Ratingagenturen: Welche Ziele haben sie im Auge?

Hallo,

Frankreich gerät jetzt ebenfalls unter Druck
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/frankreich-sar…

Genereller Gedankengang (knapp gefasst und nur auf einen Aspekt gerichtet):

Um sich greifende Abwertung der Bonitäten verschiedener Staaten ==> Sparmaßnahmen der Staatshaushalte

==> höhere Steuerlasten für Bürger, geringere Kaufkraft
==> Entlassungen im Staatsdienstbereich (Arbeitslosigkeit)
==> Soziale Einschnitte im niedrigen Lohnbereich
==> Zunehmende Unzufriedenheit in der Bevölkerung, soziale Konflikte (s. Frankreich, England)

Beispiele für „direkte“ Folgen der Bonitätsabwertungen. Welche Ziele verfolgen die Ratingagenturen, wenn sie deratiges in zunehmendem, teils unerwartetem und verstärktem Maß in Kauf nehmen? Mittel- und langfristig schaffen sie doch unnötigerweise Unsicherheit und Krisen…

Franz

Hi,

Welche Ziele verfolgen die Ratingagenturen,

Geld zu verdienen. Das klappt, wenn die Kunden davon überzeugt werden können, daß die Bewertung realistisch ist.

Die Ratingagenturen werden von ihren Kunden dafür bezahlt, daß sie das Anlagerisiko einschätzen und der Kunde prüfen kann, ob die Zinsen zum Risiko passen. Wirtschaftspolitische Ziele werden die nicht haben, dafür gibt es Regierungen.

Gruß Rainer

Beispiele für „direkte“ Folgen der Bonitätsabwertungen.

Ratingagenturen fassen lediglich die Bonität eines Schuldners in einer Summe zusammen. Man kann über die Ratingagenturen sagen, was man will, aber sie beeinflussen nicht die Verschuldung des Schuldners, dessen Staatshaushalt oder Ausgabendisziplin.

Was die aktuellen Gerüchte angeht, sieht man mal wieder, wie panisch die Märkte im Augenblick sind und wie wenig die Medien ihre eigenen Meldungen im Blick haben. Die Ratingagenturen haben nämlich schon heute mittag das AAA von Frankreich bestätigt:
http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/marktberichte/:kr…

Welche
Ziele verfolgen die Ratingagenturen, wenn sie deratiges in
zunehmendem, teils unerwartetem und verstärktem Maß in Kauf
nehmen? Mittel- und langfristig schaffen sie doch
unnötigerweise Unsicherheit und Krisen…

Unsicherheit und Krisen schaffen die Schuldner selbst. Nur weil die Agenturen dem Kind einen Namen geben, heißt das nicht, das sie Einfluß nehmen.

Die Abstufung der USA war seit Jahren überfällig. Nun hat die endlose Debatte über die Schuldenerleichterungsgrenze der USA endlich der mutigsten der drei großen Agenturen den konkreten Anlaß gegeben, das Rating an die Realität anzupassen.

Gruß
C.

Die Ratingagenturen werden von ihren Kunden dafür bezahlt, daß
sie das Anlagerisiko einschätzen und der Kunde prüfen kann, ob
die Zinsen zum Risiko passen. Wirtschaftspolitische Ziele
werden die nicht haben, dafür gibt es Regierungen.

Man sollte hinzufügen, dass institutionelle Investoren (Pensionsfonds, etc.) per Gesetz verpflichtet sind, in AAA geratete Anleihen zu investieren. Emittenten müssen also, um ihre Finanzprodukte an institutionelle Investoren verkaufen zu können, für diese ein Rating „auftreiben“. Dieses bieten die Ratingagenturen an. Das perverse ist ja jedoch, dass die Emittenten zum Teil die Finanzprodukte zusammen mit den Ratingagenturen entwerfen um ein entsprechendes Rating vorweisen zu können. Interessenkonflikte sind nicht ganz ausgeschlossen.

Die Ratingagenturen werden von ihren Kunden dafür bezahlt, daß
sie das Anlagerisiko einschätzen und der Kunde prüfen kann, ob
die Zinsen zum Risiko passen. Wirtschaftspolitische Ziele
werden die nicht haben, dafür gibt es Regierungen.

