Richard III. (Shakespeare): this sun/son of York

Ihr Teuren,

mir ist aufgefallen, dass Shakespeares Richard III. mal so beginnt:

"Now is the winter of our discontent
Made glorious summer by this sUn of York
And all the clouds that loured upon our house
In the deep bosom of the ocean buried."

dann aber auch so:

"Now is the winter of our discontent
Made glorious summer by this sOn of York
And all the clouds that loured upon our house
In the deep bosom of the ocean buried."

Schlegel übersetzt:

"Nun ward der Winter unsers Mißvergnügens
Glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks
Die Wolken all, die unser Haus bedräut,
Sind in des Weltmeers tiefem Schoß begraben."

Ich ahne die Erklärung, wüsste aber lieber als nur zu ahnen. Meine Ahnung geht so:

Vermutlich gab es für Shakespeare mangels verbindlicher Rechtschreibung keinen Grund, sich zwischen „sun“ und „son“ zu entscheiden. Gloster sagt doppeldeutig aus, dass die Sonne Yorks und ein Sohn Yorks, also der König, „den Winter unseres Missvergnügens“ vertrieben haben. Die (mittlerweile im Schoß des Ozeans begrabenen) Wolken über dem Haus waren (auch) Wolken über dem Haus York, der Dynastie.

Schlegel hat das gesehen, musste sich aber mangels vergleichbarer Ausdrucksmöglichkeiten im Deutschen zwischen Sonne und Sohn entscheiden.

Falls das stimmt: Wo kann ich es belegt finden? Falls es nicht stimmt: Wie kommt es dann zu dem uneinheitlichen Gebrauch von „son“ und „sun“?

Gespannt wie ein Flitzebogen:

Tewdwr

Tja, da kommen wir zum Thema Shakespeare-Philologie. Richard III. wurde erstmals 1597 in einer Quartoausgabe veröffentlicht, es gab fünf weitere bis zum First Folio von 1622. Dementsprechend kommen unteschiedliche Ausgaben je nach ihren Editionsgrundsätzen zu unterschleidlichen Entscheidungen. Wenn eine wie zB. der Norton Shakespeare nach dem Erstdruck geht, kommt eine wie der Arden Shakespeare, die sich auf das Folio stützt, gegebenenfalls zu einer anderen Lösung…

Hier haben wir das Digitalisat des Quartos von 1597, da heißt es „this sonne of Yorke“: https://www.bl.uk/treasures/SiqDiscovery/ui/PageMax.aspx?strResize=yes&strCopy=66&page=1
Und hier haben wir den Arden Shakespeare, der „sun of York“ schreibt:
http://shakespeare.mit.edu/richardiii/richardiii.1.1.html

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Interessant. Eine verbindliche Rechtschreibung gab es dann vermutlich wirklich nicht.

Nein, auf verbindliche Rechtschreibung mußte man noch ein paar Jahrhunderte warten: Oxford English Dictionary

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Hi,

eine verbindliche Rechtschreibung gab es nicht, die Schreibung ist aber bestenfalls zweitrangig:
Shakespeares Werke wurden nicht zum Lesen verfasst, sondern, um aufgeführt zu werden. Während der Proben wurden die Mauskripte laufend verändert und angepasst, auch zwischen den Vorstellungen. Das, was wir jetzt als Folios und Quartos haben, sind zusammengesetze Fassungen aus Manuskripten voller Ergänzungen, die von der Schauspieltruppe verwendet wurden, niederschriften aus der Erinnerung von Darstellern und zuschauern (teilweise Jahre nach der Aufführung) oder Mitschriften von Zuschauern. Es gab höchstwahrscheinlich nicht mal gedruckte, veröffentlichte oder gar zum Verkauf produzierte Werke. Wäre es anders, hätten wir nicht die Diskussion darum, welche der vielen Folios und Quartos echt ist, oder welche Teile eines Dramas ind irgendeinem Druck jeweils am nächsten an der Wahrheit sind, sofern es überhaupt eine Wahrheit im Sinne eines originalen und einzigen Textes gibt.

Meine Arden edition hat als Fussnote zu son (so schreibt die Arden edition):

Despite QF concurrence in the spellingvirtually all eds [though not Evans] have followed Rowe’s emendation ‚sun‘ to give point to the pun: Edward IV assumes the device of a sun as his emblem in consequence of the vision of three suns which appeared to him during the battle of Mortimer’s cross […]

Der Eröffnungsmonolog sagt also, dass die traurige, kalte Zeit des Streits durch ihn (Richard III, der Sohn von York) zu einem ruhmreichen Sommer geworden ist. und die Doppeldeutigkeit Sonne/Sohn - sun/sonverbindet die Person, die den Streit endet, mit der metaphorischen Sonne, die aus dem Winter Sommer macht. Deswegen ist Shakespeare cool.

und man kann nciht immer alles korrekt schreiben, was gesprochen doch funktioniert: Twelfth Night,Akt II, Szene V läßt Malvolio, der glaubt, einen Brief seiner Geliebten in der Hand zu haben, sagen: „By my life, this is my lady’s hand: these be her very C’s, her U’s and her T’s, and thus she makes her great P’s.“
cut hieß damals das gröbste Wort für das weibliche Geschlechtsteil, (heute funktioniert es auch noch: c’s u’s n’ T’s) und Malvolio wurde durch diese Szene vom Verfasser absichtsvoll lächerlich gemacht: er steht auf der Bühne und buchstabiert mit verträumtem, verliebtem Blick ein vulgäres Wort. Der Rest des Satzes macht es auch nicht besser: and thus she makes her great P’s - und so mächtigt pisst sie.

die Franzi

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