Reformierter Unionsvertrag- was gemeint?

Hallo Zusammen,
Eine schüchterne Frage von jemandem, der nicht sehr bewandert ist auf dem Gebiet (mir)
Ist mit dem reformierten Unionsvertrag der Vertrag von Lissabon gemeint?
Schon oder?
Oder doch nicht?

LG

Ja und nein. Der Unionsvertrag ist der Vertrag über eine Europäische Union von 1992 (EUV oder Maastricht-Vertrag). Dieser wird nun durch den Vertrag von Lissabon geändert / ergänzt. Der Vertrag von Lissabon ersetzt also nicht die alten Verträge, sondern ergänzt diese nur. Dies tut er allerdings relativ umfassend, so wird zum Beispiel das System der drei Säulen, dass eine wesentliche Neuerung des EUV war, abgeschafft. Der „reformierte Unionsvertrag“ ist also EUV alt + Lissabon = EUV neu.

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Keine drei Säulen?Einfluss auf privatrechtl.Ebene?

so wird zum Beispiel das System der drei
Säulen, dass eine wesentliche Neuerung des EUV war,
abgeschafft.

Ehrlich?? Und wie viele Säulen werden es nun?
Kann ich irgendwo mehr darüber nachlesen?

Ist es überhaupt ganz ganz sicher, dass der neue Vertrag in Deutschland ratifiziert wird?

Und wirkt der reformierte Vertrag sich auch auf zivilrechtlicher Ebene aus?

Statt drei Säulen gibt es gar keine Säulen mehr. Es gelten dann für alle Politikbereiche dieselben Abstimmungsregeln und Verfahren. Ausnahme bleibt aber die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die existiert aus politischen Gründen weiterhin außerhalb der jetzigen Gemeinschaftsstruktur.

Der Vertrag wurde diese Woche in Deutschland ratifiziert. Ob er aber in Kraft tritt, steht bisher noch in den Sternen. Das kann nämlich nur geschehen, wenn der Vertrag in allen (!) Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wird. Ziel ist es, dass der Vertrag vor den nächsten Wahlen zum Europaparlament 2009 in Kraft tritt.

Wie bisher gilt, dass europäisches Recht vor nationales Recht geht und man somit zivilrechtlich klagen kann, wenn man der Meinung ist eine nationale Vorschrift verstößt gegen europäisches Recht. Das ist aber nicht neu. Im zivilrechtlichen Sinne wirklich interessant ist die Grundrechtecharta, die durch den Vertrag von Lissabon eingeführt wird. Diese werden nämlich in den meisten Ländern (außer UK, wenn ich das richtig in Erinnerung habe) individuell einklagbar sein. Zwar gab es vorher schon ein Erklärung zu den Grundrechten, aber das war eben nicht rechtsverbindlich.

Ausführliche und verständliche Informationen sollte man eigentlich hier finden: www.bpb.de . Noch ausführlichere, dafür aber etwas wissenschaftlichere Erläuterungen, gibt es sicherlich hier: www.swp-berlin.org. Die haben eine Forschungsgruppe, die sich mit Fragen der Europäischen Integration befasst und garantiert was zum Vertrag von Lissabon veröffentlicht hat.

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Vielen Dank!!! und…
Erst einmal vielen lieben Dank!
Für die ausführlichen Antworten und die Links!
Beginne die Thematik gerade richtig spannend zu finden(und das als ehemaliger Politikmuffel)

Ausnahme bleibt aber die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP), die existiert aus politischen
Gründen weiterhin außerhalb der jetzigen
Gemeinschaftsstruktur.

Was sind diese pilitischen Gründe? Das wird mir nicht recht klar.

Der Vertrag wurde diese Woche in Deutschland ratifiziert. Ob
er aber in Kraft tritt, steht bisher noch in den Sternen. Das
kann nämlich nur geschehen, wenn der Vertrag in allen (!)
Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wird. Ziel ist es, dass
der Vertrag vor den nächsten Wahlen zum Europaparlament 2009
in Kraft tritt.

Es kann also geschehen, dass der Vertrag, wie die EU-Verfassung dammals scheitert?

Wie bisher gilt, dass europäisches Recht vor nationales Recht
geht und man somit zivilrechtlich klagen kann, wenn man der
Meinung ist eine nationale Vorschrift verstößt gegen
europäisches Recht.

Dann klagt man aber vor dem BGH und somit auf öffentlich rechtlicher Ebene und eben nicht zivilrechtlich!

Im zivilrechtlichen Sinne wirklich interessant ist die
Grundrechtecharta, die durch den Vertrag von Lissabon
eingeführt wird. Diese werden nämlich in den meisten Ländern
(außer UK, wenn ich das richtig in Erinnerung habe)

(und Polen)
die in der Grundrechtscharta festgehaltenen Rechte, sind aber Rechte, welche das Verhältnis zwischen Staat und Bürger regeln und daher nicht prvatrechtlicher Natur sind.

individuell einklagbar

Ja! Aber in Form einer Verfassungsbeschwerde

Was allerdings stimmt, ist die Tatsache, dass es Einfluss auf das Zivilrecht gibt.Im Verbraucherschutz z.B soll sich gemäß Vertrag einiges ändern. Mehr habe ich noch nicht im Zivilrecht finden können. habe aber noch nicht lange gesucht.

