Schamgefühl: angeboren oder erlernt?

Hi.

Neulich erlebte ich eine Diskussion über das Schamgefühl, sich nackt (bzw. teilweise nackt) zu zeigen.
Einige waren der Meinung, das sei ‚angeboren‘, andere meinten, es wäre ausschließlich gesellschaftlich bedingt und somit ‚erlernt‘, wieder andere meinten, es wäre eine Mischung daraus.

Was meint ihr dazu?

☼ Markuss ☼

Hi

Neulich erlebte ich eine Diskussion über das Schamgefühl, sich
nackt (bzw. teilweise nackt) zu zeigen.
Einige waren der Meinung, das sei ‚angeboren‘, andere meinten,
es wäre ausschließlich gesellschaftlich bedingt und somit
‚erlernt‘, wieder andere meinten, es wäre eine Mischung
daraus.

Was meint ihr dazu?

Also angeboren kann es eigentlich nicht sein, schließlich lief die Menschheit ja ziemlich lange ohne was rum. Das Schamgefühl ist ja auch von Kontinent zu Kontinent oder sogar von Land zu Land verschieden. Das spricht meiner Meinung nach auch gegen das Angeborensein.

Ich glaube, daß es zum überwiegenden oder sogar ausschließlichen Teil erlernt ist.

Schau doch einfach mal, wenn Klein(st)kinder in einem Bad oder am Strand rumtoben.

Gruß
Edith

Oder diverse Stämme in Afrika.

Damit wohl definitiv anerzogen.

mfg
Simon

Hi, na ja, aber auch die meisten (alle?) Stämme haben irgendwas wo sie Scham empfinden. Ich hab mal ein Film über einen Indianerstamm am Amazonas gesehen, die rannten nackt rum, bis auf eine Art Schnur, die sie um die Hüften trugen. Ohne diese fühlten sie sich so wie wir ohne Unterhose auf der Straße…

Dann bezieht sich Scham ja nicht unbedingt auf Nacktheit, sondern auch auf ganz andere Dinge wie Armut, Feigheit vor dem Feind, Körpermerkmale,bestimmte Krankheiten usw. beziehen kann.

A.

Dann bezieht sich Scham ja nicht unbedingt auf Nacktheit,
sondern auch auf ganz andere Dinge wie Armut, Feigheit vor dem
Feind, Körpermerkmale,bestimmte Krankheiten usw. beziehen
kann.

A.

Ja, aber auch diese Scham ist anerzogen. Man lernt, dass sich das so nicht gehört, und dann schämt man sich dafür, so zu empfinden oder zu sein.

ich kann zu dem thema nur eine eigene erfahrung schildern:

als ich 2 oder 3 jahre alt war (ich kann mich erstaunlicher weise noch gut daran erinnern), hatten mich meine beiden schwestern mit ins freibad genommen. nachdem wir uns einen liegeplatz ausgesucht hatten, teilte mir meine eine schwester mit, dass meine badehosen vergessen wurden. ich war darüber natürlich nicht sehr erfreut und meine schwester meinte, dass ich ja auch nackig rumrennen und schwimmen könnte, so wie es die anderen kinder in meinem alter tun. das kam für mich keinesfalls in frage und ich sass dann schmollend und angezogen auf der liegedecke. irgendwann beobachtete ich dann einen kleinen jungen (noch kleiner als ich damals) der nackig durch die gegend rannte. bei dem anblick dachte ich mir: „guck dir den an, der geniert sich kein bischen…“.

fest steht, dass ich schon als kleiner bub ein ausgeprägtes schamgefühl gegenüber nacktheit hatte. ich kann mir kaum vorstellen, dass mir das in so jungen jahren anerzogen wurde (warum auch?). denkbar wäre vielleicht, dass ich dieses schamgefühlmuster von meinen älteren schwestern übernommen hatte. eventuell bin ich mal in deren zimmer reinspaziert als sie sich gerade umzogen woraufhin das geschrei groß war (an sowas kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern).

jedenfalls ist es auch heute noch sehr unangenehm für mich mich anderen nackt zu zeigen. als aktmodell zu arbeiten oder ins FKK-schwimmbad zu gehen, wäre für mich unvorstellbar. und ich bilde mir ein, dass mir das nicht anerzogen wurde.

Hi Du!
vielleicht hast Du es garnicht gemerkt, wie Du erzogen worden bist…
Mir ist irgendwann während einer Jugendfreizeit mal klargeworden, wie schamhaft ich doch war…
In meinem Elternhaus war es total tabu, nackt durch die Gegend zu rennen, oder ins Bad zu gehen, wenn sich dort jemand aufhielt.
Während der Freizeit gab es dann einen Waschraum, in dem sich alle gleichzeitig gewaschen haben … oder GEDUSCHT haben!!!

Für mich war das damals unvorstellbar!!!

Am liebsten hätte ich mich im Pullover gewaschen!

und auf der Liegewiese am STrand umziehen???
Das war eine Sache, die ich mir niemals zugetraut hätte!!!

