Schnelle Zersetzung eines Organismus in Jauche

…oder Gülle?

Konkret: Habe gehört, dass sich ein tierischer Organismus in Gülle oder Jauche schneller zersetzt als in anderen Medien wie Luft oder Boden. Beispielsweise dann, wenn ein Tier in eine Jauchegrube stürzt. Stimmt das? Von der Zusammensetzung her sind diese „Exkrementsuppen“ ja durchaus nicht ohne. Und wenn ja: Gibt es da Richtwerte? Danke für Eure Ideen.

Nicht ohne?

Von der Zusammensetzung her
sind diese „Exkrementsuppen“ ja durchaus nicht ohne.

Zumindest sind sie ohne Sauerstoff, ist mein Verdacht. Von daher bezweifele ich deine Vermutung erst mal.

Egal welche Organismen in der Jauche sind, sie werden nur solche Reaktionen bewirken, die ihnen Energie liefern. Sie werden also einige Stoffe umsetzen, aber keine vollständige Zerstzung durchführen können.

Gruß, Zoelomat

Huhu!

Zumindest sind sie ohne Sauerstoff, ist mein Verdacht. Von
daher bezweifele ich deine Vermutung erst mal.

Egal welche Organismen in der Jauche sind, sie werden nur
solche Reaktionen bewirken, die ihnen Energie liefern. Sie
werden also einige Stoffe umsetzen, aber keine vollständige
Zerstzung durchführen können.

Das Jauchegruben größtenteils anaerob sind stimmt.

Aber „nichtvollständige Zersetzung“ heißt biochemisch gesehen nicht, das organische Moleküle nicht zersetzt werden können, sondern nur, das sie nicht zu CO2 und H2O abgebaut werden können.

Statt dessen werden sie zu diversen niedermolekularen Verbindungen abgebaut, siehe z.B. hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Atmung#Anaerobe_Atmung
http://de.wikipedia.org/wiki/Gärung#G.C3.A4rungsarten

Der Witz an der Sache ist, das Anaerobier sogar einen höheren Stoffumsatz haben als Aerobier, weil sie aus einem Substratmolekül wesentlich weniger Energie gewinnen können - das bedeutet ungefähr ein Faktor 10-20.

Und da Jauchegruben ansonsten Schlarafenländer für Bakterien sind, da sie viele leckere Stickstoff-, Phosphor- und Kohlenstoffverbindungen enthalten, und sie zudem ständig mit neuen Anaerobiern aus den Darmtrakten der Tiere, deren Exkremente in sie versorgt werden, dürfte alles organische sehr schnell darin zersetzt werden.
Wenn auch biochemisch gesehen nicht vollständig, sondern „bloß“ zu Succinat, Essigsäure, Ameisensäure, Formaldehyd, etc.

Was wiederum zu einer Senkung des pHs in der Grube führt, der dann die Leiche schneller zersetzt, etc.

Viele Grüße!
Ph.

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Zumindest sind sie ohne Sauerstoff, ist mein Verdacht. Von
daher bezweifele ich deine Vermutung erst mal.

Egal welche Organismen in der Jauche sind, sie werden nur
solche Reaktionen bewirken, die ihnen Energie liefern. Sie
werden also einige Stoffe umsetzen, aber keine vollständige
Zerstzung durchführen können.

@ Zoelomat: Ja, dass mit der Abwesenheit von Sauerstoff hatte mich auch ein wenig stutzig gemacht. Andererseits gibt’s ja auch zahlreiche Anaerobier: Prokaryonten wie Bakterien, die ihre Stoffwechselenergie aus anaerober Atmung beziehen. Dafür nutzen sie u.a. Nitrat als Elektronen-Akzeptoren. Jedoch: Abwesenheit von Sauerstoff führt zur Fäulnis, für Verwesung ist Sauerstoff zwingend. Mmh…

Hintergrund meiner Frage: Mir hat ein Bauer vor Ort erzählt, Gülle und Jauche „kriegen alles klein“. Wenn irgendwie ein Kleintier in die Jauchegrube stürzt, macht sich keiner die Mühe, das zu evakuieren, zumal der Aufenthalt in der Umgebung einer offenen Grube lebensgefährlich sein kann. Hier passieren ja immer mal wieder Unfälle wegen der giftigen Gase. Nur: Was passiert dann mit dem Kadaver?

