Jahwe als Erzeuger
Hi.
Es geht in Ps 139 also im weiteren Sinne um die Vermählung von
Himmel (Jahwe) und Erde, ein Motiv, das sich in anderen
Religionen oft wiederfindet, z.B. beim sumerischen Götterpaar
Ki (Erdgöttin) und An (Himmelsgott), bei den griechischen
Götterpaaren Zeus und Hera sowie (…)
Diese Interpretation ist mir aber viel zu weitgehend für die Stelle. Das funktioniert nur mit viel Phantasie und hat so gut wie keinen Anhalt am Text.
Ich schrieb bewusst „im weiteren Sinne“, was heißen soll, dass dieser weitere Sinn von dem oder den Autoren nicht bewusst intendiert war. Mythologische Symbolik unterliegt immer historischen und in der Regel unbewusst vorgenommenen Wandlungen (vom strukturalistischen Ethnologen Levi-Strauss „Transformation“ genannt). Der Ökonomie halber zitiere ich dazu eine Erklärung von Dr. Elke Mader:
http://www.lateinamerika-studien.at/content/kultur/m…
Mythen werden immer wieder neu erzählt und sind dadurch ständig Umwandlungen ausgesetzt. Das gilt nicht nur für die mündliche Überlieferung, sondern auch für schriftliche Traditionen, die oft auch voneinander abweichen. Grundsätzlich stellt jedes Erzählen eines Mythos für sich in gewissem Maße eine Deutung dar. Die Veränderungen, denen die Mythen durch wiederholten Vortrag ausgeliefert sind, entstammen demnach einer Absicht, sie sind das Ausrichten einer Botschaft nach neuen Bedürfnissen.
Angewandt auf unser Thema heißt das, dass die Tiefenschicht des Zeugungsmotivs in Ps 139 (strukturalistisch: die Tiefenstruktur) aus der historisch weitaus älteren Vorstellung der göttlichen Vermählung von Himmel und Erde stammt. An der Textoberfläche (die Oberflächenstruktur) zeigt sich das Motiv in transformierter Gestalt: Die Basisstruktur ist erhalten geblieben (ein Himmelsgott zeugt Leben mithilfe „der Erde“). Was aber wegfällt, da der israelitische Monotheismus nun einmal keine Göttin zulässt, ist die symbolische Identifikation der Erde mit einer weiblichen (Erd-)Gottheit.
Übrig bleibt an der Oberflächenstruktur also, dass der Himmelsgott das neue Leben „unter der Erde“ zeugt. Oft galt ein Himmelsgott im Alten Orient auch als Spender des lebenswichtigen Regens. Aus dem natürlichen Zusammenhang von Regen (der vom Himmel kommt) und Fruchtbarkeit der Erde hat sich daher die Vorstellung gebildet, dass Himmelsgott und Erdgöttin, wenn Regen fällt, eine sexuelle Verbindung eingehen. Die Vorstellung des Wassers als göttlicher Samen zeigt sich u.a. darin, dass in der sumerischen Sprache das Wort „A“ alternativ Wasser und Sperma bedeutet.
Dass auch Jahwe im israelitischen Denken in der Funktion des Regenspenders und Fruchtbarmachers der Erde agiert, zeigt z.B.
Hosea 6,3:
Lasst uns Jahwe erkennen, lasst uns eifrig darnach trachten, Jahwe zu erkennen, - er wird so sicher kommen, wie die Morgenröte aufgeht! damit er über uns komme wie ein Regenguß, wie ein Spätregen , der das Land befeuchtet.
Über den Schöpfungsmodus heißt es: „du
hast mich gewoben“, aber dieser Ausdruck steht
höchstwahrscheinlich für „gezeugt“
Und woher kommt „höchstwahrscheinlich“? Gibt es halbwegs sichere Belege für diese Verwendung von רקמ ?