Es hat lange gedauert, bis ich gelernt hatte, dass das totaler Quatsch war.

Für meine Kinder war es total normal, dass man auch mal nackt durch die Wohnung laufen kann… oder gemeinsam duschen oder baden kann!

Wenn ich heute am STrand bin und nasse Sachen anhabe, dann ziehe ich sie aus… und trockene Sachen an…
FKK ist auch kein Problem und wenn jemand reinkommt, während ich Dusche, dann schimpfe ich meist darüber, dass zuviel kalte Luft reinkommt!

Fazit für mich:
ANERZOGEN! aber eigentlich merkt man es nicht, da das, was im Elternhaus passiert, völlig normal ist!
Ich habe meine Eltern bis heute noch nie nackt gesehen…
Bin aber froh, dass ich diese Phase meines Lebens abgeschlossen habe und mich einmal in der Woche auf meinen Saunatag freuen kann… nackt im Pool ist einfach toll!!!

Einen lieben Gruss
Ulli, die die schamhafte Phase beendet hat :smile:

ich kann mich aber bei bestem willen nicht daran erinnern, dass mir als kind verboten wurde nackt durch die gegend zu rennen oder dass ich überhaupt das bedürfniss dazu hatte.
ich will aber nicht ausschliessen, dass es vielleicht situationen gab an die ich mich nicht mehr erinnern kann, in denen z.B. geschwister oder eltern mir gegenüber deutlich gemacht haben, dass ich sie nicht nackt sehen soll/darf.

Hi ElBorbah

nein…so war das auch nicht gemeint!
Aber bei uns war es einfach nicht üblich!
jedenfalls nicht bei den Erwachsenen!
… und DAS habe ich wohl übernommen…
und somit war es plötzlich sehr ungewohnt zu sehen, dass andere meines Alters kein Problem damit hatten, sich unter eine Gemeinschaftsdusche zu stellen…
ICH kannte das damals so überhaupt nicht…
Gruss Ulli, die sich nicht sicher ist, ob sie sich verständlich ausgedrückt hat!

ich hab das schon richtig verstanden. nur stellt sich mir die frage, ob die anderen, die keine schamgefühle beim gemeinschaftsduschen haben, einen anderen umgang mit nacktheit in der familie hatten (ob sie z.B. ihre eltern nackt gesehen haben).

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ich hab das schon richtig verstanden. nur stellt sich mir die
frage, ob die anderen, die keine schamgefühle beim
gemeinschaftsduschen haben, einen anderen umgang mit nacktheit
in der familie hatten (ob sie z.B. ihre eltern nackt gesehen
haben).

Wenn es angeboren wäre, wieso haben dann andere Kulturen so überhaupt kein Problem damit? Warum rennen die Yamomami-Indianer tag und nacht nackert durch den Urwald, während es für relativ benachbarte Indios undenkbar wäre? Warum sind die Unterschiede im Schamgefühl dann selbst innerhalb einer Gemeinschaft in unterschiedlichen Schichten so unterschiedlich?

Ich glaube auch, dass es zu 90 Prozent anerzogen ist. Einen kleinen Rest an angeborenem Schamgefühl will ich ja gerne zugestehen, denn in manchen Situationen zeigen auch z.B. Affen Scham, aber das hat weniger mit Nacktheit zu tun als mit bestimmten Situationen (lügen, z.B.)

Livia

Dann bezieht sich Scham ja nicht unbedingt auf Nacktheit,
sondern auch auf ganz andere Dinge wie Armut, Feigheit vor dem
Feind, Körpermerkmale,bestimmte Krankheiten usw. beziehen
kann.

Ja, aber auch diese Scham ist anerzogen. Man lernt, dass sich
das so nicht gehört, und dann schämt man sich dafür, so zu
empfinden oder zu sein.

Das hieße dann für mich, dass die _Fähigkeit_ sich zu schämen angeboren ist, das _wofür_ man sich schämt aber anerzogen.

Entspricht auch meinem Hausverstand oder Gefühl.

Livia

Wenn es angeboren wäre, wieso haben dann andere Kulturen so
überhaupt kein Problem damit? Warum rennen die
Yamomami-Indianer tag und nacht nackert durch den Urwald,
während es für relativ benachbarte Indios undenkbar wäre?
Warum sind die Unterschiede im Schamgefühl dann selbst
innerhalb einer Gemeinschaft in unterschiedlichen Schichten so
unterschiedlich?

wäre ich ein yamomami und würde von klein auf nackend rumrennen, hätte ich mich wahrscheinlich daran gewöhnt. und wer sagt, dass sich nicht der eine oder andere yamomami vor seinen kollegen doch geniert aber es nicht zeigt, weil schon alleine die geste des geschlechtteilsbedeckens peinlich wäre? vor allem weil er durch das tragen von unterhosen nicht mehr dem gemeinschaftsbild entsprechen würde. das wäre dann die gleiche sitution in die sich ein indio gegenüber seiner gesellschaft begeben würde wenn er plötzlich nackt da steht.

