Schopenhauer und der Pessimismus

Ich bin Spiritualist als Individualist. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Und diesen Unterschied kannst du aufgrund deiner dir womöglich unbewussten DEDUKTION entweder nicht sehen oder nicht respektieren. Ich bin kein Systemdenker.

Im Übrigen enttäuscht es mich schon total krass, dass du mich Materialist nennst, obwohl ich doch nichts anderes tue, als die Philosophie des Geistes so redlich wie möglich bei mir selbst zu ergründen.

Der Unterschied ist der, dass ich mich frage (und Schopenhauer ist hier unredlich zu sich selbst als Philosoph), warum der Körper so sehr am Leben hängt. Nicht eine Sekunde lang hätte Schopenhauer länger überlebt, wäre es ihm in der PRAXIS tatsächlich gelungen, seine Lehre zur Verneinung des Willens zum Leben wirklich umzusetzen. Bloß zu intellektualisieren, dass man es tun sollte, ist leicht, aber komplett aufhören zu atmen, ist noch keinem PESSIMISTEN gelungen. In diesem Punkt widerspricht Schopenhauer SEINER EIGENEN (genialen) philosophischen Lehre.

Bekanntlich soll es ja indische „Heilige“ geben, die angeblich 40 Jahre nichts gegessen haben, wobei man fragen muss, zu welchem Zweck? Und, dass es Yogis gibt, die ihren Atem, und sogar ihr Herz, kurze Zeit gegen ihren natürlichen Instinkt anhalten können, ist bekannt. Aber, ohne Atmen, lebt niemand jahrelang, weder der Arthur Schopenhauer noch irgend ein „Heiliger“.

Diese Tatsachen haben nichts damit zu tun, ob man Spiritualist oder Materialist ist. Deshalb bitte ich dich, verehrter Meister Chan, zukünftig etwas mehr zu differenzieren, anstatt nur zu propagieren.
existo

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Hallo

bin ein großer Verehrer Schopenhauers Philosophie, finde allerdings das seine Philosophie aufs Gemüt schlagen kann. Manchmal hab ich das Gefühl viel Hass in seiner Philosophie herauszulesen. Vielleicht kommt es auch daher das er sich mit seinen Gedanken alleine gefühlt hat und keine Chance gegen Hegel hatte. Ich bin auf der Suche nach Literatur die den Pessimismus wie ihn Schopenhauer vertritt etwas sanfter lehrt oder die Philosophie Schopenhauers in ein anderes Licht rückt. Schon mal vielen dank im vorraus wer sich um eine Antwort bemüht.

Viele Grüße

Bronko

Hi.

Schopenhauers Philosophie gründet nach eigener Aussage auf dem Werk von Kant und Platon und - vor allem - auf den indischen Upanishaden. Sofern du also nach einer ´positiven´ oder positiv gestimmten Variante seiner Philosophie suchst, sind diese Upanishaden an erster Stelle zu empfehlen. Schopenhauer bezeichnet sie in „Parerga und Paralipomena II“ als die

belohnendeste und erhebendeste Lektüre, die auf der Welt möglich ist: sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens sein.

Der Zufall will es, dass ich gerade einen eigenen älteren Text für eine Veröffentlichung überarbeitet habe, der auch eine Passage über die Upanishaden enthält. Ich füge diese Passage hier an:

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Die Idee eines ursächlich-schöpferischen, also kausalen kosmischen Prinzips geht schon auf alte vedische Hymnen zurück, in denen Brahman als eine fundamentale Macht gedacht war, die alles Daseiende trägt und auch den Göttern Kraft zuführt. Diese Macht galt als eine den vedischen Texten selbst immanente Potenz und ermöglichte mittels der rituellen Praxis den Priestern Einflussnahme auf den göttlichen Willen. Die die vedischen Texte abschließenden Upanishaden sehen im Brahman dann das alleingültige Prinzip der Kosmogenese und konzentrieren ihre Darlegungen auf die Entfaltung einer monistischen Theorie, deren zentraler Pfeiler eben dieses Brahman ist. Hier kulminiert der frühindische Weg der Weltinterpretation, der zunächst die Phasen des Animismus, des Polytheismus und des Henotheismus entfaltete, in einer konsequent auf das universale Eine und Zeitlose ausgerichteten Mystik. Die substantielle Vielfalt der vedischen Hymnenwelt, die in zahllose große und kleine Naturgeister differenzierte magisch-mythische Welt der naiven Religiosität, aber auch die Vielfalt der alltäglichen Sinneswelt findet sich im upanishadischen Denken auf den Status einer Scheinrealität reduziert, die das Auge und den Geist des Menschen täuscht und die einzig reale, die absolute Seinsebene verdeckt, nämlich das unwandelbare Göttliche, an dessen Peripherie die vergänglichen Gestaltungen des Werdens und Vergehens gleichsam wie Schatten, ja wie noch Nichtigeres vorüberziehen.

Indem sie eine wichtige begriffliche Differenzierung vornehmen, gelingt den upanishadischen Theoretikern auf der Bewusstseinebene ein Brückenschlag zwischen dem Eigentlichen und dem Scheinhaften. Atman ist der Kern des menschlichen Subjekts, der einerseits in der Illusion lebt, ein individuelles, isoliertes, sterbliches Dasein umgeben von einem Universum des Vielfältigen und Separaten zu führen, andererseits aber, auf der Ebene des wahren Seins, mit Brahman identisch ist, also mit dem absoluten, göttlichen Welt-Selbst, dem ens realissimum, das, selbst zeitlos und ohne Anfang, im ewigen Kreislauf alle Elemente der Erscheinungswelt emaniert und wieder in sich aufnimmt. Dieses Brahman ist über das Trennende des Raumes und den Wandel der Zeit erhaben und durchdringt dennoch unterschiedslos alle vergänglichen Erscheinungsformen. Die Autoren der Upanishaden ziehen daraus eine verbindliche moralische Konsequenz: Ziel eines menschlichen Daseins muss es sein, der un-eigentlichen Tragikomödie der Erscheinungswelt zu entrinnen und die Einheit des Subjektkerns, des Atman, mit dem universalen Selbst, dem Brahman, zu erkennen und zu verwirklichen.

Diesen Verwirklichungsprozess eine ‘Verschmelzung’ zu nennen, wäre irreführend, denn wahr und wirklich ist allein das Brahman, und das diesen realisierende Subjekt streift lediglich die täuschenden Hüllen ab, um seinen Kern, den Atman, der Brahman ist, freizulegen. Die Brahman-Lehre ist ein rigoroser Monismus, der keine Verschmelzung heterogener, ontologisch gleichwertiger oder hierarchisch aufeinander beziehbarer Entitäten zulässt. Der ontologische Status des vermeintlichen Subjektiven ist eben der eines nicht-seienden Illusionären, und jede Konzession eines zumindest graduell realen Seinsmodus würde auf dieses Phantom, welches ja vollständig die Wahrheit verdeckt, doch noch einen Abglanz der Wahrheit werfen. Denn ‘Wahrheit’ gilt den Brahmanen als ontologische Substanz, die unabhängig ist von subjektiven Erkenntnisakten auf der Ebene des Propositionalen. Wer die Wahrheit erkennt, ist diese Wahrheit über alles Relative und Subjektive unendlich hinaus, ist Substanz und ist Brahman. Das Nicht-Wissen dieses wahren Seins ist nicht allein Resultat eines defizitären Denkens, vielmehr und ganz wesentlich Manifestation einer Unwahrhaftigkeit, einer falschen, subjektzentrierten existentiellen Haltung. Wahre Erkenntnis hat für die upanishadische Philosophie mit einer denkerischen Reflexion primär nichts zu tun; sie ist ein Prozess des Sich-Öffnens auf das Innerste des eigenen Bewusstseins - Atman - hin, welches - als Brahman - alles Innere und alles Äußere, die Gedanken, die Gefühle und die Sinnenwelt, einschließt und transzendiert. Moksha, die Befreiung aus dem Kerker der Subjektivität, ist den Upanishaden zufolge der essentielle Sinn des menschlichen Strebens. Notabene: nicht die Freiheit des Subjekts ist gemeint, denn im Reich der Illusionen kann auch Freiheit nur eine Illusion sein. Um die Freiheit vom Subjektiven geht es allein. Und ‘Subjekt’ ist auf dieser Ebene natürlich verstanden als das Subjekt illusionärer Bestrebungen, in Abgrenzung vom absoluten Weltsubjekt, dem Atman/Brahman.