LG

Ausnahme bleibt aber die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP), die existiert aus politischen
Gründen weiterhin außerhalb der jetzigen
Gemeinschaftsstruktur.

Was sind diese pilitischen Gründe? Das wird mir nicht recht
klar.

Außen- und Sicherheitspolitik ist eine Kernaufgabe des Staates, hier vertritt er seine Interessen gegenüber anderen Staaten. In der heutigen Welt macht das alles zwar nur noch halb soviel Sinn, aber letztendlich will man keine EU Außen- und Sicherheitspolitik, weil man befürchtet gegen seinen Willen bestimmte Positionen mittragen zu müssen. Denn wenn die GASP denselben Status wie alle anderen Politikbereiche hätte, also vergemeinschaftet wäre, dann hätte das Europäische Parlament eine viel stärkere Position und Entscheidungen in der GASP würden mit Mehrheit und nicht Einstimmigkeit gefällt. Das ist aber nicht im politischen Interesse der meisten Mitgliedstaaten.

Es kann also geschehen, dass der Vertrag, wie die
EU-Verfassung dammals scheitert?

Genau, wobei es dieses mal nur ein Referendum gibt und die Parlamente in allen Mitgliedstaaten sehr wahrscheinlich den Vertrag ratifizieren werden. Lediglich das Referendum in Irland (im Juni) ist kritisch, da die Iren evtl. dagegen stimmen, auch aus innenpolitischen Gründen. Dort hat der derzeitige Premierminister größere Probleme mit Korruptionsvorwürfen und tritt im Mai zurück, also vor dem Referendum. Er wollte wohl verhindern, dass die Iren das Referendum nutzen um über die irische Innenpolitik abzustimmen.

Meine Anmerkungen zum Zivilrecht waren in der Tat etwas kompakt, da weisst du sicher besser Bescheid. Natürlich kann der Bürger vorm EUGh nur gegen die Normverletzung in einem Mitgliedstaat klagen. Aber was ist mit zivilrechtlicher Zusammenarbeit, vielleicht gibt es da Neues im Vertrag von Lissabon? Immerhin wurde diese Justiz-Säule ja jetzt vergemeinschaftet.

Außen- und Sicherheitspolitik ist eine Kernaufgabe des
Staates, hier vertritt er seine Interessen gegenüber anderen
Staaten.

Aha! Macht Sinn!!!..Wow

wobei es dieses mal nur ein Referendum gibt

Damit oute ich mich wieder als Politik- Leie… aber was ist ein Referendum?

Aber was ist mit zivilrechtlicher
Zusammenarbeit, vielleicht gibt es da Neues im Vertrag von
Lissabon? Immerhin wurde diese Justiz-Säule ja jetzt
vergemeinschaftet.

Das ist wieder die falsche Spur :smile: Denn die Justiz-Säule bezieht sich auf polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen(!!!). Also wieder gerade nicht auf das Zivilrecht. Die Änderungen, welche auf privatrechtlicher Ebene auftreten könnten, sind bei der ersten Säule,der EG- Säule zu suchen. Diese werden wohl auch nicht unmittelbar im Vertrag stehen, sondern sich aus den Richtlinien ergeben, welchen später von den Ländern einzeln erlassen werden müssen, um den Vorgaben gerecht zu werden.
Um mal mit einem älteren Beispiel zu kommen: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Arbeitsrecht wurde vor Jahren erlassen, um den europarechtlichen Vorgaben an die Gleichstellung gerecht zu werden.

VLG

Damit oute ich mich wieder als Politik- Leie… aber was ist
ein Referendum?

Volksabstimmung.

Denn die Justiz-Säule
bezieht sich auf polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit
in Strafsachen(!!!).

Hauptsächlich schon. Aber nicht nur. Zum Beispiel hat der Minsterrat der EU-Justizminister/Innenminister einen Ausschluss, der sich mit zivilrechtlichen Angelegenheiten auseinandersetzt. Und Angleichung des Zivilrechts in Europa war zumindestens früher immer ein Thema. Deswegen hätte ich mir vorstellen können, dass in Verträgen solche Sätze stehen wie „verpflichten sich das Zivilrecht anzugleichen…“.

Volksabstimmung.

aha! Sieh an!!!

Deswegen hätte ich
mir vorstellen können, dass in Verträgen solche Sätze stehen
wie „verpflichten sich das Zivilrecht anzugleichen…“.

Der Sache werde ich auf den Grund gehen!!!
Vielen vielen Dank