Huhu!

@ Zoelomat: Ja, dass mit der Abwesenheit von Sauerstoff hatte
mich auch ein wenig stutzig gemacht. Andererseits gibt’s ja
auch zahlreiche Anaerobier: Prokaryonten wie Bakterien, die
ihre Stoffwechselenergie aus anaerober Atmung beziehen.

Das klingt, als wären die Anaerobier in der Minderzahl. Dem ist jedoch mitnichten so. Alle Darmbakterien z.B. sind zumindest fakultative Anaerobier - d.h. sie können sowohl mit als auch ohne O2 wachsen.

(Andere Beispiele für Lebensräume ohne Sauerstoff sind z.B. der Boden ab einer gewissen Tiefe, Seen unterhalb der Sprungschicht, der Großteil des Ozeans … was bedeutet, das Volumenmäßig gesehen, anaerobe Lebensräume bei weitem in der Überzahl sind.)

Und in Jauchegruben kann man davon ausgehen, das da diverse Darmbakterien drin sind, die sehr gut darin sind, Fleisch und andere organische

Dafür
nutzen sie u.a. Nitrat als Elektronen-Akzeptoren. Jedoch:
Abwesenheit von Sauerstoff führt zur Fäulnis, für Verwesung
ist Sauerstoff zwingend. Mmh…

Oder diverse andere Dinge … es gibt unglaublich viele Atmungen, von Gärungen ganz zu schweigen.
Wenn ein größeres Tier stirbt, passieren beide Prozesse, weil Tiere von innen nun mal anaerob sind. Zumindest wenn sie nicht mehr atmen. D.h. sie werden von innen anaerob von ihren Darmbakterien „verdaut“.

Hintergrund meiner Frage: Mir hat ein Bauer vor Ort erzählt,
Gülle und Jauche „kriegen alles klein“. Wenn irgendwie ein
Kleintier in die Jauchegrube stürzt, macht sich keiner die
Mühe, das zu evakuieren, zumal der Aufenthalt in der Umgebung
einer offenen Grube lebensgefährlich sein kann. Hier passieren
ja immer mal wieder Unfälle wegen der giftigen Gase. Nur: Was
passiert dann mit dem Kadaver?

Da hat er vermutlich recht.
Die Kadaver verden biochemisch „vergoren“ oder „veratmet“ - nur ohne Sauerstoff.
Mal ganz logisch betrachtet: Säuger bzw. vielzellige Lebewesen können biochemisch sogar weniger als Prokaryoten (aerobe und nichtaerobe).

D.h. in allen anaeroben Lebensräumen fallen genau dieselben biochemischen Verbindungen an, die in einem Kadaver sein können - da aber anaerobe Ökosysteme prima funktionieren, und nicht langsam verlanden, weil sie von unzersetzbaren Bakterienkadavern aufgefüllt werden, müssen dort auch alle organischen Verbindungen zersetzt werden können.

Einzige Ausnahme ist Lignin, das nur mit Mühe anaerob zersetzt werden kann.

Viele Grüße!
Ph.

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Ich hatte ja eben in der Antwort schon auf Anaerobier getippt, aber mein Posting und die Antwort von Ph. (ebenfalls vielen Dank!) haben sich zeitlich überschnitten.
@Ph.: Sehr ausführliche Antwort. Schlüssig & nachvollziehbar. Anaerobier im Darntrakt zersetzen ja auch zuvor Unverdautes. Jauchegruben stinken, Fäkalien auch, vor allem nach Zersetzung tierischer Proteine. Dass etwas Vergleichbares auch in Gülle und Jauche stattfindet, leuchtet ein. Und wenn viele Säuren entstehen, rutscht das Medium halt ins azidotische ab.
Nur: Wie schnell wird so etwas wohl ablaufen?

