Ich hoffe, ich stoße jetzt nicht in ein Wespennest - wissend dass das Thema zu off-Topic-Diskussionen verlockt. Vielleicht habt Ihr’s in den Medien gehört: vor einiger Zeit ist in Stuttgart ein junger Kerl mit einem gemieteten Jaguar mit ungefähr 160 km/h durch die Stadt gebraust, hat dabei den Kleinwagen eines jungen Pärchens übersehen. Der Unfallverursacher hat das überlebt, die Insassen des Kleinwagen nicht: https://www.focus.de/regional/stuttgart/raser-unfall-in-stuttgart-jaguar-fahrer-unverletzt-insassen-von-kleinwagen-tot_id_10420611.html
Tragische Sache, zwei tote junge Leute, absolut sinnlos.
Aktuell findet der Prozess gegen den Verursacher statt, die Medien sind voll von Berichten, dass die Eltern der getöteten jungen Leute nun erzählt haben, was für tolle Kinder sie hatten, man hörte, dass sogar die Richterin gerührt war. Verständlich. Und sicherlich muss und wird der Unfallverursacher auch entsprechend bestraft werden. Verstehe ich alles.
Was ich aber nicht verstehe: wo sind die Maßnahmen? Man könnte ja in dieser Straße (ich kenne mich nun vor Ort nicht aus, aber es gibt doch in jeder Stadt die „Imponierstraße“ - also die bekannte Straße in der man seinen Sportwagen „ausführt“ und sich in den bewundernden Blicken sonnt - vielleicht eine Radarkontrolle hinstellen? Vielleicht bauliche Maßnahmen (Schweller, dann fahren die mit den tiefergelegten Karren doch freiwillig langsamer)? Vielleicht auch generell härtere Strafen (hey, Tempo 160 innerorts geht nunmal gar nicht. Alles deutsche „Freies Rasen für freie Bürger“ mal außen vor gelassen!) Und mir fehlen irgendwie die Schauprozesse für diejenigen Fahrer, die ebenfalls da 160 gefahren sind und die halt „zufällig“ keinen Kleinwagen gerammt haben…
Warum ich das in Psychologie schreibe und nicht in Verkehrsrecht? Oder in einen allgemeinen Autobrett? Es geht mir gar nicht so sehr um genau diesen Unfall, den finde ich nur ein gutes Beispiel. Tragische Sache passiert, und es scheint alle nur zu interessieren „den Schuldigen“ zu „bestrafen“. Das ist auch sicherlich nicht verkehrt (zumindest wäre das ne andere Diskussion, ob unser Strafsystem an solchen Stellen oder auch generell schlau ist, aber auch darum soll’s nicht gehen…), aber wieso hört man so gar nichts von zu ergreifenden Maßnahmen, um sowas zukünftig zu vermeiden?
Warum interessiert „uns“ Menschen das so gar nicht (und ich sehe da durchaus die Berichterstattung der Medien als das, was „uns“ eben interessiert - die berichten ja nix, was eh keine Sau interessiert!)?
Und vor allem: es gibt ja verschiedene Modelle, die sich mit der Entstehung von Unfällen befassen, die „Unfallkette“ - mir vertraut ist nur das Schweizer-Käsemodell. Und das sagt im wesentlichen aus, dass es zu jedem Unfall eine Kette von „Versäumnissen“ gibt. In dem Fall ist das nicht ganz so einfach, da müsste man allenfalls in Frage stellen, warum es offensichtlich keine „abbremsenden“ Maßnahmen auf der Straße gab (und wenn man will, könnte man noch überlegen ob 20 Jahre zu jung für so einen schnellen Wagen ist - aber unser Führerschein erlaubt das prinzipiell). Aber es gibt ja andere Fälle - ich denke da an diesen tragischen Flugzeugabsturz von Überlingen - wo „wir“ ebenfalls am Ende einen Schuldigen gekürt haben (und der wurde ja dann am Ende auch noch ermordet), obwohl wenn man sich den Hergang mal genauer anguckt, sind da noch ganz viele weitere Sicherheitsnetze ausgefallen (und als letztes Glied der Kette war einfach noch großes Pech…).
Darum meine Frage: gibt es eine Erklärung, warum wir Menschen so widerwillig auf „Fehlerketten“ ansprechen und stattdessen gerne „einen Schuldigen“ bestimmen? Und was hält uns davon ab, in der Autowelt (in der Fliegerei ist das durchaus weiter verbreitet) Maßnahmen zu ergreifen, damit solche schlimmen Dinge nicht mehr passieren dürfen? Klar, das tut weh - in der Autowelt vermutlich jeden von uns betreffend (selber muss man ja da dann auch richtig langsam fahren!), aber witzigerweise wird das in der Fliegerwelt klaglos akzeptiert (bei den Sicherheitskontrollen muss man ja teilweise die drolligsten Sachen tun, aber ich habe noch nie jemanden sich beschweren hören…)
Gibt es dazu irgendwelche psychologischen Erklärungen? Mich erinnert das irgendwie an den mittelalterlichen Pranger, an den man den Apfeldieb gestellt hat - und wo es ja dann auch keine „Maßnahmen“ gab (sprich: vielleicht hat der einfach Hunger, weil sein zuständiger „Besitzer“ ihm nicht genügend von seiner eigenen Ernte gelassen hat). Aber eigentlich haben wir die Sache mit dem Mittelalter doch inzwischen hinter uns?
In der Hoffnung auf eine Diskussion, die sich auf diese Fragen konzentriert und nicht in eine Tempolimit-Diskussion abdriftet…