An manchen Stellen sprechen die Upanishaden diesem absoluten Selbst auch die Kraft eines ‘göttlichen Logos’ zu, einer formschöpferischen Ur-Potenz, welche sich in sinnlich wahrnehmbaren Gestaltungen des Universums aktualisiert. Insofern Brahman sich differenziert und entfaltet in die Erscheinungswelt - in die Dimension des Nichtseienden -, ist Brahman ‘Vac’, die Macht des Logos, der Schöpfer der Formenwelt. Schon der Prajapati-Mythos der vor-upanishadischen Veden hatte die Konzeption einer Göttin namens Vac gekannt, die nicht nur in sexueller Beziehung zu ihrem Gott/Schöpfer Prajapati stand, sondern auch als materialisierendes Medium seines schöpferischen Willens fungierte.

Die Macht des Brahman-Logos nun produziert einen Formenkosmos, der völlig von seinem Schöpfer durchdrungen ist, dessen Geschöpfe ihn in sich tragen, mit ihm essentiell eins sind - Atman/Brahman. Diese logosinitiierten Formen, nichtseiende Emanationen des Formlosen, des Kausalen, markieren den Horizont der Begierden des verblendeten Subjekts, eben des Atman, der nicht weiß, dass er (oder sie) Brahman ist. Das Brahman unter dem Aspekt seiner dialektischen Identität mit Atman wird auch Paramatman, höchstes Selbst, genannt, im Unterschied zum Jivatman, dem an die Formen der Welt besinnungslos ausgelieferten Subjekt.

Die Upanishaden variieren die Lehre von Atman/Brahman gemäß den Einsichten und dem Differenzierungsvermögen der in ihnen zum Ausdruck gelangenden Philosophen. Der Grundtenor ist, wie gesagt, monistisch. Das kosmische Urprinzip ist als ein mikro- wie makrodimensional unbegrenztes, nicht-personales und absolutes Subjekt zu denken, das die Phänomene der Wahrnehmungswelt transzendiert, diesen aber zugleich als deren existentielle Grundlage und als Wesenskern immanent ist, sie als ihre wahre Substanz trägt. Die Kluft zwischen Atman, dem Kern des Subjekts, und Brahman, dem All-Selbst, ist nicht real, sondern illusionär. Das Illusionäre an sich ist diese Kluft. Wer diese Illusionen ablegt, hat Brahman erkannt und kann, wie Shandilya in der Chandogya-Upanishad, sagen: „Dieser mein Atman im Innern des Herzens ist größer als die Erde, größer als der Luftraum, größer als der Himmel, größer als die Welten.“ Uddalaka Aruni lehrt in der gleichen Upanishad, dass Vielheit nur der Umwandlungsprozess der einen göttlichen Substanz ist, dieser einzig realen Substanz als Urgrund auch des menschlichen Geistes, von der der Wissende weiß: "… nicht stirbt die lebende Seele. Diese feinste Substanz durchzieht das All, das ist das Wahre, das ist das Selbst, das bist du …“ (tat tvam asi). Yajnavalkaya, der auch als erster die Einheit von Atman und Brahman postulierte, definiert in der Brihadaranyaka-Upanishad das höchste Prinzip als ‘Erkenntnis’ und ineins alles andere: „Der Brahman ist dieser Atman; er ist Erkenntnis, Manas [Verstand], Stimme, Hauch, Auge, Ohr, Äther, Wind, Glut, Wasser, Erde, Zorn, Nichtzorn, Freude, Nichtfreude, Recht, Nichtrecht, er ist alles.“

