'Relative Wahrheit' ... seit wann?

Hallo zusammen,

also für mich persönlich ist 1+1=2 eine absolute Wahrheit und sehe diese nicht als eine Art Definition. Aber es gibt heute so viele Menschen die sagen das Wahrheit relativ sei. Aber Jesus hatte doch die Wahrheit als etwas fundamentales gesehen und diese auch so Pilatus geschildert.

Wann ungefähr in der Menschheitsgeschichte (aus der Sicht der Geschichte der Religion) begannen die Menschen die Wahrheit als etwas relatives zu sehen?

Grüße
Paul

Hallo auch,

also für mich persönlich ist 1+1=2 eine absolute Wahrheit und
sehe diese nicht als eine Art Definition.

Doch, es ist eine Definition, ein „Axiom“, eine Grundfestlegung in der Algebra unseres Rechensystems - wie auch das „Ein-mal-eins“. Das ist einfach eine (mathematisch gesehene) Wahrheitstabelle. Und diese Festlegung ist einfach nur praktisch. Mathematiker mögen mich wegen der vielleicht laienhaften Ausdrucksweise korrigieren.

Aber Jesus hatte doch die Wahrheit als etwas fundamentales gesehen
und diese auch so Pilatus geschildert.

Nun ja, das sind 2000 Jahre alte Überlieferungen aus einem völlig anderen Kulturkreis.

Wann ungefähr in der Menschheitsgeschichte (aus der Sicht der
Geschichte der Religion) begannen die Menschen die Wahrheit
als etwas relatives zu sehen?

Das ist wohl relativ neu. Bestimmte Ereignisse oder Aussagen von Wissenschftlern und Philosophen kann ich nicht nennen. Es ist wohl im Zuge der Aufklärung gewachsen. Vorher hat die Kirche „Wahrheiten“ verkündet. Noch im 19. Jhdt. hat man in der Wissenschaft meist von Wahrheiten und vollständiger Welterklärung geredet. Heute erklärt Wissenschaft keine Wahrheiten (jedenfalls nicht die seriösen Wissenschaftler), sondern versucht, die Beobachtungen so zu erklären, dass sie sich zu einem stimmigen Bild zusammen fügen und für uns gewöhnliche Leute praktische Dinge ableiten lassen und machbar sind.

Gruss
Laika

Tach,

also für mich persönlich ist 1+1=2 eine absolute Wahrheit und
sehe diese nicht als eine Art Definition.

Nö das ist das erste und wichtigste Axiom.
Wahrheiten wirst Du in axiomatischen Systemen wie der Mathematik und empirischen wie den Naturwissenschaften vergeblich suchen.

Aber es gibt heute
so viele Menschen die sagen das Wahrheit relativ sei.

???

Aber
Jesus hatte doch die Wahrheit als etwas fundamentales gesehen
und diese auch so Pilatus geschildert.

In der theologischen Fakultät wird ja auch mit ‚Wahrheiten‘ jongliert.

Aber das interessiert mich eher weniger.

Gandalf

In der Religion ab 2. Jhd. im Buddhismus
Hi.

Wann ungefähr in der Menschheitsgeschichte (aus der Sicht der
Geschichte der Religion) begannen die Menschen die Wahrheit
als etwas relatives zu sehen?

In der westlichen Philosophie waren die Sophisten die ersten Relativisten („Der Mensch ist das Maß aller Dinge“). In der Religion wird man wohl nur im Buddhismus fündig werden, und zwar in der (allerdings ziemlich philosophischen) buddhistischen Schule des Madhyamika (ab 2. Jhd. u.Z.). Hier gibt es einerseits einen absoluten Wahrheitsbegriff (die „Leerheit“) und andererseits, daneben stehend, einen relativen Wahrheitsbegriff (die Dinge haben kein Eigensein, sondern bestehen nur in Bezogenheit auf andere Dinge - das sog. „bedingte Entstehen“).