Man sollte hinzufügen, dass institutionelle Investoren
(Pensionsfonds, etc.) per Gesetz verpflichtet sind, in AAA
geratete Anleihen zu investieren.

Nein, das sollte man besser nicht hinzufügen, weil das allenfalls in den Anlagerichtlinien bzw. in der Satzung steht.

Ratingagenturen an. Das perverse ist ja jedoch, dass die
Emittenten zum Teil die Finanzprodukte zusammen mit den
Ratingagenturen entwerfen um ein entsprechendes Rating
vorweisen zu können.

Diese Darstellung kann ja nur Mißverständnisse hervorrufen.

Also: bei ganz normalen Staatsanleihen gibt es nichts zu entwerfen. Bei strukturierten Finanzprodukten sieht das schon einmal anders aus und selbst da richtet man sich bei der Strukturierung weniger nach den Ratingagenturen, sondern insbesondere nach aufsichtsrechtlichen Vorgaben. Die Ratingagenturen kommen erst bei der Frage ins Spiel, wie groß die nachrangigen Tranchen sein müssen, damit die erstrangige Tranche ein AAA oder AA erhält. Daran kann ich nichts perverses finden; ganz davon abgesehen, daß das endgültige Urteil die Agentur alleine fällt und zwar unabhängig vom Gerede vorher. Da hat es in der Vergangenheit auch schon die ein oder andere Überraschung gegeben.

Interessenkonflikte sind nicht ganz
ausgeschlossen.

Man sollte bei aller Kritik nicht vergessen, daß die Ratingagenturen davon leben, daß man ihnen vertraut. Daß das ein oder andere Papier in der Vergangenheit versehentlich etwas zu gut bewertet wurde, hat durchaus Konsequenzen gehabt. Die Agenturen sind transparenter, kritischer und unabhängiger geworden. Diese Maßnahmen wird man nicht dadurch ad absurdum führen, daß man irgendwelche Absprachen zum Nachteil der Anleger trifft.

Hallo www.Franz,

Welche
Ziele verfolgen die Ratingagenturen, wenn sie deratiges in
zunehmendem, teils unerwartetem und verstärktem Maß in Kauf
nehmen? Mittel- und langfristig schaffen sie doch
unnötigerweise Unsicherheit und Krisen…

Franz

zunächst sei auf meine kürzlich hier verfassten 3 hintereinander liegenden Beiträge verwiesen

/t/wieso-keine-europaeischen-ratingagenturen/6467517/10

Aber auch auf wikipedia, die hier ein ganz gutes Bild zu Ratingagenturen vermitteln

http://de.wikipedia.org/wiki/Ratingagentur

Ratingagenturen sind ja eigentlich NICHT dazu da, nach Stimmung der Weltwirtschaft ihr Urteil so auszurichten, dass es möglichst einer positiven Stimmung(swende) förderlich ist. Sie sollen die wahren Verhältnisse über die Chance der Rückzahlung zeigen. Klar, wenn man so eine dominante Stellung, wie die Ratingagenturen Moodys und S&amp:stuck_out_tongue_winking_eye: sie haben, innehat, kann ein negatives Urteil schnell zu einer selbsterfüllenden Prophezeihung werden. So weit so gut. Das müssten sie dann auch berücksichtigen, was ja ein Widerspruch in sich wäre. Ich soll die künftige wirtschaftliche Lage beurteilen und diese hängt - vielleicht auch - von meinem Urteil ab. So beißt sich die Katze in den Schwanz.

Wir müssen denke ich grob zwischen der Beurteilung von Unternehmensanleihen, Staatsanleihen und Bankanleihen durch Ratingagenturen unterscheiden.

Zu Unternehmensanleihen. Das Volumen ist in den letzten 3 Jahrzehnten explodiert. Dadurch wurden Bankkredite - zumal in Relation dazu - enorm in den Hintergrund gedrängt. Die Bonität der Analyse war und ist schlecht (Interessenkonflikte wurden ausgiebig erläutert - siehe links oben). Dadurch hat sich auch die Analysebonität der Banken wesentlich verändert/verschlechtert (lean banking). Gegen Betrug zum Beispiel (auch diese Fälle wurden in den links beschrieben) ist man zwar nie vollständig gesichert, aber gründliche und überraschende Stichproben, wie sie früher von Banken bei Unternehmen weit verbreitet waren, finden so gut wie nicht mehr statt. Die Immobilienkrise war auch kein wesentliches Betrugsthema.

