Reinkarnation im Christentum?

Hallo,

hier habe ich eine Seite gefunden, auf der steht, „daß das Wissen um die Karma- und Reinkarnationsgesetze zur Zeit Jesu noch selbstverständlich war und wohl auch zum urchristlichen Gedankengut gehörte“.

Zudem wird dort gesagt, dass (vor dem Hintergrund eines Briefes von Hieronymos an Demetrius), „sowohl Origenes als auch andere bedeutende frühchristliche Theologen, Philosophen und Kirchenlehrer - so zum Beispiel auch Justinus der Märtyrer (100-165), Tatian (2. Jhd.), Clemens von Alexandria (150-214), Gregorios von Nyssa (334-395), Synesios von Kyrene (370 413) oder auch der Hl. Augustinus (354-430) und der Bischof Nemesios von Emesa (um 400-450) - die Ansicht vertraten, daß die Seelen der Menschen schon vor der Entstehung der materiellen Welt vorhanden waren. Mit anderen Worten, all diese frühen Kirchenlehrer waren von der später so umstrittenen Präexistenz der Seele vollständig überzeugt“.

http://bhakti-yoga.ch/FACTS/ReinkFrChr.html

Ist es wissenschaftlich korrekt, was dort erläutert wird?

Ist die Reinkarnation im Christentum also ursprünglich „vorhanden“ gewesen? Und was genau führte dann dazu, dass diese „Idee“ nicht mehr weiter geführt wurde?

Vielen Dank für Eure Antworten!

Gruß
Istiden

Ist es wissenschaftlich korrekt, was dort erläutert wird?

nein

Hallo,

Ist es wissenschaftlich korrekt, was dort erläutert wird?

nein, das ist kompletter Bullshit. Das fängt schon mit der grotesken Zuordnung Origenes’ zum „Urchristentum“ an - diese Phase war mit dem Ende der Jerusalemer Gemeinde 70 n.Chr. abgeschlossen.

Ansonsten ist bei dem ganzen namedropping da eigentlich nur ein Name mit einer gewissen Berechtigung dabei - eben Origenes. Dazu ist zunächst einmal zu sagen, dass Origenes eine Präexistenz der Seele vertrat. Da gibt es zwar Berührungspunkte zu Reinkarnationslehren, aber trotzdem ist das bei weitem noch nicht dasselbe. Origenes lehrte Inkarnation, aber nicht Re inkarnation.

Hinzu kommt, dass Origenes’ Spekulationen (die er selbst durchaus auch als solche sieht und nicht als christliche ‚Glaubenswahrheit‘) natürlich nicht auf „urchristlichen“ Lehren beruhen, sondern auf (neu)platonischen. Gemäß Porphyrius soll Origenes Schüler von Ammonios Sakkas gewesen sein, der auch Lehrer Plotins war. In dieser Richtung wird man bei der Suche nach einer Quelle seiner Präexistenzlehre eher fündig als im „Urchristentum“.

Und was genau führte dann dazu, dass diese „Idee“ nicht mehr weiter
geführt wurde?

Das übliche Pfaffengezänk. Für die Verdammung von Origenes’ Präexistenzlehre ist vor allem der Hobbytheologe Justinian verantwortlich, der 543 ein Edikt gegen neun seiner Lehrsätze erließ. Justinian sah sich zu solchen Entscheidungen freilich auch dadurch veranlasst, dass theologische Streitigkeiten in schöner Regelmäßigkeit handgreiflich ausgetragen wurden und immer wieder zu Krawallen und Tumulten führten.

553 fand dann in Konstantinopel das 5. Ökumenische Konzil statt, das sich in erster Linie einer Beilegung des sog. ‚Drei-Kapitel-Streits‘ widmen sollte. Dabei ging es um die Reintegration der Monophysiten in die Kirche, nur am Rande um den Origenismus (die Origenisten waren da übrigens schon in Isochristen und Protoktisten gespalten). Der Papst verweigerte die Teilnahme am Konzil - weil überdeutlich war, dass bei den Konzilsentscheidungen allein Justinian das letzte Wort haben würde. Bei seinem letzten Aufenthalt in Konstantinopel hatte er erfahren müssen, wie „überzeugend“ Justinian seine Positionen vertreten konnte.

