Tür zu, Willi tot
Wieder einmal habe ich mir mit Knox die ganze Nacht um die Ohren geschlagen und das alles unentgeltlich. Wir sind einer betrügerischen Bande auf der Spur, die billige Fälschungen von hochwertigen GPS-Geräten über ein Internet-Auktionhaus verscherbelt. Das Tückische bei diesen minderwertigen ‚Kanarienvögeln‘ sind die ungenauen GPS-Empfänger-Chips, die einen Geocacher beispielsweise etliche Meter von seinem erhofften Ziel abkommen lassen. Nachdem neulich ein paar Angehörige der hiesigen Cacherszene sich mit diesen Geräten im Meinweg-Wald verlaufen hatten und erst nach Tagen gefunden wurden, beschlossen mein werter Chef Leon Knox und ich, dieser Bande das Handwerk zu legen.
Deswegen harren wir also in einem kleinen Voreifel-Dorf bis in die Morgenstunden vor einem Schuppen aus, in dem wir das Lager der Warenfälscher vermuten. Plötzlich klingelt das Handy von Knox und er knurrt ins Telefon: „Sie rufen reichlich früh an, Herr, äh, Herr Frencken - reiner Zufall, dass sie mich jetzt schon erreichen. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?“ „Ja, ich glaub’ schon. Ich sitze hier an meinem Schreibtisch vor dem Fenster und sehe, dass gerade die Sonne aufgeht. Es müsste gegen …“ Knox schaut auf seine Uhr und fährt ihm ins Wort: „Es ist genau zehn nach Sieben, Herr Frencken!“ - „Pardon, aber es ist sehr wichtig! Ich fühle mich nämlich bedroht und habe mich daher im meinem Arbeitszimmer eingeschlossen. Ich wollte Sie bitten …“ Herr Willi Frencken, ein erfolgreicher Krimiautor aus dem Kreis Heinsberg, wollte uns bitten, ihn schnellstens in seinem Anwesen in den Unterbrucher Rurauen aufzusuchen, er lebt dort allein und alles Weitere würde er uns bei der Ankunft unter sechs Augen erklären. Mein Chef sagt zu, da er heute niemanden von der Fälscherbande mehr erwartet. Eile ist seiner Meinung nach nicht geboten, da Frencken schon öfters derartige Vermutungen äußerte und diese sich als unbegründet herausstellten.
Die Schilderung der folgenden Ereignisse in Stichworten: Verlassen der Eifel und ausgiebiges Frühstück in einer Tankstelle bei Aachen; Unterbrechung der Fahrt wegen einer Reifenpanne; Loggen von einigen Wurm-Caches (die Knox noch in seiner Sammlung fehlen) auf dem Rückweg; Ankunft vor Frenckens Domizil am Spätnachmittag. Ein grüner Mercedes und ein Japaner parken vor dem Gebäude. Herr Otto Frencken (der Bruder des Schriftstellers und Besitzer des Mercedes, Anm.d.Red.) öffnet uns merklich überrascht die Haustür: Er hätte doch erst vor zehn Minuten die Polizei gerufen. Wir stellen uns als Detektiv samt rechter Hand vor und derart von unserer Gesetzestreue überzeugt schildert Frencken die Lage: "So gegen 15 Uhr traf ich mit meiner Verlobten Sonja hier ein, um sie meinem Bruder vorzustellen. Ich besitze einen Schlüssel für das Haus und ging in den ersten Stock hinauf zum Arbeitszimmer von Willi. Hier sitzt er gewöhnlich von morgens bis abends und schreibt seine Krimis. Ich klopfte an die verschlossene Tür und bat ihn zu öffnen, er aber gröhlte zurück, er wolle mich nicht sehen.
Sonja wartete derweil unten im Wohnzimmer, ich gesellte mich eine Zeit lang zu ihr und versuchte es später noch ein zweites Mal, aber vergeblich, ich hörte nur Willi auf der Schreibmaschine klappern und zog daher mit Sonja infecta res ab. Doch auf dem Rückweg nach Wildenrath bekam ich es mit der Angst zu tun, weil Willi seit einiger Zeit Depressionen hat und öfters von Selbstmord sprach. Ich setzte also Sonja auf halber Strecke ab und fuhr zurück zum Haus meines Bruders. Die Tür ist weiterhin verschlossen und Willi antwortet nicht, aber im Gegensatz zu vorhin ist alles still im Zimmer. So rief ich die Polizei, da ich die Tür nicht allein aufbrechen wollte."