1 Like

Hi,

mein Sohn hat gelernt, dass Nacktheit etwas unspektakuläres innerhalb der Familie, Bekannten und Baggerseen ist. Sogar sich auf der Toilette hockend mit ihm unterhalten und beim Tampon reinstecken zusehen dürfen Papas erregtes Gleid zu sehen, alle drei nackt im Bett liegen - alles kein Prob.

Ich denke es ist das Erkennen, dass es die gesellschaftliche Norm ist, Nacktheit außerhalb des engen sozialen Gefüges zu vermeiden.

Erstaunlicherweise schämten sich die Jungs im Alter von ca 8-9 Jahren sogar untereinander. Mich erstaunte das sehr. Er wurde wohl von Mitschülern wegen seines langen Penises gehänselt.
Auch bei den Pfadfindern ging er nicht mehr mit, weil er sich vor allem auch vor den Mädchen schämte.

Meine Erfahrung ist, dass das Schamverhalten bei Kindern in diesem alter völlig „normal“ ist.

Mit meiner Erziehung kann es m.E. nicht zusammenhängen. Wobei ich davon ausgehe, dass Schamgefühl durch Erziehung forciert werden kann.

Ich denke es ist zum Teil ne Art „gesellschaftliche Prägung“.
Wenn ein Kind sieht, dass ich mich anziehe, weil es an der Tür klingelt oder um das Haus zu verlassen, lernt es, dass Nacktheit in der Öffentlichkeit nicht üblich ist und passt sich an.

Wenn angeboren dann eher ne Art Urinstinkt, in Form von Bedürfnis nach Abdecken der primären Geschlechtsorgane um sie zu schützen, da man sich dort vielleicht besonders verletzlich und ungeschützt, oder angreifbar fühlt und die Fortpflanzung gewährleistet bleiben soll.

Wilde Theorien gell *gg*

Jadzia

Neulich erlebte ich eine Diskussion über das Schamgefühl, sich
nackt (bzw. teilweise nackt) zu zeigen.
Einige waren der Meinung, das sei ‚angeboren‘, andere meinten,
es wäre ausschließlich gesellschaftlich bedingt und somit
‚erlernt‘, wieder andere meinten, es wäre eine Mischung
daraus.

Was meint ihr dazu?

☼ Markuss ☼

Das Schamgefühl ist angeboren
Hallo Markuss,

wie schon weiter unten jemand erwähnte, ist das Schamgefühl natürlich angeboren, während die Tatsache, sich für etwas Bestimmtes zu schämen erworben (nicht-angeboren) sein kann. Für die Biologen und Evolutionsbiologen ist das Schamgefühl bis heute (oder war es bis vor kurzem?) zum großen Teil ein Rätsel, und auch die Frage, warum man dabei rot wird und sich auf schamspezifische Art und Weise verhält.

Dennoch muss Erziehung nicht im Spiel sein. Es reicht die Erkenntnis, dass eine andere Person einen Aspekt von einem kennenlernt, den man zugunsten eines erstrebten Erscheinungsbildes, das man für geeignet hielt, im sozialen Umfeld gewisse Vorteile zu sichern, nicht zeigen möchte. Das kann schon ein Kleidungsstück sein, das nicht der Norm entspricht, da der Mensch in der Regel nicht „asozial“ wirken möchte. Man beachte, dass niemand unbedingt einem anerzogen haben muss, dieses bestimmte andersartige Kleidungsstück nicht zu tragen. Das Schamverhalten geht also auf die Neigung des Menschen zurück, sich an das soziale Umfeld anzupassen. Wenn diese Neigung angeboren ist, ist nicht nur das Schamgefühl, sondern im Grunde auch die Voraussetzung, sich für etwas Bestimmtes zu schämen angeboren.

Man denke an das Urmenschenpaar, das in einer Zeit lebte, als die menschliche Gesellschaft aus nur zwei Personen bestand (keine Sorge, ich bin kein Anti-Evolutionist), und das als Folge seines Fehltrittes Scham einander gegenüber empfand - jedoch erst nach jener bestimmten Phase, die seinem Fehltritt vorausgegangen sein muss. So sehen sich auch männliche und weibliche Kleinkinder in den Geschlechtsmerkmalen fast gleich aus, bevor sich mit der Pubertät wesentliche Unterschiede in den sekundären Geschlechtsmerkmalen verstärken und mit den Unterschieden so der aposteriorische Grundstein für das Schamverhalten gelegt wird.

Grüße,

Mohamed.

Hallo miteinander,

ich bin der Meinung, dass das Schamgefühl erlernt ist.

In fremden Kulturen (z. B. in Afrika) fühlt man sich unbekleidet ganz wohl.

Die Frauen im Islam fühlen sich (teilweise) schon nackt, wenn das Kopftuch fehlt.

Angeboren ist der Drang, sich anzupassen.