Sachverhalt bei Verlust eines Triebwerks

Liebe/-r Experte/-in,

Ich hätte eine Frage bezüglich des Flugverhaltens eines 2-strahligen (Großraum-)Flugzeugs bei Verlust eines Triebwerks. Mit „Verlust“ meine ich jetzt nicht nur den Abfall der Triebwerksleistung sonder das tatsächliche Verlieren des Triebwerks durch Bolzenbruch o.ä.

Wäre das Flugzeug hier noch steuerbar oder würde der Gesamtschwerpunkt der Maschine soweit nach außen wandern, dass man es durch Querruder nicht mehr ausgelichen kann ?

Lernt man in der Pilotenausbildung ein Notfallverfahren, das diesen (unwahrscheinlichen) Fall betrachtet ?

Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen !

Freundliche Grüße

Rainer Reiber

Guten Tag,
ich bin Flugkapitän im Ruhestand, habe also meine Laufbahn als Linienpilot einer großen deutschen Airline vor 3 Jahren freiwillig beendet.
Ich habe in meiner Laufbahn so einiges an technischen Fehlern erlebt, den von Ihnen beschriebenen allerdings nicht und auch nicht einmal einen „normalen“ Triebwerksausfall.
Meine Triebwerke haben zwar 3 Mal Vögel „gefressen“, allerdings ohne davon Schaden zu nehmen, weiterhin war der Generator mal kaputt und auch eine Treibstoffpumpe, was aber auch nichts macht, denn die gibt es zweimal pro Engine, eine elektrische und eine mechanisch angetriebene.
Aber nun die Antwort auf Ihre Frage:
Bei der Boeing 737 ist das problemlos zu fliegen, man kann den Flieger so aus trimmen, dass er wieder problemlos geradeaus fliegt. Es gab früher dafür sogar eine spezielle Notfall-Checkliste „Engine Separation“, die genau diesen Fall behandelte, heute ist das in anderen Listen eingearbeitet.
Wichtig dabei ist, dass man den „Fire-Handle“ zieht, denn der trennt bzw. verschließt alle Leitungen vom bzw. zum Triebwerk, dass z.B. kein Kraftstoff sinnlos ins Freie gepumpt wird und damit vielleicht ein Tank leerläuft, der Hydraulikdruck wegbricht und auch dass der Kabinendruck nicht durch das gerissene Loch abbläst.
Wie das bei Airbus ist weiß ich jetzt nicht, ich habe nie einen geflogen, aber prinzipiell muss dieser immer abgedeckt sein, denn es kann ja wirklich passieren.
Ist es auch schon, vor ca 15 - 20 Jahren fiel mal eine DC10 von American Airlines runter, weil der Triebwerkshaltebolzen brach. Die sind aber dann abgestürzt, weil die gesamte Hydraulik weg war und das Flugzeug nicht mehr steuerbar war. Das kann bei der B737 nicht passieren, denn die haben noch echte Stahlseile von den Controls zu den Steuerflächen, da geht immer noch was.
So im Sinn „fly by Wire“ ist gut und so zu verstehen, wenn das „Wire“, also das „Seil“ aus Stahl ist und mindestens 4 mm dick ist :wink:

Ich hoffe, geholfen zu haben…

MfG
Christian

Nachtrag 1:
Ich hoffe, die Boeing 737 ist ausreichend groß, um Ihren Anspruch „Großraumflugzeug“ zu erfüllen - aber meine Ausführungen gelten auch für richtig große…
Nachtrag 2:
Ein Jet wird grundsätzlich (!!!) ohne Ausnahme bei Triebwerksausfall mit dem Seitenruder und nicht dem Querruder getrimmt.

Hallo Christian !

Vielen Dank für Ihre ausführliche und perfekt erklärte Antwort. Mir ist jetzt im Nachhinein noch eingefallen, dass der schwere Unfall der (israelischen?) Frachtmaschine über Amsterdam (Boeing 747) ebenfalls den Verlust von sogar 2 Triebwerken (Tw 3 un 4) als Ursache hatte. Trotzdem konnte die Crew den Flieger noch über 8 Minuten in der Luft halten. Ich meine mich zu erinnern, dass allein die Schwerpunktverschiebung nach links noch nicht mal das gravierenste Problem war sondern die durch den Abriss der Triebwerke zerstörte Tragflächenvorderkante, welche stark beeinträchtigt war. Man kann also annehmen, dass die Notlandung evtl mit nur Triebwerk 1 + 2 ansonsten wohl möglich gewesen wäre. Es ist aber beruhigend, dass Sie erwähnt haben, dass in Ihrer ganzen Fliegerkarriere nicht ein einziges Triebwerk ausfiel. Es gab ja Zeiten, als Motorausfälle fast an der Tagesordnung waren (Superconny) und die Passagiere von den Flugbegleitern die Erklärung bekamen, dass man Kraftstoff sparen müsse und deshalb ein Triebwerk abgestellt hat…(Wurde mir berichtet)

Freundliche Grüße

Rainer Reiber

Hallo Rainer,

bei verlust, der sogn seperation oder seizure ist ein zweistrahliges verkehrsflugzeug immer noch steuerbar. hierzu ist wie bei der b737 z.B. das ruder extrem gross gestalltet, sodass das flugzeug noch steuerbar bleibt.

gesetzlich ist dieses problem (ausfall oder totalverlust) eines triebwerks, bei jedem simulatorcheck vorgeschrieben. dies bedeutet das piloten mindestens 2 mal jaehrlich dieses verfahren trainieren und dies bei der sogn V1, der geschwindigkeit bei der der pilot zum start oder startabbruch gezwungen ist. meist wird dies noch mit einer zusaetzlichen seitenwindkomponenten verbunden umd eine extremsituation hervorzurufen.

also keinen angst beim naechsten urlaubsflug!!!

mfg

Tarek