Da sich vor allem in Palästina Origenisten mit Sabaiten gewalttätige Auseinandersetzungen lieferten, kam auch das Origenistenproblem wieder auf die Tagesordnung. Die Origenisten waren dort konzentriert, nachdem viele von ihnen von ihren orthodoxen Glaubensbrüdern aus Ägypten vertrieben worden waren. Die origenistischen Proktisten waren mittlerweile mit den Isochristen derart verfeindet, dass sie sich den orthodoxen Sabaiten anschlossen und mit ihnen gemeinsam die origenistischen Isochristen bei Justinian verklagten. Der wiederum schickte der Konzilsversammlung einen Brief mit 15 origenistischen Thesen, die als Häresie verworfen werden sollten (Canones contra Origenem sive Origenistas). Der erste Canon bezog sich auf die Lehre einer Präexistenz der Seelen. Die Konzilsväter waren ihm prompt zu Willen.

Eine Versöhnung mit den Monophysiten - das eigentliche Anliegen des Konzils - gelang nicht. Der Papst und die römische Kirche erkannten im Nachhinein das Konzil an - und damit auch Origenes’ Veurteilung als Häretiker.

Freundliche Grüße,
Ralf

Ammonius und der Buddhismus
Hi Ralf.

Hinzu kommt, dass Origenes’ Spekulationen (die er selbst
durchaus auch als solche sieht und nicht als christliche
‚Glaubenswahrheit‘) natürlich nicht auf „urchristlichen“
Lehren beruhen, sondern auf (neu)platonischen. Gemäß
Porphyrius soll Origenes Schüler von Ammonios Sakkas gewesen
sein, der auch Lehrer Plotins war. In dieser Richtung wird man
bei der Suche nach einer Quelle seiner Präexistenzlehre eher
fündig als im „Urchristentum“.

In Alexandria existierte zu Ammonius´ und Plotins Zeiten mindestens eine buddhistische Gruppierung, vermutlich als Folge von Kaiser Ashokas Aussendung von Kulturbotschaftern im 3. Jhd. v.Chr. Es ist also eine Verbindung zwischen dieser Gruppe und Ammonius denkbar.

Porphyros führt Plotins Kenntnisse der indischen Philosophie jedenfalls auf Ammonius zurück.

Es gibt zudem Hypothesen, die Ammonius von Sakkas eine indische Herkunft zusprechen. Sie besagen, dass der Name „Sakkas“ in Zusammenhang mit der indischen Sakya-Dynastie stehen könnte (dass Ammonius also ein Mitglied dieser Dynastie war) oder aber auf den Namen der Familie zurückgeht, der auch Buddha entsprang („Sakkya“).

Nur Hypothesen, wie gesagt.

Chan

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Hallo Istiden!

Es gibt auch heute Theologen, die diese Möglichkeit nicht bestreiten, aber das nicht unbedingt laut in der Öffentlichkeit sagen.

Andererseit ist Inkarnation (im Gegensatz zu Reinkarnation) durchaus anerkannte „Theorie“, und zwar mit folgendem Ansatz:

Im Jenseits gibt es keine Zeit, also auch kein Vorher und kein Nachher. Somit sind die „Seelen“ ewig - existieren also nach menschlichen Gedankengängen auch schon „vor“ dem Beginn einer Schwangerschaft.

Dieser Ansatz wirkt sich natürlich auch in anderen Bereichen aus, wie z.B. dass die Auferstehung im Moment des Todes erfolgt. (Theodor Kramer z.B. hat darüber geschrieben - bin aber zu faul nach dem Titel zu suchen).

Mein Gehirn weigert sich strikte, diese Gedanken weiterzudenken, weil ein zeitloses Sein eben so unvorstellbar für uns ist.

Die Theorie an und für sich hat aber etwas für sich!

Beste Grüße

Waldi

(Theodor Kramer z.B. hat darüber geschrieben - bin
aber zu faul nach dem Titel zu suchen).

Entschuldigung, da war ich offensichtlich nicht ganz da! :frowning: Soll „Jacob Kremer“ heißen.

Greshake: Resurrectio mortuorum
Hi,

(Theodor Kramer z.B. hat darüber geschrieben - bin aber zu faul nach dem Titel zu suchen).

Ich nehme an, du beziehst dich auf diese (btw. theologiehistorisch tatsächlich sehr interessante) Publikation:

Gisbert Greshake, Jacob Kremer: Resurrectio mortuorum
ISBN 3534070372 Buch anschauen

Gruß
Metapher

Gnostische Einflüsse auf Origenes
Hi Istiden.

Dass Re-Inkarnation im Christentum nie ein Thema war, sondern nur die In-karnation, hat Ralf schon erläutert. Eine Kette von Verkörperungen der „Seele“ widerspricht dem christlichen Geschichts- und Heilsverständnis ganz eindeutig und konnte also nie ernsthaft eine Chance haben, in einen Dogmenkanon aufgenommen zu werden.

