Schrott oder Schrott auf Zeit in Thessaloniki
Hallo Paul,
Lokomotiven werden in der Regel ziemlich kurz nach dem Z-Stellen unter den Schneidbrenner geschickt; je nach Konjunktur am Schrottmarkt verbringen sie vielleicht mal zwei-drei Jahre auf dem Abstellgleis, aber selten mehr… Das dürfte damit zu tun haben, dass in Lokomotiven nicht bloß Stahl, sondern u.a. auch mehr oder weniger viel Kupfer verbaut ist, und dass der Stahl sich relativ leicht ohne viel Plastikgedöns usw. gewinnen lässt.
Wenn das Material einmal durch den Schneidbrenner und daher nicht mehr rollfähig ist, spielen auch Transportkosten für den Schrott eine erhebliche Rolle: Man braucht da die Nähe zu Industriebetrieben, die den Schrott verarbeiten. Nicht ganz zufällig sitzt der bedeutendste Lokomotivenverschrotter in D in Opladen. Ob es in Griechenland überhaupt noch Hüttenindustrie gibt, weiß ich nicht; eventuell stehen noch in Jugoslawien irgendwelche Werke, die die Zerstörung der VR Jugoslawien überstanden haben.
Im Fall Thessaloniki gibt es kein Personal mehr bei der OSE, das sich um die Zerlegung kümmern könnte, selbst wenn sie sich rechnet - es fehlt schon an Leuten, die überhaupt den Schrott vermarkten und die Verschrottung beschließen und organisieren könnten, und wenn man das organisiert kriegte, gäbe es niemanden, der sie auch durchführen kann. Außerdem wird eventuell damit gerechnet, dass einzelne auf Geheiß der Troika stillgelegte Linien künftig wieder betrieben werden können - immerhin gibt es nach zeitweiliger Einstellung aller internationalen Verbindungen wieder ein tägliches Zugpaar Richtung Skopje - Belgrad und ich glaube auch eines Richtung Drama - Istanbul; vielleicht wird auch auf anderen stillgelegten Linien ein Minimalverkehr wieder aufgenommen, und dafür sind Wagen, die einige Jahre abgestellt waren, billiger wieder einsatzfähig zu kriegen, als wenn man sie von irgendwoher gebraucht anschaffen müsste: Abgewirtschaftetes Material aus Deutschland und Frankreich ist im ganzen Balkan gefragt, und entsprechend sind die Preise für „Gebrauchte“: In Rumänien laufen etwa sechzig Jahre alte Dieseltriebwagen aus Frankreich und etliche etwa dreißig Jahre alten VT 628 aus Deutschland. in den selbständigen Teilstaaten der VR Jugoslawien haben die etwa fünfzig Jahre alten V 100 von DB und DR nochmal ein neues Zuhause gefunden, in Albanien stehen und fahren manchmal auch die noch ein wenig älteren V 200 der DB. Dementsprechend könnte es auch sein, dass die Fahrzeuge in Thessaloniki in Reserve stehen für den Fall, dass jemand eingestellt werden darf, der sich um die Verwertung auch ohne Verschrottung kümmern kann.
Hab jetzt länger nichts mehr von den „Privatisierungs“-Plänen für die OSE gelesen - letzter Stand, den ich kenne, war, dass SNCF und DBAG im Konsortium bieten wollten. Woran das gescheitert ist, weiß ich nicht - eventuell an den ziemlich rigiden Vorschriften betreffend Personaleinsatz und -entlohnung bei der OSE: Nur Rangierlokomotiven dürfen mit einem Mann besetzt fahren, alles, was auf die Strecke geht, muss mit zwei Mann besetzt sein, und mit rund 50.000 € brutto gehör(t)en Lokführer zu den vergleichsweise komfortabel verdienenden Griechen.
Ein rein griechisches Thema ist das allerdings nicht - es gibt u.a. auch in D Strecken, für die das Stilllegungsverfahren abgeschlossen ist, auf denen aber die Gleise noch teils vollständig liegen und teils alles, was sich nicht auf Anhieb losschrauben lässt. Relativ effizient kann man Gleise nur verschrotten, wenn der Oberbau und vor allem die Schwellen recht leicht ausgeführt sind, so dass man ganze Gleisjoche abschneiden und mit relativ leichtem Gerät ausheben kann. Sonst muss man tatsächlich Schraube für Schraube (an jeder Schwelle vier) lösen, das ist auch maschinell einen Haufen Handarbeit. Bloß in der Ära Mehdorn wurden aufgegebene Gütertarifpunkte in Windeseile unbefahrbar gemacht - das lag aber nicht am Interesse am Schrott, sondern geschah aus panischer Angst, dass ein Wettbewerber den ungeliebten Güterverkehr in der Fläche übernehmen könnte.
Schöne Grüße
MM