Hallo Franke,
„von nichts kommt nichts“?
So einfach ist das nicht, zumindest dann nicht, wenn man es nur an den Betroffenen festmacht. Vorab gesagt: ob es sich bei dem Fall hier um Mobbing oder nicht handelt, mag ich nicht sagen. Dafür sind die Infos zu dünn!
Aber zum Thema Mobbing. Mobbing ist meist kein individuelles Problem zwischen zwei Leuten. Mobbing setzt voraus:
- keine einzelne Handlung/en, sondern ein Verhaltensmusster
- ungleiche Machtverhältnisse
Diese ungleichen Machtverhältnisse können darin begründet sein
a. dass der eine stärker ist als der andere
b. der eine einen höheren Rang in der Organisation / im System hat
c. Viele gegen Einen / Wenige stehen.
Angenommen, in vorliegendem Fall wäre es Mobbing. Dann könnte der Junge nur dann etwas alleine unternehmen, wenn a. zutrifft. In den Fällen b und c kommt er alleine nicht weiter! Insofern sind die Vorschläge abnehmen und / oder Kampfsport etc. dann hinfällig.
Außerdem gilt, dass Mobbing, das in einem System (hier Schule) stattfindet, meist auch systemische Ursachen hat, zumindest gilt dies dann, wenn es sich entwickeln kann und Bestand hat (mehrere Mobbingsituationen, langes Mobbing). Dann liegt der Fehler im System und nicht bei den Betroffenen!
Hierzu ein Paradebeispiel:
Mein Sohn hat Mittel- und einen Teil der Oberstufe verbracht an einer Schule, die Mobbingkultur fördert. Warum ich mir dieses harte Urteil erlaube, folgt.
Erste Wahrnehmung davon bekam ich, bei dem an andere Stelle bereits angesprochenen Beispiel, dass ein Junge schon am Tag der Einschulung aussen vor stand, sofort gepiesackt wurde. Aus dem Piesacken einiger weniger wurden viele, es wurde systematisch… Mobbing. Mein Sohn wurde schon nach wenigen Wochen vor die Wahl gestellt: Entweder, du machst mit, oder du wirst auch gemobbt. Er hat es mit solidarisieren versucht, wurde gemobbt. Er hat es mit „bisschen“ mobben versucht und fiel auf. Woraufhin ich mit 2 anderen Eltern das Thema intensiv versucht habe anzusprechen (zunächst beim Klassenlehrer, dann beim Rektor) - ohne Erfolg.
Der betreffende Junge ist nach 1,5 Jahren völlig zerrüttet und verhaltensgestört von der Schule gegangen.
Der Grundtenor „des Systems“ blieb aber. Im Laufe der Jahre zeigte sich, dass das ganze Schulsystem Nährboden für Mobbing war: „Piesacken“ wurde weit gehend ignoriert, andererseits Denunziation gefördert, einige Lehrer (nicht alle!) haben selber durch Äußerungen gefördert, dass in „wertige“ und „weniger wertige“ Schüler unterschieden wurde, erstere bevorzugt. Massiv ungerechte Reaktionen der Lehrer (die es immer geben kann), wurden nicht aufgearbeitet, sondern blieben im Raum stehen. Solidarisierungsversuche mit den Mobbingopfern wurden im günstigen Fall durch Missachtung gestraft, im ungünstigen Fall als Verstoß gegen das Ordnungssystem gewertet… (mehr Beispiele kann ich nachliefern).
Ergebnis: Es gab überall an der Schule die Mobber, die Gemobbten und einen relativ kleinen Teil „Neutraler“, die sich irgendwie versucht haben durchzumogeln, sich aber nicht getraut haben, mit den Gemobbten zu solidarisieren, weil das von der Schule nicht gestützt wurde!
Mein Sohn hat dann kurz vor dem Abi die Schule gewechselt. Es hat nur wenige Tage gedauert, da meinte er verblüfft, erleichtert: An dieser Schule wird nicht gemobbt. Selbst Piesacken hätte gar keinen Raum. Wenn ich jemanden so ärgern würde, wie es an der andern Schule Tagesordnung war, dann würde keiner der Mitschüler lachen, das gut finden. So etwas hat weder bei den Schülern noch bei den Lehrern nur einen kleinen Nährboden! Irgendwelche abfälligen Aussagen, wie sie auch den UP betreffen, aber auch Aussagen zu Herkunft (sozial oder kulturell) etc. sind an dieser Schule schlicht NoGo!
Schule und Lehrer vermitteln (und versuchen auch vorzuleben), dass ein derartiges Verhalten asozial ist, also nicht den Normen dieser Gesellschaft / des Systems dieser Schule entsprechend. Weil diese Schule sich die Normen klar auf die Fahne geschrieben hat, dass ein solches Verhalten nicht gewünscht ist.
Und damit ist klar, warum Mobbing kein individuelles Problem ist. Wir müssen uns in jedem System, in dem wir uns bewegen (Familie, Freundeskreis, Schule, Arbeitsstelle, Gesellschaft), die Frage stellen, was unserer Norm ist. Diese Frage stellt sich dann auch beim UP (völlig unabhängig, ob Mobbing oder nicht): Ist es unserer Norm (also dem gewünschten Rahmen) entsprechend, dass ein anderer als Fettsack tituliert und gegen die Wand gedrückt wird. Ist das „normal“ (nicht als „üblich!“). Alles andere leitet sich dann aus der Antwort auf diese Frage ab.
LG Petra