Das vielfach in psychotechnischen Experimenten erfahrene Brahman als Urgrund und Identität des Vielen kann per definitionem nur als absolut gedacht werden - dementsprechend hat dieses Eine der Upanishaden keine Anderes, zu dem es relativ stünde, wird somit weder transzendiert noch immanent begrenzt. Eine zeitlich erste Ursache für die Welt, einen den Beginn der Zeitlichkeit und der Dinge initiierenden Schöpfungsakt zu setzen wäre ein künstlicher und völlig willkürlicher Einschnitt in diese Nicht-Begrenztheit, kann also für eine monistisch ausgerichtete Philosophie nur noch als mythologisches Relikt gelten. Nicht nur das Brahman, auch die Welt in ihrer Irrealität hat keinen Anfang, denn sie ist das Werk des Brahman, und in diesem ist kein Bruch; kein Vorher und kein Nachher; kein Beginn und kein Ende; keine Kluft zwischen auch nur irgendetwas; nichts, das ist, was vorher nicht war und nachher nicht sein wird. In Brahman ist keine Zeit, also gibt es keine Zeit und keinen Beginn der Welt, denn Brahman ist die Wahrheit. All dies (und noch viel mehr, was hier nicht besprochen werden kann) zeigt, dass es illusionär wäre, zwischen dieser Philosophie und dem Christentum eine Brücke schlagen zu wollen; dafür ist die Brahman-Konzeption viel zu konsequent, zu logisch, zu klar, zu erhaben über allzu menschliche Kategorien und … zu wahr.

Zusammengefasst: Die vom Brahman emanierte Pluralität des Seienden ist an sich irreal, nur für uns, die verblendeten Subjekte, hat sie Realität, die freilich nicht ins Gewicht fällt, denn auch wir sind irreal; das Brahman ist zudem zeitlos und ohne Bruch, seine Emanationen sind, an sich, irreale Wandlungen des Einen und Wandellosen, für uns aber ewige Kreisläufe von Entstehen und Vergehen.

Chan

Aus Zeitgründen gehe ich nur kurz auf Kants Erkenntnistheorie ein, so wie er sie in der KrV präsentiert. Ein Kernbegriff darin ist das „Transzendentale“. Dieser Begriff besagt: Die Sinnesdaten werden durch mentale Funktionen strukturiert, die vor aller Erfahrung als Voraussetzung für Erfahrung bestehen, d.h. sie sind a priori.

Für Kant sind diese Funktionen 1) die Anschauungsformen Raum und Zeit, 2) die Synthesis der Einbildungskraft und 3) die Verstandeskategorien. Das so gewonnene Bild der Wirklichkeit ist nur ein Bild und vermittelt die Wirklichkeit nicht so, wie diese „an sich“ ist. Das Bild ist nur „für uns“ (hegelisch gesagt). Kausale Beziehungen zwischen Ereignissen z.B. sind nicht Teil der Wirklichkeit, sondern sie werden vom Verstand in die Sinnesdaten hineinprojiziert.

Im Unterschied dazu heißt „transzendent“: Es gibt eine Wirklichkeit jenseits der sinnlichen Erfahrung, zu der wir keinen Zugang haben. Dieses Jenseits ist das Transzendente. Wir sehen ein Ding aber nur so, wie es uns aufgrund der transzendentalen Strukturen erscheint (sie sind Erscheinungen, „Phänomene“). Das Ding, wie es wirklich ist, nennt Kant „Ding-an-sich“. Für die Sinne und für den Verstand ist es unerkennbar.

Auf die anderen Themen komme ich spätestens morgen zurück.

Chan

Hallo Bronko1234,

besorge dir vielleicht das Buch: „Die großen Denker“ von Will Durant, Orell Füssli Verlag, Zürich (1958).
Ab Seite 289 im Kapitel über Arthur Schopenhauer: „Der Mensch“, findest du Hinweise auf seine pessimistische Grundeinstellung, die sich u.a. aus seinen Lebenserfahrungen erklären läßt.
Speziell das Verhältnis zur Mutter, die ihn einmal im Streit sogar die Treppe hinunter stieß, war spannungsgeladen.

