Psychische Körperverletzung

[aufgeschnappt im Zusammenhang mit der Dom-Sie-pfeifen-es-von-den-Dächern-Affäre]

Kann psychische Verletzung (durch Worte, Strafen o.ä.) für körperliche Auswirkungen ursächlich sein?
Oder spielt sich alles nur im Kopf/Geist ab?
Sind vermutete physische Folgen somit ursächlich in Einbildung/Vorstellung/Denken/Überlegungen quasi virtuell zu suchen und unabhängig von der Art oder überhaupt Auftreten eines Ereignisses?

Depressionen als Beispiel nicht vorhandener, zumindest nicht eindeutig nachvollziehbarer Ursache, lasse ich bewusst außen vor, weil ich es nicht aus Sicht der Psychologie diskutiert haben möchte.

Franz

Aber sicher - großer Stress, insbesondere länger andauernder Stress, kann diverse, mitunter schwerwiegende physische und psychische Folgen haben, z.B. eine posttraumatische Belastungsstörung.

Bei Depressionen lässt sich in der Regel eindeutig nachweisen, dass der Stoffwechsel im Gehirn gestört ist - die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin sind nicht in ausreichender Menge vorhanden und/oder ihre Aufnahme funktioniert nicht richtig.

Neuere Forschungen deuten auch darauf hin, dass Depressionen mit chronischen Entzündungen bzw. dauerhaft erhöhten Entzündungswerten im Zusammenhang stehen.

Eine gestörte Darmflora kann ebenfalls Depressionen auslösen.

:paw_prints:

Natürlich.

Was meinst du damit denn konkret?

Gruß
F.

Die Trennung von Physis und Psyche, die du unterstellst, gibt es so nicht. Man kommt immer mehr auf den Trichter, dass beides wesentlich enger zusammenhängt, als man mal dachte. Das gilt in beide Richtungen.
Seelische Vernachlässigung in der Kindheit führt zum Beispiel nachweislich zu Problemen im Immunsystem mit den entsprechenden Folgen bis zu chronischen Krankheiten. Man weiß aber auch, dass ein geschwächtes Immunsystem mitverantwortlich für Depression ist.

Als hätte ich es geahnt. Es war mein Fehler, den letzten Absatz zu schreiben.

Franz

1 Like

Eine andere mögliche Reaktion wäre gewesen: „Danke, das wusste ich nicht.“

:paw_prints:

Die allgemein vorgenommene Reduktion von ‚Psyche‘ auf eine materielle Ebene erscheint mir grundsätzlich nicht richtig.
‚Psyche‘ oder ‚Geist‘ im übergreifenden Sinne von Denken. Überlegung. Planung, Wertung, … Bis hin zu Spiritualität. Als Polarität zu Physis. Aber unabhängig, eigenständig, existent (und übergeordnet?).

Eine „psychische Verletzung“ kann, muss aber keine physische Auswirkung haben. Auch die Art einer Auswirkung, sofern sie eintritt, ist nicht determiniert.
Wer oder was bestimmt dies dann?
==> Die ‚Psyche‘ entscheidet darüber.
Sie kann darüber hinaus über ihre selbständige Arbeit in Form von „Denken“ - ohne konkretes Ereignis - physische Auswirkungen verursachen.

Begründen könnte man dies auch beispielsweise mit Fehlen von ‚Psyche‘, etwa bei sehr niederen Lebensformen. Auf dieser Ebene läuft alles auf physischer Ebene ausschließlich nach vorgegebenen physi(kali)schen Gesetzmäßigkeiten ab. Unbeeinflussbar durch das Lebewesen selbst.

‚Psyche‘ wird zur Beschreibung materieller Vorgänge verwendet. Und daher als „materiell“ eingestuft. Ohne in Erwägung zu ziehen, dass gerade sie zur Beschreibung dieser Vorgänge notwendig ist. Ohne zu bedenken, dass sie selbst Vorgänge auslösen kann.

Das Resultat anderer Überlegungen wäre doch: ‚Psyche‘ ist nicht existent, keine Entität. Mit fatalen Folgen für Geisteswissenschaften, Moral, Identität, Subjektivität,…

Franz

Ähnliche Fragestellungen ergeben sich beispielsweise zu ‚Zeit‘.

Hältst du „Depression“ eher für ein physisches Problem oder ein psychisches Phänomen?

Franz

…kann…
…in der Regel…
…deuten darauf hin…

fallen unter „Vermutungen“ und erklären Ursache-Wirkung erstmal nicht.

Siehe meine Antwort zu FBH: Polarität vielleicht?

Das liegt möglicherweise an der ‚Konditionierung‘, Messbares zu bevorzugen und alles auf materielle Ursachen zu reduzieren.

Franz

Bis auf das „(und übergeordnet)“ sehe ich das aus philosophischer Perspektive auch so.

Da stimme ich auch aus psychologischer Perspektive zu.

