Eierlegende Wollmilchsau
Hi Chicken!
Ich nehme an, dass Du mit dem Versuch, einfach schneller zu lesen, d. h. mehr Wörter in der Sekunde/Minute/Stunde in Deinem Gehirn zu verarbeiten, wenig Erfolg haben wirst. Ein bisschen Routine gehört dazu, was ich beispielsweise daran beobachte, dass ich als Vielleser bei einem längeren Text in der Schule mitunter schon einmal ein paar Minuten vor eingefleischten Lesehassern fertig bin. Aber was sind schon ein paar Minuten? Du trainierst damit höchstens, Wort- und Satzstrukturen zu erfassen, sodass Du weniger Passagen noch einmal lesen musst, weil Du Dich nicht zurecht gefunden hast. Außerdem ist bei einem Vielleser, der zuhause schon einige Wälzer bezwungen hat, die Motivation möglicherweise größer, auch im professionellen Umgang mit Literatur vor einem Satzungetüm über 15 Zeilen nicht zu kapitulieren.
Du musst Dich aber damit abfinden, dass die maximale Lesegeschwindigkeit für Deine Person, bei der noch sehr wahrscheinlich ist, dass Du zumindest im Moment des Lesens alles wahrnimmst, begrenzt ist. Genauso wie Du auch nach jahrelanger Übung nicht in zwei Sekunden ausrechnen können wirst, wie viel 274983 minus 23984 ist, dürfte es Dir nicht gelingen, Thomas Manns „Zauberberg“ in einer halben Stunde sinnvoll zu lesen. Ich stehe insofern diesen Speed-Reading-Techniken eher skeptisch gegenüber, da Du meistens die Struktur des vorliegenden Textes nicht kennst und der Autor eines nicht für Speed-Reading geschriebenen Buches beim Schreiben auch keine Rücksicht auf Deine Lesart genommen hat. Im Endeffekt fehlen Dir eben doch Details, weil es keine Möglichkeit gibt, „Literatur“ an sich so zu schematisieren, dass man exakt sagen kann, wo die wichtigen Informationen stehen (jetzt komme mir keiner mit dem aristotelischen Dramenmodell).
Das Speed-Reading-System, das doppelte Lesegeschwindigkeit und trotzdem konstante Detailwahrnehmung garantiert, dürfte nur kurz nach der eierlegenden Wollmilchsau entdeckt werden. Sicher gibt es einige ganz nette Systeme, mit denen man recht flott durchkommt, aber je literarischer und je komplizierter strukturiert das Werk ist, desto mehr dürfte die Ausbeute leiden. Ich halte es für sinnvoller, bei einem dicken Sachbuch für die Uni mit zum Beispiel zehn Kapiteln neun Kommilitonen auf ähnlichem Lernstand wie man selbst anzuquatschen und zu fragen, ob sie eines der Kapitel genau lesen und den jeweils anderen eine sinnvolle Zusammenfassung zukommen lassen. Natürlich geht das nicht immer, aber im Fall, dass Du zügig bestimmten Stoff kennen sollst, halte ich das für effektiver als über zehn Kapitel selbst mit den Augen zu fliegen.
Beste Grüße!
Christopher