sinnlose Materialschlacht eigentlich
Liebe Katze!
ein wenig mehr Aktualität bei der Wahl der Lektüre schadet,
denke ich, nicht - dabei ließe sich nämlich zum einen
feststellen, dass sich die soziale Struktur in diesem unserem
Lande in den letzten 35 Jahren doch erheblich geändert hat
(die heutigen ‚finanzschwachen‘ Schichten sind z.B. deutlich
heterogener zusammengesetzt als anno dunnemal)
ich muss zugeben, dass ich auf diesen Hinweis irgendwie gereizt reagiere, weil man doch bitteschön von dem wenigen verlinkbaren Material, das sich auf die Schnell ergoogeln lässt nicht auf die Wahl der Lektüre schließen sollte.
Aber na schön, es geht auch aktueller, auch wenn das nicht sein müsste:
_Soziale Ungleichheit wird hier im engen sozialstrukturellen Sinne verstanden, nämlich als Frage nach der Zugehörigkeit zu Sozialschichten und nach der Bildungsnähe der Herkunftsfamilie.
Diese Kategorien haben sich in den neuern Studien als weiterhin sehr erklärungsmächtig für die Ungleichheiten der Bildungsleistung und –beteiligung erwiesen.
Zu den großen Erkenntnisgewinnen aus diesen Studien zählt, dass sie genauer schildern können, wie die Ungleichheiten entstehen, wie Bildungsungleichheiten ‚vererbt‘ werden, wie sie ‚gemacht‘ werden oder ‚passieren‘. Dabei geht es um Haltungen, um soziales Handeln, um soziale Verhaltensweisen, die in engem Zusammenhang mit der Sozialstruktur stehen und in der Summe unterschiedliche Lernmilieus bilden, sowohl im Elternhaus als auch im Wohnumfeld als auch in der Schule. Wird in der Familie gerne gelesen? Ist das Kind zuhause viel alleine? Wird dem Kind die Hochschulreife zugetraut? … Viele solcher und ähnlicher Kontextbedingungen haben erheblichen Einfluss auf die Bildungsbiographien der Kinder und Jugendlichen und werden hier immer wieder angesprochen."
http://www.edu-con.de/Bericht_Soziale_Ungleichheit.pdf
(S. 6)_
Das widerspricht dem alten Text von 1974 gar nicht, hatte aber den Nachteil, dass den sowieso keiner ganz lesen kann und dass copy&paste umständlich bei pdf-Dateien ist, zumal …
„Die gymnasialen Oberstufen und der Eingang zur Hochschule sind in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, nur auf einem höheren Beteiligungsniveau, von der Selbstrekrutierung durch höhere Bildungsschichten gekennzeichnet, und zwar in geradezu verblüffend durchgängiger Weise.“
… der Text eher sogar noch einen Rückfall in die Zeiten vor der Bildungsexpansion in den 70ern anzunehmen scheint, den aber mein alter Text interessanterweise bereits prognostiziert hatte.
Will meinen: nicht die mangelnde Unterstützung durch die
Eltern beeinflusst die Bildungskarriere der Kinder negativ,
sondern die bewusste oder unbewusste Benachteiligung durch die
Lehrer aufgrund des familiären Hintergrundes.
Besonders deutlich wird dies beim Übergang auf das Gymnasium:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bildungsbenachteiligung…
Wenn ich deinen Link lese, dann lese ich da auch andere Faktoren heraus:
_Das Ergebnis der IGLU-Studie 2007 bezüglich der Gymnasialempfehlung verweist auf soziale Ungerechtigkeiten:
* Lehrer empfehlen Kinder aus der oberen Dienstklasse bereits mit 537 Punkten zum Gymnasium; Kinder un- und angelernter Arbeiter müssen hierfür aber 614 Punkte erreichen
* Eltern aus der Oberschicht sehen ihre Kinder bereits gymnasialtauglich, wenn sie nur 498 Punkte erreichen; Arbeiter möchten ihre Kinder erst dann aufs Gymnasium schicken, wenn sie 606 Punkte erreichen.
* Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil sind es nicht in erster Linie Arbeiter, die ihre Kinder nicht aufs Gymnasium schicken möchten (bereits bei 606 Punkten), sondern die Grundschul-Lehrer verhindern eine gerechte Schullaufbahn der Arbeiterkinder (Gymnasialempfehlung erst ab 614 Punkten).
* Während bei allen Kindern die erforderliche Punktzahl für eine Gymnasialempfehlung gesunken ist, stieg sie bei Kindern aus der untersten Schicht. Dabei ist zu beachten, dass die Hürde für einen Gymnasialübergang von Lehrern gegenüber Kindern aus der Unterschicht stärker angestiegen ist als bei den Eltern der Kindern. Dramatisch gesunken ist die Hürde für Kinder aus der höchsten Herkunftsgruppe, sowohl bei den Lehrern, aber noch viel stärker bei den Eltern.
* Eltern der oberen Dienstklasse setzen sich gegenüber Lehrern besser durch als Arbeiter, wenn sie ihre Kinder aufs Gymnasium schicken wollen.
Nicht ganz so extrem sieht es in einer Untersuchung von Becker und Nietfeld (1999) aus: Sie beschäftigten sich mit den Kindern arbeitsloser Eltern in Dresden. Sie zeigten, dass Armut und Arbeitslosigkeit der Eltern mit schlechteren Bildungschancen der Kinder einhergehen.[35].Allerdings lassen sich andere Dinge finden, die die Bildungschancen mitbeeinflussen. Eine Berücksichtigung dieser Dinge zeigt, dass der Einfluss von Armut und Arbeitslosigkeit kleiner ist, als eine oberflächlicher Betrachtung nahelegen würde. Weitaus wichtiger ist das kulturelle Kapital. Damit ist zum Beispiel Bildung gemeint[36]. Insbesondere bildungsferne Schichten neigen zu risikoaversen Bildungsentscheidungen, das heißt sie wählen im Zweifelsfall eher niedrigere Bildungsentscheidungen. Arme Familien können oft nicht am kulturellen Leben teilnehmen, da Theaterbesuche, Opernbesuche und Musikunterricht für die Kinder zu teuer sind. Auch Kunstgegenstände oder Bücher werden selten gekauft. Es gibt eine kulturelle Diskrepanz zwischen Familie und Schule. Die betroffenen Kinder sind mangelhaft auf die Leistungsanforderungen der Schule vorbereitet, ihre Lernmotivation und Sozialkompetenzen sind defizitär [39]. Allerdings haben Armut und Arbeitslosigkeit fast nur bei wenig gebildeten Eltern negative Konsequenzen. Gebildetere Eltern sind offensichtlich besser in der Lage, die damit einhergehenden Probleme zu kompensieren._
Ich hätte vielleicht gleich diesen Link inklusive der markierten Passagen setzen sollen …
Um den Punkt noch drauf zu machen:
Ich habe die Ursachen dafür, dass das Bildungssystem hierzulande fast kastenartig sich fortpflanzt, gar nicht angesprochen (natürlich ist der Bias der Lehrerempfehlung eine der großen Ursachen dafür!), sondern ich sprach von Prognose für die weitere Schullaufbahn des einzelnen Kindes auf der Basis der Übertrittsentscheidung, also quasi dem ungerechten Auslesesystem bereits immanent - deshalb eigentlich eine weitgehend sinnlose Materialschlacht zwischen uns beiden hinsichtlich der Ausgangsfrage und meiner Beantwortung:
Sieht man die Lehrerempfehlung also als Prognose,
nicht als
Bestätigung bisheriger Leistung, dann finde ich
in Maßen diesen
Elternstatus-Bias zwar ungerecht, aber realistisch.
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