Chan

4 Jahrhunderte früher
Hallo Ch’an,

In der
Religion wird man wohl nur im Buddhismus fündig werden, und
zwar in der (allerdings ziemlich philosophischen)
buddhistischen Schule des Madhyamika (ab 2. Jhd. u.Z.).

das Madhyamaka-Konzept der zwei Wahrheiten beruht auf deutlich älteren Vorläufern, die Nagarjuna neu ausdeutet. Implizit findet sich das Konzept bereits in den Sutren des Palikanon, speziell D.9 und M.5.

Explizit findet sich die Unterscheidung paramattha-sacca / vohara-sacca (bzw sammutti-sacca - in beiden Fällen gelegentlich statt ‚sacca‘ auch ‚vacana‘ oder ‚desana‘) in den Kommentaren und speziell im Kathavatthu als ältester Quelle - dem zentralen Werk des Abhidhamma-Pitaka. Die Tradition datiert die Entstehung des Katthavatthu auf das (3.) Konzil von Pataliputra, 253 v.d.Z.

Nagarjunas Wahrheitsbegriff war im Februar Thema eines kleinen Eintrags im Zensplitter-Blog - z.T. dürftest Du die Ausführungen aus einer früheren Diskussion im Philosophiebrett wiedererkennen …

Freundliche Grüße,
Ralf

1 Like

Hi.

Das ist wohl relativ neu.

Relativ ist selbstanwendbar:smile:

Nimmer noch gab es den Mann, und nimmer wird es ihn geben, der die Wahrheit erkannt von den Götter und allem auf Erden. Denn auch wenn er einmal das Rechte vollkommen getroffen, wüsste er selbst es doch nicht. Denn nur Wähnen ist uns beschieden.
Xenophanes (577-485 v. JC)

Gruß.

Balázs

Wahrheiten wirst Du in axiomatischen Systemen wie der Mathematik und empirischen wie den Naturwissenschaften vergeblich suchen.

Hi!
3 : 1. als absolut richtig anerkannter Grundsatz; gültige Wahrheit, die keines Beweises bedarf. 2. nicht abgeleitete Aussage eines Wissenschaftsbereiches, aus der andere Aussagen deduziert werden

PR

Hallo,

also für mich persönlich ist 1+1=2 eine absolute Wahrheit und
sehe diese nicht als eine Art Definition. Aber es gibt heute
so viele Menschen die sagen das Wahrheit relativ sei.

es gibt Gegebenheiten die sind unter allen Umständen stimmig oder
unstimmig und Gegebenheiten welche bedingt stimmig sind.
Relativ ist schon eine Bedingung für eine mögliche Stimmigkeit
(zBsp.rel.Geschwindigkeit) und keine „Qualität“ der Wahrheit an sich.
Die „Terminologie“ Gegebenheit=Wahrheit wie sie oft und auch hier
eingebracht wird ist nicht verifizierbar in dem Sinne, ob es sie
(die Wahrheit) gibt.
Ich will damit sagen, daß man sich jeweils erst einigen muß darüber,
was man unter „Wahrheit“ in welchem Bezug versteht um diese
feststellen oder hinterfragen zu können - bedingt oder unbedingt.
Auch die offensichtlich wahre Aussage 2>1 ist nur unter der Bedingung
„wahr“ daß die gesetzten Zeichen 2,>,1 im Konsens definiert sind.
(und natürlich auch die verbalen Benennungen dazu)
2>1 ist dann einfach gegeben - und damit „wahr“.
Auf Zuordnungen absolut oder relativ zum Begriff Wahrheit, sollte
man besser verzichten.

