Schiffbrüchige Flüchtlinge

Hallo,

„Mit den Abschiebungen von Schiffbrüchigen durch die Nato-Kriegsschiffe in die Türkei wird internationales Recht gebrochen“, sagte die Linken-Abgeordnete Annette Groth.

Könnte mir mal jemand erklären, auf welches internationale Recht Groth sich hier beziehen mag?

Gruß
vdmaster

http://gutenberg.spiegel.de/buch/manifest-der-kommunistischen-partei-4975/3

Ich habe meine Zweifel, dass das als völker- oder seerechtliche Konvention Gültigkeit hat. Es ging ja nicht um Groths eventuelle Lieblingslektüre.

Marx hat das Seerecht ja auch sträflich vernachlässigt!

Moin,

eventuell bezieht sie sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte von 2012. Es ging dabei um die Abschiebung von in Seenot geratenen Flüchtlingen nach Libyen. Vereinfacht zusammengefasst stellt sich die Situation folgendermaßen dar:
Italienische Marineschiffe hatten die Flüchtlinge an Bord genommen und zurück nach Libyen gebracht. Da nach internationalem Seerecht Schiffe, und insbesondere Marine, dem jeweiligen Hoheitsgebiet der Staaten zuzurechnen sind, befanden sich die in Seenot geratenen Flüchtlinge quasi in Italien und hätten dann auch das Recht gehabt in Italien Asyl zu beantragen, was den Flüchtlingen aber nicht ermöglicht wurde. Dadurch hat Italien gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen.

Hier kann man eine deutsche Zusammenfassung des Falls und Urteils von der Seite des Gerichtshofes herunterladen: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-150693

Gruß
Grin

Hallo,

das ist sogar das Ersturteil des EGMR in dieser Frage. Allerdings bezieht es sich auf einen Fall, bei dem Flüchtlinge nach Libyen zurückgeführt wurden, das weder die GFK unterzeichnet hatte, noch Strukturen des UNHCR beherbergte. Deswegen hätte Italien („Hoheitsgebiet Kriegsschiff“) unabhängig eines binationalen Vertrages Libyen nicht als sicheren Hafen ansehen dürfen.

Hingegen steht in dem Urteil nicht, dass mit Zutritt auf das Hoheitsgebiet Kriegsschiff stets der Flaggenstaat das Asylverfahren übernehmen muß :wink:.

Inwieweit nun zwischen den NATO-Schiffen (bzw. deren Staaten) und der TÜR vertragliche Vereinbarung für die Überführung an den UNHCR bestehen, ist mir jedoch nicht bekannt. Wahrscheinlich ist das über die avisierten Milliarden mit eingepreist.

Wobei IMHO Groth dann übrigens auch von der Rechtssprechung des EGMR hätte sprechen müssen und nicht von internationalem Recht. Aber im üblichen Plakativgeplapper von Politikern gehen solcherlei Feinheiten in 99,9 % der Fälle auch unter.

Trotz meiner Erwiderung kann das Urteil durchaus (langfristig) ein Problem für die Mission darstellen. Im Falle von Rechtsbeschwerden vor dem EGMR würde man es definitiv anführen. Die gibt es sicher früher oder später. Und dann wird man in Ruhe abwarten müssen, was unterm Strich bzgl. der TÜR rauskommt.

Theoretisch gilt die GFK in der TÜR. 2012 noch mit einer ungewöhnlichen Sonderklausel: http://www.deutschlandfunk.de/die-tuerkei-gibt-sich-ein-asylgesetz.795.de.html?dram:article_id=223026
In der TÜR ist jedoch der UNHCR auch besonders aktiv.

Gruß
vdmaster

Frau Groth vertritt die Auffassung, das durch diese Massnahme Flüchtlinge an ihrem „Recht auf Asyl in der EU“ gehindert werden. Ferner führt sie an, das es im Seerecht so geregelt sei, das Schiffbrüchige immer in den nächsten sicheren Hafen zu bringen seien.

Hallo,

dieses „Recht auf Asyl“ wird auch mit der 100sten Wiederholung nicht richtiger.

IMHO/IANAL sind zwei Dinge unbestreitbar.

A. Schiffbrüchige müssen gerettet werden. https://www.jurion.de/Gesetze/SRUe/98

B. Es gelten die „MSC.167(78) - Guidelines on the Treatment of Persons Rescued at Sea“. Download hier.
Aus dem Text geht nur hervor, dass ein sicherer Hafen (safe place) anzusteuern ist. Vgl. Punkte unter 6 …

Hierauf geht Groth ja auch ein, meint aber wohl, dass man selbst 500 Meter vom türk. Festland entfernt (somit im türk. Territorialgebiet) bereits ein Anrecht, um Asyl nachzusuchen, einräumen müsse, weil sich die Person dann auf einem Kriegsschiff befände. Eben dieser Punkt ist zu 100% juristisch noch ungeklärt.

Gruß
vdmaster

Was wäre denn, wenn es ein türkisches Kriegsschiff wäre?

Türkisches Hoheitsgebiet. Der multinationale NATO-Verband soll ja auch nur beobachten und an die Küstenwache melden. Lediglich, falls direkt vor der Nase welche absaufen, sollen und müssen sie natürlich eingreifen. Lt. SPON sollen vor dem eiligen TÜR-EU-Gipfel am 07.03.

weitere Details mit den Küstenwachen der Türkei und Griechenlands sowie der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex geklärt werden.

Gruß
vdmaster