Dass gerade Origenes mit der seelischen Präexistenz liebäugelte, hat seinen Grund u.a. in den Einflüssen, die einerseits die valentinianische Gnosis und andererseits sein Lehrer Ammonius von Sakkas auf ihn ausübten. Letzter wird einigen Forschern hypothetisch als buddhistischer Nord-Inder eingestuft, manche sind sich dessen sogar sicher.

Mindestens ebenso wichtig war aber der Einfluss der Gnosis auf Origenes. Die Gnosis war im 2. und 3. Jhd. eine Glaubensbewegung, deren Anhänger sich aus Christen, Juden und hellenistischen „Heiden“ rekrutierten. Eines ihrer Hauptmerkmale war der Glaube an zwei Götter: einen vollkommenen Gott und einen von diesem geschaffenen Schöpfergott (Demiurg), der die materielle Welt und damit das „Böse“ hervorbringt. Die Reinkarnation der Einzelseele im Verlauf eines Reinigungsprozesses bis zur völligen Erlösung im „pleroma“ ist für die gnostische Anschauung etwas Selbstverständliches.

Origenes war speziell von der valentianischen Form der Gnosis geprägt. Die Reinkarnationlehre wurde von ihm aber ausdrücklich abgelehnt.

Chan

Hallo Metapher!

Ich nehme an, du beziehst dich auf diese (btw.
theologiehistorisch tatsächlich sehr interessante)
Publikation:

Gisbert Greshake, Jacob Kremer: Resurrectio mortuorum

ISBN 3534070372 Buch anschauen

Nein, aber er dürfte diese Grundgedanken in viele seiner Bücher und Artikel hineinverwoben haben. „Die Osterevangelien, Geschichten um Geschichte“ ist eines der Werke, „Lazarus“ ein zweites. Ich vermute, dass der Gedanke auch in „Die Zukunft der Toten“ aufscheint, aber das habe ich nicht gelesen.

Übrigens waren seine Vorlesungen sehr, sehr interessant und überhaupt nicht langweilig.

Beste Grüße

Waldi

Selbstkorrektur betr. Origenes` Wiedergeburtslehre
Nach etwas genauerer Prüfung der Quellen bin ich der Ansicht, dass Origenes tatsächlich die Wiedergeburtslehre vertreten hat, jedenfalls in seinem Text „De principiis“. Dieses Werk liegt heute nur in der lateinischen Übersetzung von Rufinus vor, der bestimmte Stellen, die dem orthodoxen Christentum widersprachen, einfach wegließ (ein weiteres Beispiel für Textmanipulation).

Von Hieronymus, einem Kritiker der Arbeitsweise von Rufinus, liegen aber Zitate von Origenes-Stellen vor, die eine vollständigere Rekonstruktion von „De principiis“ ermöglichen. Und diese Stellen erweisen Origenes als Vertreter einer gnostischen Reinkarnationslehre. Vermutlich beruht die offizielle Einstufung von Origenes als Vertreter einer Präexistenzlehre auf kirchlicher Informationsunterdrückung und Verdrängung der ursprünglich gnostischen Aspekte seiner Lehre.

Origenes-Zitat aus „peri archon“ von Hieronymus:

„…Die Engel und Throne und Herrschaften, die Gewalten und Herrscher der Welt und der Finsternis und jeder Name, der genannt werden mag, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen, sind Seelen von solchen Körpern, die sie entweder aus Verlangen oder zum Dienste angenommen haben. — Alle körperlosen und unsichtbaren vernünftigen Geschöpfe gleiten, wenn sie in Nachlässigkeit verfallen, allmählich auf niedere Stufen herab und nehmen Körper an je nach der Art der Orte, zu denen sie herabsinken: z.B. erst aus Äther, dann aus Luft, und wenn sie in die Nähe der Erde kommen, umgeben sie sich mit noch dichteren Körpern, um schließlich an menschliches Fleisch gefesselt zu werden. — Auf der Leiter Jakobs steigen die vernunftbegabten Geschöpfe allmählich bis zur untersten Stufe herab, d. h. bis zu Fleisch und Blut. Es ist unmöglich, daß einer mit einem Male vom hundertsten zum ersten Rang herabstürzt; er gelangt vielmehr durch die einzelnen Ränge wie auf den Stufen einer Leiter bis zum untersten Rang. Dabei wechselt er seinen Körper ebensooft, wie er seinen Wohnsitz beim Abstieg vom Himmel zur Erde wechselt.“

Chan

Ruf mal http://www.deutsches-pfarrerblatt.de auf, geh dann auf Archiv, ruf die Nummer 3/2000 auf und finde diesen Titel:
„Darf ein Christ an Reinkarnation glauben?“ von Helmut Haug

Da findest Du eine recht ausführliche Darlegung des Problems.