Im Tanach wird das hebräische Wort „qanah“, um das es hier geht, im Kontext eines Kindes an mehreren Stellen gebraucht. An mindestens drei Stellen hat es den Sinn von „zeugen“: Spr 8,22, Dtr 32.6 und eben Ps 139. Auch in Gen 4,1 b taucht es adjektivisch auf im Vers:
Ich habe mit JHWH einen Mann zur Welt gebracht.
(was sehr deutlich auf die unbewusst dahinter stehende Vorstellung der Vermählung von Himmelsgott und Erdgöttin hinweist)
Ich schrieb „höchstwahrscheinlich“, weil die Deutung von qanah als „zeugen“ in Ps 139 unter Experten nicht unumstritten ist, sie mir aber aus den genannten Gründen (religionsgeschichtlicher Kontext) sehr überzeugend erscheint.
Jahwe als „väterlicher“ Erzeuger erscheint ja auch in
Psalm 2,7
Ich will von der Weisheit predigen, daß der HERR zu mir gesagt hat: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeuget“.
Das ist ja aber ein völlig anderer Kontext (Adoptionsformel).
Der Interpretation der Stelle als Adoptionsformel ist zwar üblich geworden, verkennt aber den wahren Sinn. Die Formel entspricht der in vielen anderen altorientalischen Religionen üblichen Idee, dass der König vom obersten Gott seines Staates physisch gezeugt wurde, d.h. die biologische Mutter hat ihn nicht von ihrem Gatten, sondern von dem Gott empfangen. Z.B. findet sich auf der sog. Geierstele eine Inschrift des sumerischen Königs Eannatum (Mitte 3. Jt. BCE) die Aussage, dass der Stadtgott Ningursu ihn „gezeugt“ habe. In Ägypten galten Pharaonen seit der 4. Dynastie ebenfalls als vom Sonnengott Re bei einem Koitus mit der biologischen Mutter physisch gezeugter Sohn.
Psalm 45,7 zeigt noch einen Überrest der Vorstellung auch im israelitischen Denken, dass der König eine göttliche Abkunft hat. Er wird darin nämlich als „Gott“ angesprochen:
7 Gott, dein Stuhl bleibt immer und ewig; das Zepter deines Reiches ist ein gerades Zepter .
Eine vage Alternative erlaubt keine sicheren Schlüsse.
Und die Assoziationen der Schlange im AT (auch als Lebensspenderin) sind doch ziemlich anders.
Das Schlangenthema will ich jetzt nicht vertiefen, sonst werde ich gar nicht mehr fertig. Zu „Hawwa“:
Es gibt mehrere etymologische Theorien. Othmar Keel, ein international renommierter Experte für israelitsche Religionsgeschichte, hält es für wahrscheinlich, dass der Name auf die syrische Göttin Cheba zurückgeht, die seit dem 3. Jt. BCE belegt ist.
Jahwes Rolle in Ps 139 ist die eines Schöpfers des Lebens, aber er ist angewiesen auf den „Mutterleib“ (die Erde) als Medium des Gebärens.
Nö, das steht da nicht. Das steht vielleicht im Hintergrund und hat seine Spuren in der Wahl der Bilder hinterlassen.
Im Kontext von Psalm 139 (er-)zeugt Jahwe einen Menschen im Schoß der Mutter (tiefenstrukturell: der Erde). Er ist aus dem Grund auf den „Mutterleib“ angewiesen, weil Menschen nun einmal faktisch von einer Mutter ausgetragen werden, außer, in israelitischer Sicht, die ersten beiden, Adam und Eva. Dieses Faktum wird in Ps 139 religiös verklärt: Um sowohl die Allmacht als auch die Menschennähe Jahwes zu verdeutlichen. wird er als Vater jedes individuellen Kindes beschrieben, auch als Vater des (fiktiven) David, der aufgrund dieser „Erkenntnis“ sich Jahwe wieder vertrauensvoll zuwendet.
Chan