Schicksalsverarbeitung durch Tagebuch möglich?

Wie hilft euch das Schreiben eines Tagebuchs mit dem umzugehen was in eurem Leben passiert? Könnt ihr durch das Tagebuch zum Beispiel Schicksalsschläge und bedrückende Erlebnisse besser verarbeiten und euch mit diesen auseinandersetzen?

Aus welchen Gründen schreibt ihr Tagebuch (z.B. um Erinnerungen zu behalten, weil man mit niemandem sonst darüber sprechen kann, …)?

Ist euer Tagebuch für euch von ähnlichem Wert wie eine Freundin? Könnt ihr dem Tagebuch Dinge anvertrauen, wie sonst keinem oder fällt es euch leichter und hilft es euch besser mit Menschen über Probleme zu sprechen?

Ich hoffe ihr könnt mir diese Fragen beantworten, da ich sie im Rahmen einer Seminararbeit dringend benötige. Vielen lieben Dank schon im Voraus!

Hallo,

ich mache es kurz, hoffe aber trotzdem ein bisschen zu helfen. Ich (inzwischen 43, männlich) schreibe etwa seit dem 12. Lebensjahr Tagebuch. Während meiner Pubertät/Jugend schrieb ich oft, fast täglich, zum einen, um Erlebnisse festzuhalten, vor allem aber, um Probleme zu verarbeiten und zu philosophieren. Ich hatte einige Freunde für das alltägliche Leben, aber nur eine (platonische) Freundin, mit der ich über die großen Fragen des Lebens reden konnte. Sie war nicht immer in meiner Nähe und Kommunikation wie heute über Telefon, Internet usw. war damals in der DDR nicht möglich. Also vertraute ich viele Fragen, Gedanken und Probleme meinem Tagebuch an. Ich fand heraus - und so ist es heute noch - dass mir das Schreiben wirklich neue Türen und Wege öffnete. Schreibend fand ich Lösungsmöglichkeiten und neue Ideen, die mir durch „normales“ Nachdenken so nie gekommen wären. Ich denke, durch die verschiedenen geistigen Prozesse während des Schreibens ist das Gehirn insgesamt viel aktiver und nutzt auch kreative Ressourcen viel besser. Durch das Tagebuchschreiben habe ich meinen Schreibstil so weit entwickelt, dass ich auch Zeitungsartikel und andere öffentliche Beiträge verfasst habe, die mir einige (räumlich und personell begrenzte) Anerkennung brachte. Ich kann zwar nicht so gut frei reden, aber ich liebe es zu schreiben.
Heute schreibe ich nur noch selten Tagebuch im Sinne von damals. Ich schreibe meist Reisetagebuch und lasse da auch tiefere Gedanken einfließen. Einträge in meinem „richtigen“ Tagebuch sind oft philosophischer oder „schriftstellerischer“ Art. Ein Ritual ist es seit Jahren für mich, am letzten Tag des Jahres die wichtigsten Ereignisse des Jahres im Tagebuch zu reflektieren. Ich denke, es ist wichtig, in solchen Momenten mal innezuhalten. Das Tagebuch zwingt mich dazu.
Über alle Probleme des Lebens kann ich mit meiner geliebten Frau sprechen. Der persönliche intellektuelle Austausch mit ihr ist mir heute hilfreicher als es das Tagebuchschreiben wohl wäre. Trotzdem ist mir mein Tagebuch (und all die vollgeschriebenen Tagebücher vorher) ein großer Schatz, ja ein Teil meines Lebens, denn durch sie bin ich so geworden wie ich jetzt bin, auch wenn alles nur „aus mir selber“ kam.
Viel Erfolg mit der Seminararbeit! Vielleicht trägt sie dazu bei, in Zeiten der medialen Oberflächlichkeit wieder ein bisschen mehr in die Tiefe des Lebens zu gehen, mit Hilfe des Tagebuches.

Ja, das hilft bei der Verarbeitung von schwierigen Situationen.
Gruß