Gruß

Tankred

Nicht wirklich. Das muss man nicht glauben. Hätten alle Menschen diese alten religiösen Heilslehren gelesen, und sich danach wirklich gehalten, in ihrer ganzen Lebensplanung, säße wir heute noch gemeinsam in Lehmhütten, hätten keine Lebenserleichterungen, weder fließendes Wasser, elektrischen Strom, noch Autos, Flugzeuge, Fernsehgeräte, Computer und Internet.

So POSITIV Schopenhauer zu geschätzten Dreiviertel seines Hauptwerkes „Die Welt als Wille und Vorstellung“ überzeugend argumentiert, vor allem in seiner Widerlegung von Kant und Descartes, so entgegengesetzt NEGATIV ist er zum Schluss zu lesen.

Sein erster Satz seines Hauptwerkes ist 100% POSITIV: „Die Welt ist meine Vorstellung.“ Ja, wesen Vorstellung denn sonst, lieber Arthur?! Am Anfang spricht er noch nicht von „Atman“ und „Brahman“ und dass die Welt nur „Maya“ sei, nur eine bloße Illusion, nur eine Art von Schein. Die „wahre“ Wirklichkeit wäre gemäß dieser östlichen religiösen Heilslehre eine ewige unsterbliche SUBSTANZ hinter der sichtbaren Welt, und die könne man nur finden in der „Askese“, d. h. weltabgeschieden leben.

Nach so einer „Lehre“ kann der moderne Mensch nicht überleben!

„Sie“, diese alte religiöse indische Heilslehre kann, kann freilich für einen zur Depression neigenden Charakter ein Trost sein. Wer es gerne glauben möchte. Ähnlich wie ein Trost an die Unsterblichkeit. Aber trotz alledem bleibt immer noch Leid, Krankheit und Schmerzen zu ertragen, trotz allem schön zurecht fantasierten Glauben an die heilige Einfältigkeit, denn dem Körper ist es doch völlig wurscht, was der Geist alles zusammen-fantasiert.

Man sollte lieber an die moderne Wissenschaft glauben, z. B. an die Medizin, um menschliches und tierisches Leid zu lindern.
existo

Wie kann man Farbenblinden erklären, was Farbe ist?

Nichts gegen deinen Glauben. Es macht aber einen Unterschied, ob die gesamte westliche Philosophie und Wissenschaft (zugegebenermaßen!) aus lauter „Farbenblinden“ besteht, die wenigstens versuchen, diesem grausamen Schicksal einer körperlichen Existenz auf diesem Planeten wenigstens lebensbejahend anstatt lebensverneinend zu begegnen, weil es so oder so bei allen Tieren und Menschen zu einem sicheren (qualvollen) Tode führt, egal, was immer man glaubt.

Das ist leider die schrecklichste Tatsache, die wir Menschen in unserem Leben als Wahrheit realisieren können. Dazu braucht man nicht unbedingt einen religiösen Glauben als Trost, der ja auch nur eine Illusion ist, wie der Glaube an den Osterhasen, Klapperstorch oder Weihnachtsmann bekanntlich nicht hilft bei Problemen.

Die „Farbenblinden“ sind für die Menschheit sicher sehr nützlich, auch wenn sie „blind“ nur an Äußerlichkeiten fixiert sind. Das ist der Vorteil der westlichen Kultur gegenüber der hinduistischen, die durch ihre religiösen Heilslehren aus Mangel an Aufklärung und Rationalität in Leid und Armut versinkt.
existo

Du bist immer noch der alte Materialist…

Ich weiß nicht, welche Stelle du meinst, aber generell gilt für Schopenhauer, dass der triebhafte Wille den Intellekt hervorgebracht hat, um sich selbst mit den Mitteln des Verstandes und der Vernunft zu erkennen. Wie es dem angeblich blinden Willen möglich ist, diesen Entwicklungsschritt durchzuführen und ihn überhaupt zu wollen, scheint bei Schopenhauer nicht ausreichend begründet zu sein. Hier liegt also eine Lücke im theoretischen System vor.

