Schulsozialarbeit

Immer mehr Anforderungen werden an die Schulen und ihr lehrendes Personal gestellt. Neben der Wissensvermittlung gilt es Erziehungsarbeit zu leisten.
Mich würde interessieren, wie ihr die Lage in euren/den Schulen beurteilt. Haltet ihr den Einsatz von Sozialarbeitern in Schulen für sinnvoll ?
Jemand, der keinen Unterricht erteilt, keine Notenbeurteilungen abgeben muss und eine andere, spezieller auf Erziehungsfragen ausgerichtete Ausbildung hat ?
Was kann so ein Nicht-Lehrer in der Schule bewirken ?
Was sollte er tun, was sollte er lassen ?

Ich habe mich schon lange mit dem Thema beschäftigt, arbeite jetzt in einer Gesamtschule und bin sehr an einem regen, fundierten Austausch interessiert.

Hallo Georg,

letztens hatte ich die Gelegenheit mich mit der Rektorin unserer Grundschule zu unterhalten. Sie beklagt, dass in einigen Klassen manche Kinder so Verhaltensauffällig sind, dass die Lehrer leider zu oft in ihrer eigentlichen Lehrtätigkeit gebremst werden. Und statt dass sie durch ihre Maßnahmen es schaffen, den Klassenzusammenhalt zu fördern, sind sie damit beschäftigt sich um einige „Ausbrecher“ gesondert zu kümmern.
Zwei oder drei Familiensituationen fallen dadurch auf, dass daraus „Problemkinder“ hervorkommen:
Kinder aus dem Ausland und aus armen Verhältnissen und mit großen Sprachschwierigkeiten
Kinder mit Geschwistern und mit nur einem Elternteil (oft auch noch voll beruftstätig)
Kinder mit 2 Elternteilen und beide vollberufstätig und die mit dem Hort nicht zurecht kommen, also eigentlich statt ganztätige Fremdbetreuung in der Gruppe eine Einzelbetreuung bräuchten.

In der Klasse meiner Tochter ist ein Heimkind dabei, dass die Kinder auf dem Heimweg angreift (schlägt mit Stöcken, schupst auf die Straße, tritt in Genitalien). Laut Aussage des Heims ist zu wenig Personal vorhanden, um den Jungen abzuholen.
Schade um den Jungen, er wäre gerne integriert in die Heimgehclique, die sich nach Schulschluß zusammenfindet. Er ist ein lustiger Kerl, sehr sportlich, handwerklich geschickt. Dem täte eine starke Vaterfigur sehr gut. Es gibt leider zu wenig Männer unter den sozial oder pädagogisch Berufstätigen.

Kurzum: ich denke, wenn sich Lehrer durch die Arbeit der Sozialarbeiter nicht behindert oder beeinflußt fühlen, also eine Hand-in-Hand-Tätigkeit möglich ist, sehe ich sehr viele Möglichkeiten den Schulalltag zu verbessern.

viele Grüße
Claudia

Hallo Claudia,
was tun denn die Lehrerinnen nun, um die Situation zu verändern.
Wenn es nur so wenige ‚schwierige‘ Fälle sind sollte doch einiges mögich sein. Kooperation mit Fachleuten (Allgemeiner Sozialdienst beim Jugendamt, Schulpsychologen, Sportvereine, …)
Hilfe zur Erziehung - Massnahmen nach dem KJHG, sollten hier genutzt werden. Denn so gehen diese Kinder sicher den bekannten Weg des Scheiterns und Auffällig-seins.
Jedes Kind hat halt seine Art HIER zu schreien. Und in dem Alter schon aufzugeben wäre eine Schande.

N gruß, Georg.