Leon Knox beschließt, nicht lange auf die Polizei zu warten und so brechen wir die Tür auf. Am Ende des kleinen, fast unmöblierten Zimmers steht vor den schmalen einzigen Fenster ein winziger Schreibtisch, davor ein Bürostuhl, auf dem Willi Frencken mehr hängt als sitzt. Auf dem Fußboden, unter seinem herabbaumelnden rechten Arm, liegt eine Pistole. Mit dieser ist ein Schuss aus nächste Nähe abgefeuert worden, wie man unschwer am Einschussloch an Frenckens rechter Schläfe erkennen kann. Auf dem Schreibtisch befinden sich ein paar Bücher, das Telefon sowie die für einen Schriftsteller notwendigen Schreibutensilien. In der Schreibmaschine steckt noch ein Bogen Papier mit einigen Zeilen blutrünstigen Text, passend dazu geht wie in einem Horrorfilm direkt dahinter die Sonne blutrot am Horizont unter. Andere beschriebene Manuskriptseiten liegen verstreut auf dem Tisch, die letzten Worte eines begnadeten Kriminalschriftstellers, der so starb, wie er schrieb: blutgierig und brutal.
Knox blickt plötzlich von dem Toten auf und ruft mir zu: „Mein Gott, Paett, der Schlüssel!“ – „Der steckt noch im Schlüsselloch“, antwortet der nicht angesprochene Otto Frencken von der Tür her. Wir drehen uns zu ihm um und Knox mustert den kahlen Raum und fragt Otto schneidend: „Also dies ist das Arbeitszimmer ihres Bruders?“ – „Ja, er lebte sehr spartanisch“. Das ist jetzt zuviel für Leon Knox, er kommt nun in Fahrt: „Soso, ich stelle mal ein paar Hypothesen auf, Herr Frencken. Erstens, Sie haben just den Schlüssel von innen ins Schloss gesteckt, eben, als wir nicht hinsahen. Zweitens, Sie haben ihren Bruder erschossen, aber in jeder Hinsicht so gezielt, dass Sie gut einen Selbstmord fingieren konnten. Aber Sie mussten …“
Die Ankunft der Polizei stoppt den Redeschwall von Knox. Sein alter Freund Kommissar Löffler führt die Truppe an. So bekommt dieser die Knox’schen Vermutungen brühwarm aufgetischt, was den Gesetzeshüter veranlasst, Bruder Otto in die Mangel zu nehmen. Diesem wiederum bleibt nichts anders übrig, als die Tat zu gestehen. Bevor er von Löfflers Kollegen in einen Streifenwagen geschoben wird, bittet er uns, seine Verlobte abzuholen, die noch immer auf ihn wartet. Er nennt uns die Stelle, wo er sie zuvor abgesetzt hat.
Knox und ich steigen in unseren Wagen und machen uns auf den Weg zum besagten Ort. Aber von Sonja ist weit und breit nichts zu sehen. Wir fragen einen Bauern in verdreckten und übelriechenden Gummistiefeln, der gerade seine Kühe auf die Weide treibt. Der antwortet uns im besten Wassenberger Platt:
„Joah, dat mädche hann ech jesiehn, dat loach de janze nammidach doah op dih weeh in de sonn. Äver dän iss ett opjestonge unn langs de ror jelope.” “Tja, Paett”, meint Knox, “da wir anscheinend noch etwas auf Fräulein Sonja warten müssen, können wir in der Zwischenzeit hier ein Döschen verstecken, ich hab’ zufällig eins im Auto. Und um es zu finden, müssen die Erdlager-Sucher nur heraus bekommen, was der Mörder getan hat, um seine Spuren zu verwischen und woran man es merkt.“ – „Ja, Chef, das ist eine gute Idee!“.
Wer ist der Täter und wie hat er sich verraten???