Allerdings kann der Intellekt die Wirklichkeit, d.h. den Willen an sich, nicht wirklich erkennen, sondern nur die Beziehung der Phänomene zum Subjekt des Intellekts, dem individuellen Ich= individualisierten Willen. Kantianisch ist daran, dass der Wille, der bei Schopenhauer dem Kantischen Ding-an-sich entspricht, durch den Intellekt nicht erkannt werden kann. Der Zweck des Intellekts liegt einzig darin, Diener der Interessen des Individuums zu sein.

Der nächste Entwicklungsschritt ist die durch den Intellekt vollbrachte Selbst-Verneinung des Willens. Auch hier kann Schopenhauer nicht ausreichend begründen, was einen vermeintlich blinden und quasi tierhaft unbewussten Weltwillen dazu motivieren könnte, sich durch den von ihm geschaffenen Intellekt selbst zu verneinen und aufzuheben. Dieser Intellekt mutiert sogar zu einem zweiten universellen Prinzip neben dem Willen, dem er doch entstammt wie ein Kind seiner Mutter. Er wird zum klarsichtigen Weltauge jenseits von Raum, Zeit und Kausalität, also jenseits des principiums individuationis, welches die Einheit des Wirklichen (= des Willens, bei Kant: des Dinges-an-sich) in die Vielheit der phänomenalen, aber unwirklichen Welt zerreißt.

Schopenhauer sieht darin Bezüge zur Purusha-Prakriti-Lehre des Samkhya und der Brahman-Atman-Jiva-Lehre des Vedanta.

Der Unterschied zum Samkhya besteht zunächst, wie du richtig schreibst, im Dualismus von Purusha und Prakriti. Andererseits schleicht sich bei Schopenhauer, wie oben gezeigt, selbst ein Dualismus ein, denn er unterscheidet den Weltauge gewordenen Intellekt, d.h. den ´Geist´, rigoros vom blinden Willen. Zwischen beiden klafft ein Abgrund wie zwischen den dualistischen Ur-Prinzipien Purusha (Geist) und Prakriti (Materie). Der Unterschied liegt nur darin, dass der Intellekt=Geist aus dem Willen entstanden ist, der mit ihm seinen eigenen Widerspruch und somit einen Dualismus hervorgebracht hat, denn erkennender Geist und blinder Wille sind einander wesensfremd.

Der Unterschied zum Vedanta besteht vor allem in den offensichtlichen Differenzen zwischen Wille und Brahman. In der indischen Auffassung ist das Brahman nicht nur die Quelle von Bewusstsein und Trieben wie bei Schopenhauer der Wille. Vielmehr gilt den Indern das Brahman als höchste Quelle des Erkennens und die Auflösung des individuellen Bewusstseins in der Unendlichkeit des Brahman als höchstes Ziel. Brahman wird also nicht, wie der Schopenhauer´sche Wille, negiert, sondern bejaht und angestrebt. Das Mittel dazu ist die Erkenntnis, dass der Jiva, das individuelle Bewusstsein, eine Täuschung ist, hinter der sich die Wirklichkeit, der Atman=Brahman, verbirgt.

Durch das viel umfassendere und positivere Konzept des Brahman, das den Indern keineswegs „sündig“ gilt (ganz im Gegenteil), ist Entwicklung vom Niederen zum Höheren in der indischen Philosophie logischer begründbar als bei Schopenhauer, bei dem, wie erwähnt, die Entwicklungsschritte des Willens zu höheren Formen nicht plausibel erscheinen.

Chan

Ja, is ja gut.

Eine Brücke zu schlagen zwischen Christentum und seine Lehre hat Schopenhauer allerdings versucht so löst er die Trinität auf in der heilige geist sei die Verneinung des Willens zum Leben der Sohn sei der Mensch der die Verneinung konkret hervorbringt, der Vater sei die hevorbringende Welt der Wille.
Ich kenn mich nicht so gut aus mit der Brahaman Lehre aber auch dort wie du geschrieben hast gibt es eine Trinität zwischen Brahman Atman und Jiva ???

