Roop Kanwar

Hallo,

ich lese seit einiger Zeit das Buch „Religion and Personal Law in Secular India: A call to Judgment“ von Gerald James Larson. Ich habe es gekauft weil es eines der wenigen Bücher ist, dass sich mit dem Sati Fall Roop Kanwar von 1987 beschäftigt. (Tödliche Rituale von J. Fisch kenne ich noch als weiteres zu dem Thema.)

Ein Blick ins Buch:
http://books.google.de/books?id=E4-wYWX4bH8C&pg=PA20…

Roop Kanwar war 18 Jahre alt als sie in Deorala/ Sikhar Indien am 4.Sep 1987 auf dem Scheiterhaufen ihres Mannes verbrannte. Es gibt zwei Versionen zu dem Fall die außer in dem Buch noch in anderen Quellen beschrieben werden. Weiter Unten Englischsprachige Links zu dem Thema. Sie soll nach dem Tod ihres Mannes angekündigt haben ihm als Sati folgen zu wollen. Sie hätte sich als Braut zurecht gemacht, da sie bevor er verbrannt wurde nicht als Witwe angesehen wurde. Und durch Ihre Sati auch nicht werden würde, da man im Hinduismus erst durch die vollständige Verbrennung als tot gilt. Da sie mit ihm starb war sie nie Witwe. (Die Bezeichnung Witwenverbrennung ist ein wenig Irreführend)

Sie soll in einem Brautzug zur Verbrennungsstätte gebracht worden sein und eine Puja gebetet haben. http://de.wikipedia.org/wiki/Puja Dann bat sie Ihren Schwager den Scheiterhaufen zu entzünden.

So stellt es die Familie des Bräutigams dar. Schwager und Schwiegervater waren direkt beteiligt und 900 Menschen sahen zu.

Da es eine zweite Version gibt, dass Kanwar unter Betäubungsmittel gesetzt wurde und versuchte zu flüchten, sie jedoch auf den Scheiterhaufen gezwungen wurde (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13527527.html von 1988)
wurden 32 Personen darunter Schwager und Schwiegervater des Mordes angeklagt. Am 11.Okt 1996 wurden alle Angeklagten freigesprochen. Es war nicht möglich Zeugen vorzuladen.

Verstehe ich das richtig, da die Gerichte urteilten dass nicht gezwungen wurde und es daher kein Mord war, angenommen wird dass sie doch Sati (also freiwillig) starb? Dass sie verbrannt ist steht ja ausser Frage. Eine von beiden Versionen also.

Was sich mir nicht erschließt: Nach Ihrem Tod, nach 13 Tagen wurde ein Fest gefeiert um sie als Reinkarnation der Sati Devi einer Göttin zu verehren.
300.000 Menschen nahmen an diesem und an dem Fest am 1. Jahrestag teil. Es wurden Spenden gesammelt und ein Tempel wurde errichtet. Collagen wie diese wurden verkauft
http://members.authorsguild.net/sukanya/imagelib/Roo…
http://www.outlookindia.com/article.aspx?225259 (das wurde aus Hochzeitbildern zusammen geschnitten)
Somit Alles was man als Verherrlichung bezeichnen kann. Dies wurde jedoch genauso wie die Handlung selbst unter Strafe gestellt:
http://www.hinduismtoday.com/modules/smartsection/it…
Genauer Gesetzestext
http://www.wcd.nic.in/commissionofsatiprevention.htm
Es gab deshalb einen weiteren Prozess wegen der verbotenen Sati Verherrlichung, in dem wiederum alle Beteiligten freigesprochen wurden.
Die Begründung des Gerichts: Es kann nicht bewiesen werden, dass es eine Sati gab (Fest,Tempel??) und was nicht stattgefunden hat kann nicht verherrlicht werden.

Widerspricht sich das nicht mit dem Urteil oben? Wenn sie keine Sati war, wie dieses Urteil behauptet, worauf beruht dann der Freispruch vom Mord? Da wird der Freispruch doch mit der Freiwilligkeit begründet? Es passt für mich irgendwie nicht zusammen.

Über Eure Antworten oder Infos zu dem Thema freue ich mich!

Habe den Text auf die Schnelle in der Mittagshitze geschrieben, seht es mir nach.

Wenn Infos im Zusammenhang fehlen kommen die noch.

Viele Grüße

Hier noch ein Link auf Englisch
http://www.jstor.org/pss/4377696

Hi Hong Lan,

ich gebe zu, dass ich meilenweit davon entfernt bin, solche Bücher und Schriften auf Englisch lesen zu können; Sprachen gehören nicht zu meinen Stärken. Aber glücklicherweise ist wenigstens Dein Artikel auf deutsch. *grins*

Hmm, da legst Du Deinen Finger wirklich in die Wunde bzw. auf einen offensichtlichen Widerspruch. Aber ich könnte mir schon den einen oder anderen „Lösungsvorschlag“ dazu vorstellen; eigentlich zweieinhalb.

Den halben mal zuerst. (Anmerkung: Nicht erschrecken, die anderen 2 sind produktiver; aber ich will’s doch einfach erwähnt haben).

