Hallo Igelchen,
das ist seit einigen Jahren eine „moderne“ Unterrichtsmethode, die als Hauptziel hat, dass das Kind Spaß am Schreiben, sprich Spaß am Produzieren von Texten hat. Die Idee entspricht in etwa einem Kunstunterricht für Anfänger (egal welchen Alters). Man stelle sich vor wie angenehm es ist, einfach ein Werkzeug (Pinsel) in die Hand zu nehmen und drauflos zu produzieren. Macht echt Spaß. Man hat schnell was hergestellt, hat was zum Vorzeigen, kann gelobt werden und jedes neugelernte Wissen kann man anwenden und seine Produkte von Zeit zu Zeit immer weiter verbessern.
Dieses Prinzip soll angeblich beim Schreiben ebenso viel Erfolg bringen. Das Hauptinteresse der Lehrer/Pädagogen/Didaktiker ist das Vermeiden von Schreibhemmungen/Schreibblockaden. Es soll in früheren Zeiten vorgekommen sein, dass ein Schüler die Rechtschreibung nicht richtig kannte und sich dann nicht getraut hatte, etwas zu schreiben (aus Angst vor Rügen). Mit der neuen Methode soll jedem Kind ermöglicht werden, frei von Rügen und daher frei von Angst seine ersten Anfangstexte zu produzieren und stolz auf seine Ergebnisse zu sein.
Im Alltag begegnet das Kind allerdings einigen Erwachsenen, die zwar das fröhliche stolze Gesicht des Kindes beim Vorzeigen seiner ersten Texte sehen, und es dann zwar gerne loben würden, aber beim Anblick der Rechtschreibfehler da doch etwas Schwierigkeiten haben. Die vom Kind erwarteten Lobe werden nicht immer im Sinne der modernen Pädagogik ausfallen. Als Mutter braucht man zum einen starke Nerven, um mit der eigenen Angst - schafft mein Kind das denn? - fertig zu werden. Zum anderen muss sie auch die anderen Erwachsenen im Umfeld des Kindes über das moderne Konzept rechtzeitig(!) informieren, da sonst das Kind bei ausbleibenden Loben oder gar entsetzten Gesichtern recht enttäuscht sein würde.
Ich persönlich bin der Meinung, dass die Nachteile größer als die Vorteile sind und halte daher nichts von diesem Konzept, sofern es als Grundlage zum Schreibenlernen angesehen wird. Sollte es sich um phasenweisen Spaß im Unterricht handeln, ist eigentlich wenig dagegen einzuwenden.
Für mich sprechen 4 Hauptgründe dagegen:
1.) Wenn ein Kind gleich zu Beginn des Schreibenlernens erlebt, dass es einfach drauflos schreiben und sich hierdurch ausdrücken kann, ja warum soll es dann noch lernen richtig zu schreiben? Das Kind hat dann wenig Einsicht in diese Notwendigkeit und ist daher wenig motiviert.
2.) Gutes Lernen funktioniert am besten mit guter Laune und Spaß. Hierbei bleiben die ersten Eindrücke am besten haften. Und wenn man nun „ischbinklüklisch“ geschrieben hat, und das später nochmals anders schreiben soll, der tut sich schwer das zunächst für richtig empfundene Schreiben nun nochmals zu lernen. Ein zweites Lernen kann sich nicht richtig im Gehirn verankern und verursacht Verwirrung.
3.) Lernen geschieht auf mehreren Eingangskanälen (sehen, hören, sprechen, selber tun). Die beste Lernart ist das Benutzen aller Eingangskanäle (=ganzheitliches Lernen). Nun ist es aber so, dass einige Kinder bei einigen Lernkanälen Schwierigkeiten haben. Beispielsweise kann jemand zwar richtig hören, das Gehörte aber im Gehirn nicht richtig umsetzen. Bei der Erlaubnis „schreiben wie man hört“ werden Fehler akzeptiert und als „zunächst normal“ gehalten. Legastheniker fallen nicht auf. Man erkennt sie erst zu Beginn des 3. Schuljahres, wenn der „Lese-Schreib-Lernprozess“ abgeschlossen ist. Würde ein Lehrer von Anfang an auf korrektes Schreiben achten, würden LRS-Kinder sehr viel früher auffallen, besonders bei d-b-p-Verdrehungen, d-t und g-k. Ebenso bei „ei“ („aber ai“ ausgesprochen).
4.) Ich bin der Meinung, dass man die Geduld eines 6-jähriges Kindes sehr wohl beanspruchen kann. Es lernt zwar seine Sätze etwas später aufs Papier zu bringen, dann aber richtig. Wenn ich heutzutage die Rechtschreibfehler so mancher Gymnasial-Lehrer sehe, kann ich nur den Kopf schütteln. Entsetzt bin ich auch darüber, dass zunehmend mehr Firmenchefs sich über die mangelnde Rechtschreibung von Abiturienten und Hochschulabsolenten ärgern.
Was kann man als Mutter tun, wenn das Kind eine Lehrerin mit „moderner“ Lernschreib-Methode hat? Fragen Sie die anderen Eltern, was sie von dieser Methode halten? Evtl. kann man sich noch vor dem Elternabend zusammensetzen und am Elternabend selber Vorschläge machen. Sie können auch die Lehrerin fragen, bis wann Sie die falsche Rechtschreibung des Kindes „ertragen“ sollen und ab wann Sie dem Kind bei der richtigen Rechtschreibung helfen dürfen. Achten Sie bei Gesprächen mit der Lehrerin/demlehrer auf die richtige Wortwahl.
Loben Sie Ihr Kind!! Es kann nichts dafür, dass es am Anfang noch nicht richtig schreiben kann. Es kann auch nichts dafür, wenn die Lehrerin am Anfang noch keinen Wert darauf legt. Das Kind vertraut seiner Lehrerin/seinem Lehrer, also lassen sie ihm dieses Vertrauen. Genau dieses braucht es, um dann bei den nächsten Schritten gut aufzupassen und dann richtig zu schreiben.
Viel Geduld und gute Nerven
wünscht Ihnen Claudia
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