Bankenanleihen. Eine vernünftige Analyse gab es nie - weder von den Banken, noch von den Ratingagenturen. Es war name lending. Nach den Desastern der letzten Jahre hat sich das etwas verbessert, ist aber immer noch völlig unzureichend. Das gilt insbesondere für Tranparenz und die indirekten Effekte der Krisen (Stichwort Dominoeffekt der Bankenforderungen) und den Zeitaufwand für die Analysen (wurde auch schon in den links beschrieben).

Staatsanleihen. Im Grunde gilt fast das gleiche, wie bei den Bankanleihen, nur natürlich mit eher volkswirtschaftlichem Schwerpunkt. Aber allein die Seriösität einer Rechnungslegung/eines Staatshaushaltes ist ein Problem. Aber da hat man natürlich immer auf die Organisationen gesetzt. Der Warschauer Pakt sollte für die Zahlungsfähigkeit seiner Mitglieder sorgen (wie lange haben alle Investoren das geglaubt) und die EU (besonders Deutschland) für seine Mitglieder. Auch das war eben name lending. Die Ratingagenturen (eigentlich auch viele Investoren) haben sich auch darauf verlassen und daher oft zu gut bewertet. Das Vertrauen auf die Organsation ist auch kein großer Fehler - es fehlt nur ein „Zwischenrating“ wie bei einem besicherten Kredit. Man könnte zum Beispiel sagen - Auf sich allein gestellt - ungenügend, aber wir hoffen auf die Organisation (die dann aber auch entsprechend einem Bürgenrating auf Belastbarkeit bei allen Garantien, die da so gewährt wurden, zu prüfen wäre - auch da sind Warschauer Pakt und EU/Deutschland gute Beispiele).

Die Ratingagenturen wissen natürlich um diese Probleme. Sie wissen, dass sie bei den verschachtelten Immobilienanleihen versagt haben und auch bei den Bank- und Staatsanleihen. Also versuchen sie sich zu ändern - zu verbessern. Wenn man sich auf Deutschland als Retter nicht mehr verlassen kann und viele Hunde des Hasen Tod sind und zunehmend das (früher mehr oder weniger vertuschte) Schuldendesaster immer klarer wird, muss sich eine Ratingagentur dieser neuen Wahrheit anpassen. Da sind Aspekte dabei, die neu sind und solche, die man hätte schon viel früher erkennen können.

Fazit: Die Welt finanziert sich immer mehr über Anleihen und sucht nach einem schnellen und hoffentlich richtigen Urteil über die Bonität des Schuldners. Es müsste aber noch vieles geändert werden, um dazu zu kommen. Also bleibt nur den Oligopolisten Ratingagenturen sich notdürftig den Realitäten (oft im nachhinein)
anzupassen.

Mit einem fundierten Urteil hat das meist wenig zu tun. Allerdings muss man sagen, dass auch fundierte Analyse der Banken in vergangenen Zeiten (wie auch die Kreditarbeit als Ganzes) immer Mangelverwaltung war, aber natürlich bei den Mängeln an zuverlässigen Informationen und immer weniger Zeit nicht besser werden kann.

„Der Markt“ (incl der kleinen Sparer, die auch für ihre Rente vorsorgen) muss sich überlegen, ob er weiter auf solche Unzulänglichkeiten bauen will/kann und die Banken müssen sich überlegen, ob sie in diese Vetrauenslücke als zuverlässiger Anlagepartner wieder einsteigen könnten (sich aber radikal dazu ändern müssten). Und die Gesetzgeber weltweit müssten einiges dort tun, wo die Selbstheilungskräfte des Marktes zu schmerzhaft und zu spät eingreifen würde. Dazu müsste sich vieles ändern - das sehe ich leider nicht.

Schönen Gruß von ikarusfly

Hallo ikarusfly,

ein herzliches Danke für diesen Beitrag. Er hat mehr Antworten geliefert als ich gesucht habe :smile:

Danke auch an die anderen für ihre Antworten. Die ich anfänglich etwas einseitig eingeschätzt habe, sich nun aber relativieren.

Franz