Mir fällt seit langem auf, dass Reporter/Redakteure von Fachthemen, über die sie schreiben, kein besonders tiefgründiges Wissen haben. Konkret: Egal ob kurze Meldung (6 Sätze) oder umfangreicher Artikel (6 Spalten), wenn ich etwas von dem Thema verstehe, habe ich noch immer mindestens 1 Aussage gefunden, die uneindeutig, oder widersprüchlich oder auch einfach falsch war. Ich sehe darin keine böse Absicht, sondern schlichtweg die Folge daraus, dass in unserer komplexen Welt niemand - auch kein Reporter/Redakteur - sich in mehr als einem Fachgebiet wirklich tiefgründig (!) auskennen kann, und dieses eine Fachgebiet ist im Zweifel der Journalismus selbst. Bei Schriftstellern oder allgemein Verfassern von Schriften wird darüberhinaus gern voneinander abgeschrieben; selbstverständlich offengelegt, was und von wem, aber was der eine nicht explizit ausführt oder sauber darstellt, findest Du oft auch beim anderen nicht und was der eine auf eine bestimmte Art und aus einer bestimmten Sichtweise beschreibt, gibt der andere genauso wieder. Und zum Schluß hast Du ein halbes Dutzend Quellen, die alle über das gleiche und das in sehr ähnlicher Weise schreiben mit der Folge, das es als „allgemein richtig“ gilt, obwohl vielleicht der erste in der Reihe nur etwas nicht richtig verstanden hat.

Du hast in Deinem Metier sicher schon einige Urteile gelesen. Wie hoch schätzt Du die Chance ein, dass ein Autor, der über ein Thema berichtet, aber nicht wirklich vom Fach ist (hier: der kein guter Jurist im indischen Rechtssystem ist), imstande ist, aus Urteilen, Verhandlungsprotokollen etc. die entscheidenden Details so präzise herauszulesen und widerzugeben, dass im Zusammenspiel mit anderen Berichten wirklich wiederum ganz präzise Fragen oder Widersprüche nachgewiesen werden können?

Langer Rede kurzer Sinn:
Ich möchte meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass dieser Widerspruch tatsächlich genauso besteht, wie er sich hier darstellt; sprich, dass vielleicht die Gedankengänge und Argumentationen der Gerichte im Detail nur geringfügig anders gewesen sein könnten, wodurch sich dieser scheinbare Widerspruch dann erklären könnte.

Aber davon genug, der Widerspruch besteht!!!

=> Lösungsvorschlag 1:

Es wäre doch möglich, dass es im indischen Rechtssystem - ähnlich wie bei uns - eine ganze Reihe von Tötungsdelikten gibt, (Achtung, jetzt wird’s ungenau - ich bin kein Jurist -), z.B. Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Beihilfe zum Selbstmord, unterlassene Hilfeleistung oder ähnliches.

Sati könnte so in der Art unserer Beihilfe zum Selbstmord sein oder vielleicht auch unterlassene Hilfeleistung, wenn sie sich anzündet.
Nun wäre möglich, dass der Freispruch vom Mord nicht deshalb erfolgte, weil es (erwiesenermaßen) Sati war, sondern eine der anderen möglichen Zwischenstufen, die es im indischen Rechtssystem noch geben könnte, die aber für sich genommen nicht selbst strafbar ist.

Die Folge daraus wäre dann wohl zwingend, dass der zweite Prozeß wegen Verherrlichung des Sati ebenfalls mit Freispruch enden müsste, weil Sati ja eben nicht vorlag; vorausgesetzt, die Verherrlichung dieser möglichen (straffreien) Zwischenstufe wäre wiederum auch nicht strafbar.

=> Lösungsvorschlag 2:

Wieder eine Anleihe bei unserem Rechtssystem (hoffentlich liest das kein Jurist, vielleicht ist das totaler Unsinn, aber ich möchte nur aufs Prinzip raus).

Im Gegensatz zu einem Zivilprozeß, wo der Richter nach seiner überwiegenden Überzeugung entscheidet, kann er in einem Strafprozess nur mit sicherer Überzeugung einen Schuldspruch fällen.
Beispiel: 2 Autos fahren auf der Kreuzung ineinander, beide Fahrer wollen grün gehabt haben; der Zivilrichter muss aus vagen Informationen und widersprüchlichen Zeugenaussagen zu einer wenigstens knapp vorn liegenden Überzeugung kommen und entsprechend urteilen.
Ergänzung des Beispiels: Dass der Zivilrichter gerade so zu der Vermutung kam, dass wohl der Fahrer 2 rot gehabt haben könnte, kann nicht dazu führen, dass der Strafrichter in einem Strafprozess diesen Autofahrer nun wegen Rotverstoß bestraft; hier würden berechtigte Zweifel bestehen mit der Folge Freispruch.

Wenn nun das indische Rechtssystem ähnlich funktioniert (und das tut es bei der englischen Vergangenheit bestimmt), dann müsste folgendes Szenario möglich sein:

Prozess 1 wegen Mord: Freispruch, weil Mord nicht bewiesen werden kann (es bestehen Zweifel, weil es auch Sati gewesen sein kann.

Prozess 2 wegen Verherrlichung von Sati: Freispruch, weil der/das zugrundeliegende Sati nicht bewiesen werden kann; Zweifel insofern, weil es auch Mord gewesen sein kann.

Gibt’s in dem Buch noch eine Auflösung für diesen Widerspruch?

Viele Grüße,
Sven P.