kopftücher tragen.
Studentinnen dürfen mit Kopftuch die Uni besuchen!

Darin sehe ich keine Islamisierung. In D dürfen Studentinnen auch Kopftuch tragen. Bei Ang. im ÖD sieht das anders aus. Das finde ich auch richtig, da der Staat säkular bleiben sollte. Deswegen war ich auch dafür, dass Kreuze in Schulen (teilweise) abgehängt werden.

Das Alkoholverbot hast du selbst genannt.

Gibt es mittlerweile auch in D. Es wurde ja nicht der Alkoholkonsum verboten, sondern der Verkauf 24h lang. Ohne Alkohol bricht der Tourismus außerdem zusammen. Nicht nur wegen den Deutschen, sondern vor allem wegen den Russen.

Er will das Knutschen auf der Straße verbieten. Im Zuge dieses
Vorhabens wurden Serien abgesetzt, weil diese zu freizügig
waren!

Ja, da sind einige angebliche „Moralverbesserungen“ gelaufen. Das ist ein Indiz.

Das ist erst der Anfang. Er will ja einen Gottesstaat gründen
nach Vorbild der Sharia!

Das würde wohl sogar der AKP zu weit gehen. Die ist nämlich auch nicht ein monolithischer Block. Sie hat religiöse Fanatiker, Konservative, als auch moderate, progressive Kräfte in sich.

Er hat in vielen Teilen das Militär entmachtet (…)

Was auch nötig war. Alles andere wäre nicht demokratisch.

Gesetze verändert, so dass es kaum noch möglich ist einen
Militärputsch zu veranstalten.

Was für eine freiheitliche Demokratie schon mal wichtig ist.

Dies hat er ja nicht aus Liebe zur Demokratie getan, sondern
um sich selbst seinen Posten zu sichern!

100% Zustimmung.

Jetzt kann nicht mehr geputscht werden. Er verändert weiterhin
Gesetze, die seine Macht stärken.

100% Zustimmung. Allein Zahl der laufenden Prozesse gegen Personen, die ihn angeblich beleidigt haben sollen, spricht für sich.

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich k…möchte!

Kann ich nachvollziehen. Da bist Du absolut nicht allein.

Ayse (die Angst hat, dass die Türkei wirklich zu einem
Islamstaat verkommt!)

Das wird viel schwieriger, als Erdogan denkt. Die Türkei ist auch heute noch viel freier als vor 40 Jahren.

Gruß
vdmaster