Huhu!

Nur: Wie schnell wird so etwas wohl ablaufen?

Um die Antwort auf die Frage habe ich mich ein bisschen rumgemogelt.

Ich weiß es nicht wirklich, und ich finde auch gerade keine Studien dazu, auch wenn ich fast wetten würde, das irgendwer mal einen Schweinekadaver in eine Jauchegrube geworfen hat um zu schauen, wie er verfault.

Ich vermute, recht schnell, und zwar weil eine Jauchegrube ein relativ ideales Habitat für Anaerobier ist, und es deshalb viele dort gibt.

Wobei „recht schnell“ immer noch ziemlich langsam ist.
Ich vermute, bei einer ungefähr menschengroßen Leiche dauert es wenige Wochen, bis das Körpergewebe ohne Knochen sich zersetzt hat.
(Das ist zumindest schneller als bei Wasserleichen oder Leichen auf Friedhöfen)

Bei den Knochen müsste ich raten - auf Friedhöfen sind die eher Jahrzehntelang stabil.
Allerdings ist der pH von Jauchegruben

Alles sehr nachvollziehbar, was du schreibst. Wäre mal ein Versuchsaufbau für die Body Farm. Ich habe nämlich in meiner forensischen Fachliteratur (Überbleibsel des
Medizinstudiums vor über 15 Jahren) sowie im Netz nichts gefunden.

Deine Argumente sind auf jeden Fall schlüssig. Ich frage mal Mark Benecke, der hat mir schon manchmal aus der Klemme geholfen. Bin natürlich für Ideen weiterhin sehr dankbar.

LG

Moin Grußlose/r,

mir ist ein Fall bekannt, bei dem ein Mann kurz nach dem Krieg bei seiner Heimkehr unbeobachtet in eine Güllegrube stürzte und darin ertrank.
Den Leichnam fand man Jahre später nahezu perfekt mumifiziert (ala Moorleiche), als man die Grube trockenlegte.

Gandalf

Moin Zauberer,

hast du da eine richtige Quelle zu?
War die Jauchegrube in Benutzung?

Wikipedia unterstützt nämlich das halbvergessene Wissen aus Moorexkursionen, das nämlich Moorleichen entstehen, weil die Torfmoose antibakteriell wirken, und zusätzlich die im Moor vorhandenen Huminsäuren die Fäulniss von Leichen verhindern.

In Jauchegruben liegen diese Verhältnisse aber nicht vor, und mir fällt kein Grund ein, warum eine Jauchegrubemikrofauna nicht dazu in der Lage sein sollte, eine Leiche zu zersetzen.

Immerhin wird da ziemlich viel Methan erzeugt, d.h. da findet jede Menge Stoffwechselaktivität statt. Außerdem sind Jauchegruben einigermaßen warm, so das Wachsleichen auch nicht entstehen können.

Ich lasse mich aber gerne eines Gegenteils überzeugen, Quellen zu Leichenzersetzungsraten in Jauchegruben habe ich nämlich nicht gefunden.

Viele Grüße!
Ph.

Tja, Gandalf, das stellt ja nun die ganzen Theorien hinsichtlich der Anaerobier und deren Aktivitäten in Frage. Es wundert mich ein bisschen, dass sich scheinbar noch niemand wissenschaftlich damit auseinander gesetzt hat.
Besten Dank für diesen Einwurf und beste norddeutsche Grüße!

Tach,

hast du da eine richtige Quelle zu?

nun ja, das ist auf dem Nachbarhof einer meiner Tanten passiert.
Die Entdeckung der Leiche passierte Mitte der 50er.
Aus Zeugenaussagen seiner Kameraden ließ sich rekonstruieren, daß er rund ein Jahrzehnt vorher in die Grube gefallen sein mußte.
Die war die ganze Zeit bis zur Trockenlegung in Betrieb.

Gandalf