Rechtschreibung: sich selbst verwirklichen

Guten Tag,

„Ich möchte mich selbstverwirklichen!“ oder „Ich möchte mich selbst verwirklichen!“ - Was ist korrekt?

Ich bevorzuge eindeutig die erste Variante, aber im Duden gibt es kein ‚selbstverwirklichen‘, nur die Selbstverwirklichung. Als Beispiele sind dort ‚selbst backen‘, ‚selbst machen‘ angeführt. Ich finde nun aber, dass das nicht ganz vergleichbar ist. Wenn ich sage, ich möchte mich selbstverwirklichen, dann betone ich die erste Silbe (das selbst), wenn ich sage, ich möchte mich selbst verwirklichen, dann spreche ich das ja ganz anders aus, oder?

Vielen Dank
blaubeere

Guten Tag!
Meine unmaßgebliche Meinung: Bevor du nun gar überlegst, ob es nun heißt: „Ich verwirkliche mich selbst“ older „Ich selbstverwirkliche mich“ u. dgl., sag doch einfach: „Ich verwirkliche mich.“ Das „Selbst-“ drückt doch eigentlich nur die Rückbezüglichkeit aus.
Gruß
Sepp

Moin, Du dich Selbst- und Unsfragende,

das Verb „selbstverwirklichen“ gibt es nicht nur im Duden nicht, sondern auch nicht in anderen Online-Wörterbüchern:
http://www.canoo.net/services/Controller?input=selbs…
http://www.dwds.de/?kompakt=1&sh=1&qu=selbstverwirkl…
(Dort gibt es im Korpus 100 Belege für „Selbstverwirklichung“ und ein paar wenige andere Nomen mit dem Stamm „selbstverwirklich*“, aber kein einziges Verb)
http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/services/s…
finden keine Einträge

Im umfangreichen Textkorpus der Uni Leipzig gibt es nur einen Beleg für den Infinitiv des Verbs
http://wortschatz.uni-leipzig.de/cgi-portal/de/wort_…
Die flektierten Formen selbstverkliche, selbstverwirklicht, selbstverwirklichte werden nicht gefunden. Wenn Du Lust hast, probier’s mit anderen Formen aus. (Das Korpus findet nicht selbständig die vom Infinitiv abgeleiteten Formen)

Nehmen wir mal andere Beispiele: es gibt die Nomen Selbsternennung, Selbst[ver]achtung, Selbstverantwortung, Selbstverblendung, Selbsthilfe, Selbstverbrennung, usw.
Aber „er selbsternannte sich, ich selbstachte mich, selbsthelfe mir, er selbstverbrannte sich“ usw. - das geht nicht.

„Ich möchte mich selbstverwirklichen!“ oder „Ich möchte mich selbst verwirklichen!“
Ich bevorzuge eindeutig die erste Variante,

Das sei Dir unbenommen, jeder wird Dich verstehen, durch Deine individuelle Orthographie erhält das Wort eine persönliche Bedeutungsnuance - in „offiziellen“ Schreiben würde ich es vermeiden.

Ich selbstverabschiede mich :wink:
Pit

Vielen Dank für die Antworten.

Die Sache ist deshalb heikel, da es um einen Text geht, den ich korrigieren muss, und dort steht eben: „Ich möchte mich selbstverwirklichen“. Was mir ja eigentlich auch einleuchtet, aber wenn es nach der aktuellen Rechtschreibung falsch ist, muss ich es korrigieren, aber eben nur dann.

Die Regel habe ich mir jetzt so zusammengereimt: selbst + Verb wird immer getrennt geschrieben: selbst backen, selbst anzeigen, selbst verwirklichen… Als adjektivisch gebrauchtes Partizip kann man es auch in einem Wort schreiben: das selbstgebackene Brot, die selbstverwirklichte Frau. Als Substantiv natürlich ohnehin zusammen: Selbstanzeige, Selbstverwirklichung.
Nur leider weiß ich immer noch nicht 100 %, ob das wirklich stimmt?!

Hallo!

„Ich möchte mich selbstverwirklichen!“ oder „Ich möchte mich
selbst verwirklichen!“ - Was ist korrekt?

Beides - wie Du ganz richtig erkannt hast, gibt es einen Unterschied in der Betonung und in der Bedeutung:

  1. Ich möchte dieses Projekt selbst verwirklichen und nicht Paul überlassen.
    1a *Ich möchte dieses Projekt selbstverwirklichen und nicht Paul überlassen.
  2. Ich möchte mich mit diesem Projekt selbst verwirklichen.
    2a. Ich möchte mich mit diesem Projekt selbstverwirklichen.

Im Beispielsatz 2 sind beide Varianten denkbar, nicht aber im Beispielsatz 1. Der Satz 1a ergibt keinen Sinn und ist eindeutig ungrammatisch. Der Unterschied ist: Während im ersten Beispielsatz „selbst“ inhaltlich ein Bestandteil des Satzes ist, nimmt es im zweiten Beispiel eher den Charakter eines Wortbestandteiles an - und Wörter werden in der Regel zusammengeschrieben. Deswegen vermutlich die Tendenz des Autors, auch hier zur Zusammenschreibung zu greifen.

Die neue Schreibweise bringt also die Fokusierung auf eine bestimmte Bedeutung mit sich - oder vielmehr umgekehrt: Die zweite Bedeutung führt allmählich zu einer Änderung der Schreibweise. Das ist ähnlich wie im folgenden Beispielen, wo der Wandel vom konkreten zum abstrakten durch die geänderte Schreibweise angezeigt wird.

Ich werde den Sekt kalt stellen.
Ich werde meinen Chef kaltstellen.

Der Pferdefuß dabe ist: Dieser Wandel dürfte im Falle von „selbstverwirklichen“ sich aber vielen Sprechern noch nicht vollzogen haben, das dürfte ein Wortbildungsprozeß sein, in dem wir noch mittendrin stecken.
Google findet 700 Einträge zu „Ich will mich selbstverwirklichen“, aber über 14 000 zu „Ich will mich selbst verwirklichen.“

Grammtikalisch kann man „selbstverwirklichen“ als so genannte Rückbildung sehen.

http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCckbildung_(Lingu…
Notlandung --> notlanden
Selbstverwirklichung --> selbstverwirklichen

So, die Entscheidung kann ich dir jetzt nicht abnehmen. Dein Autor hat sich dabei etwas gedacht, auch wenn es ihm nicht bewusst war, und es gibt durchaus Regeln in der Sprache, die seine Ansicht stützen. Als Autor ist er ein Multiplikator, also jemand, der den Sprachwandel mit beeinflusst. Der Duden macht nichts anderes, als das aufzuzeichen, was Autoren schreiben. Wenn also Autoren nur das schreiben, was im Duden steht, und der Duden nur das schreibt, was bei den Autoren steht, dann dreht sich die Sprache im Kreis.

lg,
Max