Servus,
Selten so gelacht. Ich wüßte nicht, dass es Dresden besser
ging als dem Rest der Republik.
Aus Walddorf und Eibau konnte niemand aus welchem Anlass auch immer nach Dresden fahren, ohne von der gesamten Sippe mit ellenlangen Wunschzetteln bedacht zu werden.
Der Bäcker in Walddorf hätte ohne weiteres wenigstens drei Gesellen beschäftigen können, wenn er denn gedurft hätte. In der geschätzt knapp hundert Meter langen Schlange hab ich persönlich gestanden, als ich meinen Vater beim Schrippenholen begleitet habe, der diese Gelegenheit nutzte, jeden aus seiner weit verzweigten Sippe zu begrüßen, der das wollte. Die Schlange hätte sich leicht abkürzen lassen, wenn der Bäcker das notwendige Personal hätte beschäftigen dürfen. Weil aber definitiv Schluss war mit der Ausbeutung der arbeitenden Klasse, musste man halt warten - oder zur HO gehen: Die dort meistens erhältlichen Brötchen waren für das Training im in der Oberlausitz sehr populären Faustball ziemlich gut geeignet.
Der etwas betagtere Bäcker in Eibau hätte einen Nachfolger gehabt, wenn dieser denn gedurft hätte.
Die Legende von der bevorzugten Versorgung der Industriezentren mit starkem Proletariat habe ich vom Betriebsleiter der Kottmarbleiche bei Walddorf, die erst mit der letzten Verstaatlichungswelle 1972 ins Volkseigentum überführt worden ist (beiläufig ohne die Zustimmung des Eigentümers einzuholen, wie das halt so war beim Verstaatlichen), weil sie, begünstigt durch annähernd kalkfreies Wasser, ausschließlich für Quelle und Neckermann produzierte und daher als Devisenquelle dringend halbwegs effizient arbeiten musste. Dass dieser Betriebsleiter ausgerechnet der Sohn des letzten privaten Eigentümers war, hat damit zu tun, dass er rechtzeitig der LDPD beigetreten war und sich insofern als besserungsfähig, obwohl familiär vorbelastet, gezeigt hatte.
Eine andere Quelle für diese Legende, allerdings eine Generation vorher, ist ein Bergmann, der in den frühen 1950er Jahren auf Wismut Uran für die sowjetischen Atombomben schürfte. Er hatte sich aus Thüringen zur Arbeit auf Wismut gemeldet, weil es dort nicht nur sehr viel höhere Löhne gab, sondern auch die Möglichkeit, für den Lohn etwas zu kaufen.
Sicher, Bäcker, Metzger und Gärtnereien gehörten zu den Handwerken, die auch noch 1972 nicht systematisch ins Volkseigentum überführt bzw. in genossenschaftliche Produktion eingebunden wurden. Aber für den Unterhalt eines Betriebes auch in diesen Branchen brauchte es selbstverständlich eine Erlaubnis, genau wie in der BRD. Mit dem Unterschied, dass es für einen Bäcker in der DDR nicht ohne weiteres möglich war, zu erfahren, worauf die Versagung dieser Erlaubnis beruhte: Wer da jeweils und warum darauf befunden hatte, dass für eine Bäckerei an diesem Ort kein Bedarf bestünde, blieb dem wackeren Handwerksmann - der ja auch nicht den Ein- und Überblick in volkswirtschaftliche Notwendigkeiten haben konnte - ein Geheimnis. Und gänzlich unmöglich war es ihm, ggf. Rechtsmittel gegen die Versagung der Erlaubnis einzulegen.
Nun denn - jedenfalls gabs in DD offenbar genug Bäckereien, um die Stollen ordentlich zu versorgen. Ganz unabhängig davon, wann die Walddorfer Leineweber morgens aufstehen mussten, um ein paar Schrippen zu ergattern.
Schöne Grüße
MM