Hey Trankred ,

danke für deine Antwort
ja die zeitumstände spielen bestimmt eine rolle auch das verhältnis zu seiner Mutter und vielleicht war schopenhauer depressiv. Allerdings hatte er genug Geld und Status um sich ein schönes Leben machen zu können ich glaube das er doch aus inneren Antriebe zu seiner philosophie gefunden hat. Ein rein depressiver Mensch hätte wohl kaum die Kraft ein so gewaltiges Werkt hervorzubringen mit so einer Ausdauer. Auch wenn man vielleicht depressive Strukturen herauslesen kann ist das Werk dennoch klar mit konkreten Beispielen. Und stellt einfach die nüchterne Frage ob das Leben durch sich selbst gerechtfertigt sei.
Deswegen bin ich nicht davon überzeugt Depressionen und Pessimismus in Verbindungen zu bringen.
Der Pessismismus ist eine Weltanschauung.

Hey Exitos

nach so einer Lehre kann die Menschheit nicht überleben.

frägt sich warum sie überhaupt überleben soll nichts gegen Wissenschaft die sehr viel gutes ins Leben gebracht hat. Allerdings ist unsere Ausgangspunkt sowieso sehr pessismistisch wir befinden uns auf einen Planeten der durch einige zufälle Leben vorgebracht hat . Ein weiterleben bis in alle ewigkeit ist von vorneherein nicht möglich da auch dieser Planent irgendwann zu grunde geht. Es sei denn es kommt wirklich soweit das wir andere Planeten bevölkern können oder eben anderes leben von außen uns zu Hilfe kommt. Kann sein ich bin kein Hellseher der aktuelle stand der dinge ist allerdings sehr unwahrscheinlich das dies Technisch möglich ist. Also muss die Erlösung nicht in der Wissenschaft zu sondern ganz woanderst.

Richtig. Man kann in diesem Bemühen, eine christliche (genauer gesagt: katholische) Idee dem eigenen Denksystem anzugleichen, Schopenhauers Versuch sehen, seinem persönlichen Vaterkomplex einen philosophischen Anstrich zu verleihen. Allerdings verrät die Konstruktion mehr über Schopenhauers Seelenleben als dass sie von Nutzen ist für das Verständnis seines Denksystems.

  • Dem väterlichen Willen setzt Schopenhauer die Möglichkeit der Verneinung entgegen. Der „Sohn“ kann sich für oder gegen diesen Willen entscheiden. Da in Schopenhauers Denksystem die Verneinung des Willens der Schritt zur wahren Erkenntnis ist, offenbart seine christliche Metaphorik ganz klar eine Protesthaltung gegen väterliche Autorität. Nun hat Schopenhauer - laut biografischer Überlieferung - seinen (sehr strengen und evtl. durch Freitod gestorbenen) Vater aber ´geliebt´ und seine Mutter Johanna ´gehasst´. Psychoanalytisch gesehen sind solche Gefühle im Unbewussten immer komplementär ergänzt, und zwar Liebe mit Hass und umgekehrt.

Ich sehe also in Schopenhauers vermeintlicher Vaterliebe nur die eine Seite seiner Vaterkomplex-Medaille - die andere besteht aus unbewusstem Hass, der sich in der metaphorischen Aneignung der christlichen Trinitätsmetaphorik klar ausdrückt.

Es ist auch sehr merkwürdig, dass ausgerechnet der Vater, der als Realfigur das eigene Leben verneint hat (Schopenhauer war fest vom Freitod seines Vaters überzeugt), im philosophischen System als lebensbejahender Wille erscheint.