Das ist der Punkt, über den wir diskutieren müssten, wenn bei deiner Frage offenbar so etwas Traumatisierung angesprochen wird, denn das Wesen der Traumatisierung ist es eben, dass ein Extremereignis („extrem“ evtl. erst durch Kumulation) so etwas wie sehr körpernahe/körperliche Erinnerungsspuren hinterlässt, dabei mannigfaltige psychische Auffälligkeiten bedingt, aber gerade nicht „innerpsychisch“ werden kann: nicht symbolisierbar, nicht mentalisierbar, nicht gesteuert erinnerbar, sondern die Erinnerungsbruchstücke drängen sich auf, kurzum: nicht psychisch verarbeitbar, damit nicht „psychisch“ genug, dass „die Psyche“ da allzuviel „darüber zu entscheiden“ hätte.

Das ist jetzt wieder stärker am Philosophischen.
Es gibt in der Philosophie ja nun genug Psyche- oder Geist-Konzeptionen, die deshalb beispielsweise noch lange keinen Raum für Moral lassen, weil diese mehr an der Annahme eines „freien Willens“ hängt als direkt an der Annahme einer Psyche/Geistes.

Ganz pauschal gesagt, sehe ich persönlich in der Philosophie aber stets weit mehr die Gefahr, den Körper zu unterschätzen als den Geist/Psyche zu vergessen, denn der Geist ist quasi das ewige Apriori einer Denkhaltung, die sich die „Liebe zur (geistigen) Weisheit“ nennt - und nicht etwa beispielsweise die „Liebe zu den (körperlichen) Lüsten“.

Gruß
F.

mir ist nicht so ganz klar, worauf du hinaus willst. Ich meine, dass ständiger Ärger auf den Magen schlagen oder erhöhten Blutdruck zur Folge haben kann, dürfte inzwischen allgemeinmedizinischer Konsens sein. Meinst du sowas: http://www.kathpedia.com/index.php?title=Wundmale
Oder das Auftreten von blauen Flecken als Folge einer Einschüchterung, Beleidigung oder Kränkung?

darüber gehen die Ansichten in der Philosophie auseinander. Arthur Schopenhauer z. B. hat in seiner Preissschrift „Über die Freiheit des menschlichen Willens“ die gegenteilige Auffassung vertreten und überzeugend dargelegt.

Verschiedene Menschen reagieren auf psychische Belastungen/Verletzungen unterschiedlich. In welcher Weise und in welchem Ausmaß hängt vom Charakter ab, dieser wiederum von Erbanlagen und bisher stattgehabten Umwelteinflüssen.

Einspruch! Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, dass bei „sehr niederen Lebensformen“ (z. B. bei Einzellern) ein inneres Erleben völlig fehlt. Umgekehrt ist, zumindest laut Schopenhauer, das menschliche Verhalten genau so streng determiniert wie das von Einzellern oder die Bahn eines Himmelskörpers.

Ein weites Feld und eine interessante aber auch sehr bedenkliche Thematik.

Freundliche Grüße

myrtillus

Das Unbewusste ist Teil der Psyche. Auf deren Verarbeitung und „Weiterreichung“ kommt es ebenso an?

Franz

Bedeutet nun was im Folgeschluss?

Franz

Nein, das fällt nicht unter Vermutungen:

Die Psyche existiert nicht unabhängig vom Körper.

Deshalb mag es zwar äußere Auslöser für Depressionen geben (muss es aber nicht), aber die Ursache ist im Körper zu suchen - was auch erklärt, warum es bei gleichartigen äußeren Voraussetzungen (z.B. Herkunftsfamilie, Missbrauch, Traumata) die einen an Depressionen erkranken und die anderen nicht. Dass noch nicht alle Wirkmechanismen abschließend geklärt sind, bedeutet nicht, dass Depressionen zusammen mit der Psyche quasi freiflottierend und unabhängig vom Körper sind.

:paw_prints:

Oder es liegt schlicht und ergreifend daran, dass die Forschung voranschreitet.

Es ist noch gar nicht so lange her, da hielt man Magengeschwüre für etwas „Psychisches“ - heute weiß man, dass eine Mikrobe, Helicobacter pylori, dafür verantwortlich ist.

:paw_prints:

1 Like

Na klar, ist das Unbewusste Teil der Psyche, aber anders als die Konflikt- oder Neurosen-Pathologie, wird die Trauma-Pathologie nicht einmal unbewusst verarbeitet, sondern in Extremform gar nicht. Das Trauma wird quasi nur endlos wiederholt. Das hat dann schon etwas sehr ‚Unpsychisches‘, so dass es therapeutisch z.B. nicht darum geht, etwas „bewusst zu machen“ (wie bei den Neurosen), weil da gar kein unbewusster Symbolgehalt da ist, den es ‚aufzudecken‘ gälte.
Aber wir kommen damit wahrscheinlich weit weg von dem, warum es dir geht.

Gruß
F.

Ich denke, ja. Sonst hätte ich das andere Brett gewählt.

:+1:

Franz

das die „Psyche“ eben auch in diesen „niederen Lebensformen“ keinesfalls fehlt, sondern - frei nach Schopenhauer - in allem, was Leben hat, da ist. Sicher nicht so fein ausdiffenrenziert wie im Homo sapiens; aber ein wenn auch eher dumpfes Wohlsein und Unwohlsein möchte ich auch dem primitivsten Einzeller nicht absprechen!

Freundliche Grüße