Ansonsten sollte man richtige Fragen finden, welche dann nur eine
der folgenden 3 Antworten benötigen - JA-NEIN-weiß nicht.
Finde die richtige Frage,und die „wahre“ Antwort präsentiert sich
selbst.(hier von mir - oder von sonst wem)

Gruß VIKTOR

Tach,

3 : 1. als absolut richtig
anerkannter Grundsatz; gültige Wahrheit, die keines Beweises
bedarf. 2. nicht abgeleitete Aussage eines
Wissenschaftsbereiches, aus der andere Aussagen deduziert
werden

da hätte ich jetzt gerne die Quelle.
Das Wörtchen ‚absolut‘ stößt mir hier etwas sauer auf.
Mir fehlst der Bezug auf das axiomatische System.

Innerhalb dieses axiomatischen System ist diese Aussage ‚wahr‘ weil die Axiome eingehalöten werden.
Absolut sind diese Aussagen natürlich nicht.

Gandalf

Buddhistischer vs. westllicher Relativismus
Hi Ralf.

Kann wg. gesundheitlicher Unpässlichkeit erst heute antworten.

In der Religion wird man wohl nur im Buddhismus fündig werden, und zwar in der (allerdings ziemlich philosophischen) buddhistischen Schule des Madhyamika (ab 2. Jhd. u.Z.).

Implizit findet sich das Konzept bereits in den Sutren des Palikanon, speziell D.9 und M.5. Explizit findet sich die Unterscheidung paramattha-sacca / vohara-sacca (bzw sammutti-sacca - in beiden Fällen gelegentlich statt ‚sacca‘ auch ‚vacana‘ oder ‚desana‘) in den Kommentaren und speziell im Kathavatthu als ältester Quelle - dem zentralen Werk des Abhidhamma-Pitaka.

Danke für die Hinweise. Dass das relativistische Konzept im 2. Jh.u.Z. nicht aus dem Nichts auftauchte, das war mir aber schon klar. Schließlich sind das Konzept des bedingten Entstehens und der Dualismus von Nirvana und Samsara (was dem Dualismus von paramattha und vohara in etwa entspricht) so alt wie der Buddhismus selbst.

Bei alldem bleibt natürlich die Frage, ob dieser buddhistische Teil-Relativismus wesentliche Überschneidungen mit dem westlichen Relativismus aus Antike und Moderne aufweist. Ich denke, die Stoßrichtungen sind doch sehr verschieden. Im Kern ist der Buddhismus eine „absolutistische“ (im Gegensatz zu relativistische) Philosophie, d.h. er erkennt eine absolute (transzendente) Wahrheit an, nicht zuletzt im ethischen Bereich. Eigentlich ist er dem westlichen Relativismus so hoffnungslos überlegen, dass man ihn nicht wirklich mit diesem in Beziehung setzen kann (außer über einen rein formalen Relativismus-Begriff).

Dass du den Absolutheitsbegriff wenig schätzt, weiß ich und geht auch neuerlich aus deinem verlinkten Blog hervor. Er macht aber, denke ich, Sinn, da er die einzige Alternative zum Relativismusbegriff ist. Der Relativismus erkennt keine un-bedingt gültigen Wahrheiten an, der Buddhismus schon (z.B. die ethischen Regeln). Und dass ich von „höher“ und „niedriger“ abgerückt bin (zumindest in diesem Thread :smile:), zeigt die Formulierung „daneben stehend“ in meiner Antwort auf das UP.

Nagarjunas Wahrheitsbegriff war im Februar Thema eines kleinen Eintrags im Zensplitter-Blog - z.T. dürftest Du die Ausführungen aus einer früheren Diskussion im Philosophiebrett wiedererkennen …

Auch danke für diesen Tip. War zwar im Februar mal auf dieser Seite, hatte das aber nicht entdeckt.

Chan

Ach, total übersehen, sorry Gandalf!

Hier liegt meines Erachtens die Prädikatelogik erster Stufe der Axiomensysteme vor. Oder werden diese Anforderungen für dich noch nicht erfüllt? :wink:

Zur Quelle:
© Duden - Das Fremdwörterbuch. 7. Aufl. Mannheim 2001.

Gruß
PR