Hallo Petra,
mich interessiert auch deine Meinung.
nimm es mir nicht übel - aber meine persönliche Meinung würde ich hier lieber aus dem Spiel lassen. Die würde Dir bei Deinem Problem auch nicht weiterhelfen, da ich selbst kein Christ bin.
Ich denke, da „der Mann, um den es geht“ evangelisch ist und du selbst bei einer grundsätzlich christlichen Orientierung keiner bestimmten Konfession zuneigst (allenfalls der evangelischen) ist es sinnvoll, das Problem vom evangelischen Standpunkt aus zu betrachten. Das macht die ganze Sache auch deutlich einfacher. Wie schon erwähnt, ist das evangelische Eheverständnis (anders als das katholische) nicht-sakramental. Einfacher, in Luthers Worten ausgedrückt: die Ehe ist ein „weltlich Ding“.
Es ist auf dieser Grundlage so, dass zumindest die der EKD angeschlossenen evangelischen Landeskirchen Deutschlands keine Vorbehalte gegen eine erneute Eheschließung nach einer Scheidung haben und auch die kirchliche Trauung (die theologisch gesehen allerdings einen deutlich anderen Charakter hat als in der katholischen Kirche) nicht verweigern.
Das Problem bei Dir scheint mir nun zu sein, dass der Mann, in den Du Dich verliebt hast, da deutlich größere Skrupel hat als die Kirche, der er angehört. Eigentlich ist er es, mit dem man da diskutieren müsste, nicht Du. Aber möglicherweise kannst Du ihm Hinweise geben, wie er mit seinen Zweifeln umgehen sollte, um sie ggf. zu bereinigen.
Zunächst - die evangelischen Kirchen berufen sich in ihrer Haltung zur Ehescheidung grundsätzlich auf Matthäus 5,32 und 1. Korinther 7,15. In Matthäus 5,32 (und 19,9) legitimiert Jesus ausdrücklich eheliche Untreue (der Frau, versteht sich) als Scheidungsgrund - allerdings als einzigen. Außerdem bezeichnet er die Verehelichung mit einer geschiedenen Frau als Ehebruch. Letzteres ist allerdings unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass nur Männer die Möglichkeit der Scheidung hatten (ihrer Frau gemäß mosaischem Gesetz einen Scheidebrief zu geben). Im Sinne der Gleichberechtigung kann also davon ausgegangen werden, dass Jesus die Ausnahme, die er Männern einräumt (sich wegen Untreue der Frau scheiden zu lassen) auch Frauen bei Untreue des Mannes zugestanden hätte, wenn denn diese Möglichkeit (so wie heute) bestanden hätte. Eine in diesem Sinn ‚schuldlos‘ geschiedene Frau würde dann (wie umgekehrt der Mann) auch mit einer neuen Verehelichung keinen Ehebruch begehen. Wichtig ist jedenfalls, dass Jesus die Ehescheidung nicht absolut untersagt hat.
Im ersten Korintherbrief 7,15 lässt Paulus eindeutig die Ehescheidung zu, wenn einer der Ehepartner „ungläubig“ ist - vorausgesetzt, der Wille zur Scheidung geht von dem ungläubigen Partner aus. Wie man sieht, ist hier die Einstellung zur Scheidung schon etwas anders als im Matthäusevangelium. Es gibt eine nun weitere Ausnahme - und das hängt mit anderen ‚weltlichen‘ Bedingungen zusammen. Jesus sprach zu jüdischen Männern - Paulus schreibt einer christlichen Gemeinde, in der etliche Christen mit Nicht-Christen verheiratet sind. Paulus selbst gibt also mit seinem Korintherbrief ein Beipiel für eine Anpassung des grundsätzlichen Scheidungsverbots an andere gesellschaftliche Bedingungen.
Um auf Dein persönliches Problem bzw. das Deines Freundes zurückzukommen - da hängt nun viel davon ab, ob er gewillt ist, sich streng an den Wortlaut der Bibel zu halten oder ob er bereit ist einzuräumen, dass das durch Jesus und Paulus geforderte Verhalten auch auf bestimmte gesellschaftliche Bedingungen bezogen ist, die nun mal auch einem Wandel unterliegen. Die evangelische Kirche jedenfalls tut dies - sie billigt zwar grundsätzlich eine Ehescheidung nicht, betrachtet aber eine Wiederverheiratung nach Scheidung auch nicht als Ehebruch. Auch, wenn die Scheidung nicht wegen ehelicher Untreue erfolgte.
Dieser Umgang der evangelischen Kirche mit der Ehescheidung als theologischem Problem geht auf Martin Luther zurück, der sich speziell mit der Ehescheidung in zwei Schriften ausführlich beschäftigt hat: 1522 in „Predigt vom ehelichen Leben“ und 1530 „Von Ehesachen“ - jeweils im 2. Teil der Abhandlung. Ich würde sie Deinem Freund zur Lektüre empfehlen.
Ich beschränke mich hier mal auf die erste Abhandlung. Luther nennt drei legitime Scheidungsgründe („Drei Ursachen weiß ich, die Mann und Weib scheiden“). Da ist zunächst die „Untüchtigkeit zur Ehe“ - d.h. die körperliche Unfähigkeit, die Ehe zu vollziehen. Zweitens der Ehebruch - wobei nebenbei bemerkt Luther die Hinrichtung des schuldigen Teils für eine angemessene weltliche Strafe hält. Drittens schließlich, „wenn sich eins dem andern selbst beraubt und entzeucht [entzieht], dass es die eheliche Pflicht nicht zahlen, noch bei ihm sein“ will. Wenn Dein Freund schon nicht die aktuelle Haltung der evangelischen Kirche als maßgeblich akzeptieren möchte, jedoch wenigstens Luther als Autorität anerkennt, so sollte er sich mit diesem ‚dritten Grund‘ beschäftigen und prüfen, ob er auf den ‚Fall‘ Deiner Ehe anwendbar ist. Wenn er freilich ein Bibel-Fundamentalist ist, sehe ich schwarz für eine gemeinsame Zukunft - wobei ich mir dann doch nicht die persönliche Bemerkung verkneifen möchte, dass dann für Dich wohl auch besser so ist.
Dass bei Scheidungen aus einem der drei von Luther genannten Gründen nach seiner Auffassung eine Wiederverehelichung absolut akzeptabel ist, geht übrigens insbesondere aus dem Schluss des Abschnitts über die Ehescheidung hervor: „über diesen drei ursachen ist noch eine, die Mann und Weib lässt scheiden“. Bei dieser ist allerdings Wiederverheiratung ausgeschlossen, deswegen gehe ich hier nicht näher darauf ein.
Freundliche Grüße und viel Glück für Deine / Eure Zukunft,
Ralf