  • Was Schopenhauers Verhältnis zur Mutter betrifft, liegen die Dinge ebenfalls widersprüchlich, was bei der emotionalen Beziehung zu einem Elternteil immer zu erwarten ist. An der Oberfläche scheint er sie gehasst zu haben, unbewusst aber muss er sie geliebt haben - denn zumindest unbewusst liebt (fast) jeder Mensch seine Mutter. Es gibt auch eine Textstelle, die auf eine unbewusste Identifikation Schopenhauers mit seiner Mutter (oder dem Mütterlichen) hinweist:

(ein früher Text aus dem handschriftlichen Nachlass)

Das Werk wächst, konkretisiert allmählich und langsam wie ein Kind im Mutterleibe. Ich weiß nicht, was zuerst und zuletzt entstanden ist, wie beim Kind im Mutterleibe. Ich, der ich hier sitze und den meine Freunde kennen, begreife das Entstehen des Werkes nicht, wie die Mutter nicht das des Kindes in ihrem Leibe begreift; ich sehe es an und spreche wie die Mutter: Ich bin mit Frucht gesegnet.

Hinzu kommt die merkwürdige Umkehrung der traditionellen Zuordnung des Triebhaft-Materiellen zum Weiblichen: Bei Schopenhauer ist dieses Triebhaft-Materielle männlich (der Vater), in den alten Religionen wird es dagegen, metaphorisiert in den zahlreichen mütterlichen Erdgöttinnen, als weiblich vorgestellt. Auch der philosophische Materie-Begriff, der Gegensatz des Geist-Begriffs, geht auf die Vorstellung des Materiell-Erdhaften als weiblich zurück: Mater = Mutter.

Bei aller Achtung für Schopenhauers Philosophie im ganzen sehe ich also im Detail, wie auch schon in meinem gestrigen Post, viele seltsame Ungereimtheiten oder Widersprüche.

Eine eigentliche Trinität gibt es im Brahmanismus nur in seiner theistischen Variante mit der Dreiheit Brahma (Schöpfer), Vishnu (Erhalter) und Shiva (Zerstörer). Meine Formulierung betr. Brahman, Atman und Jiva bezieht sich nur auf essentielle Aspekte des vedischen Denkens, die nach Belieben mit anderen Aspekten (z.B. Maya) ergänzt werden können. Brahman ist der makrokosmische Weltgeist, Atman seine Manifestation im Mikrokosmos (d.h. in subjektiven Geist) und Jiva das individuelle Selbst, also das Ego ohne Bewusstsein seiner Identität mit Brahman.

Chan

Ja kann sein das es viele wieder gibt und seine persönliche Erfahrung mit einspielt. Seine Kritik am Selbstmord ist schon extrem vielleicht liegt es wirklich daran das sich sein Vater umgebracht hat. Seine abwertende Haltung Frauen gegenüber ist schon verdächtig, wobei er ja zwischen zeitlich dem weiblichen Geschlecht doch zugesteht das Erlösende Prinzip zu sein da sie den Intellekt geben der zur Erlösung notwendig ist.

Vielen dank für deine Ausführliche Antwort.

Stimmt du hast recht Schopenhauer hat immer erwähnt das es unmöglich ist seine Philosophie zu verstehen wenn man nicht vor allem Kant Platon und die Upanishaden gelesen hat. Da hackts auch schon hab versucht Kant Kritik der reinen Vernunft zu lesen und kein einziges Wort verstanden um was es eigentlich geht. Schopenhauer ist da wohhl dierkter klarer. Aber ich glaube man muss wirklich ein zwei Semester darauf bringen um Kant zu verstehen.
Bei Schopenhauer ist Brahama der Wille also die Basis der Intellekt also das individum das sekundär.Aber genau auf dem intellekt liegt die Hoffnung da es nur den willen und damit sich selbst aufheben kann.Insofern tatsächlich monistisch.Das es nur eine Urkraft gibt. Allerdings frägt er sich soweit ich mich errinnere an einer Stelle wie sich den der Allmächtige Wille im Intellekt verirren konnte. Nebenbei kritisiert er das die indische Philosophie in einem dualismus ausartet nähmlich mit ihrer Purusha und Prakti philosophie wo es wirklich zwei voneinander klar getrennte urkräfte gibt. Die sich gegenseitig erlösen. Bloß wenn Brahman der Wille ist, ist er sündig und schlecht von Natur aus ? oder zeigt er sich erst wenn er sich durch das Individuem realisert als schlecht und sündig und ist in seiner Reinform doch unschuldig und rein?Naja soweit erstmal mein Verständinis von der Sache …