Hallo Georg,

von der besagten Rektorin weiß ich, dass Psychologen einschaltet, wenn es gilt einer überlasteten Lehrerin zu helfen, und wenn es der gesamten Klasse dient.
Was den „rabiaten“ Jungen angeht, habe ich gehört (ich habe extra nachgefragt!), dass die Heimleitung mit ihren Erziehern sich zu einem Gespräch treffen wollen, um dann eine Entscheidung zu treffen. Die Elternsprecherin der Klasse (in die der Junge geht) will regelmäßige Spielenachmittage initieren, um ihm die Gelegenheit zu geben sich mit den Klassenkameraden auch nach der Schule zu treffen und ihm so bei der Integration zu helfen. Ich finde, dass das eine tolle Idee ist.
Dennoch, wenn ich mir ihn anschaue, spüre ich, dass er bisher psychisch vernachlässigt ist. Er versucht verzweifelt irgendwo in einer Gemeinschaft Fuß zu fassen, und es will ihm nicht gelingen, als suche er Halt.
Wir Eltern der Klasse werden tun, was wir tun können, und mit dem Heim im Gespräch bleiben. Mehr können wir momentan nicht tun.

viele Grüße
Claudia
Ps. ich habe meinen Foren-Namen geändert, weil mittlerweile hier einige Claudias aufgetaucht sind.

Hallo Claudia,
gibts bestimmte Situationen, in denen das ‚rabiate‘ Verhalten auftritt ?
Und in welchen Situationen verhält sich der Junge angemessen?
Ach ja, wie alt ist er ?

Gruß, Georg.

Hallo Georg,

Tobias geht mit meiner Anja in die zweite Klasse und ist nach meiner Einschätzung etwa 8 Jahre bald 9 Jahre alt - er soll spät eingeschult worden sein.
Als er das letzte Mal ausrastete, hatte er sowohl Ärger mit seinem Erzieher, weil er Geld gestohlen haben soll, als auch von der Lehrerin kurz gehalten worden sein (laut meiner Tochter: die Lehrerin hatte ihn an diesem Tag oft zurecht gewiesen und verhindert, das er nach Schulschluß als erster die Klasse verläßt).
Es kommt mir manchmal so vor, als ob er an Minderwertigkeitkomplexen leidet (erzählt Geschichten in der er der Held ist), um jeden Fall auffallen will (spielt den Clown in der Klasse), demonstriert Macht gegen Erwachsene (zerkratzt Autos, steckt auf dem Heimweg irgendetwas in den Auspuff, drückt alle Klingelknöpfe…)
Eine Mutter hat mir erzählt, dass es einen Vater gäbe, der ihn aber so gut wie nie besucht trotz der Ankündigung seiner Ankunft. Man kann sich vorstellen, dass er darunter besonders leidet.
Ich hätte ihn schon lange zu uns eingeladen. Aber eine Mutter hat mir erzählt, die ihn schon bei sich zu Besuch hatte, dass er mit Fleiß ihren Garten verwüstet hat. Dazu fühle ich mich überfordert, bei allem Verständnis für seine Situation.
Darum haben wir uns Mütter (eine Handvoll) darauf geeinigt, dass wir mit unseren Kindern uns ab und zu auf Spiel- oder Bolzplätzen treffen wollen. Zum einen sind wir mehrere Aussichtspersonen, zum anderen auf neutralen Terrain. Außerdem bekommt er die Chance im Klassenverband sich spielerisch einzufügen, einer unter vielen - unter den vielen einer.
Vielleicht verlaufen dann die Heimwege ereignisloser.

viele Grüße
Claudia

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Hallo Claudia,
ich finde euren einsatz aussergewöhnlich. was treibt euch an, das zu tun ? der schutz eurer kinder, eine hilfe für tobias, oder noch was anderes ?
wohl eine mischung daraus. kurzum, ich denke, neben euren massnahmen (die idee mit dem sportplatz halte ich in der form für gut, vielleicht könnten da ja auch mal väter mitgehen …)
sollte dringend ein therapeutische massnahme begonnen werden.

deine einschätzung, dass er sich minderwertig fühlen muss, trifft sicher zu. denn wem vertraut er im moment, wem ist er wichtig, welche nahestehenden personen hat er, die sich für seinen werdegang interessieren.

deine anja kann sich deiner bedingungslosen liebe und unterstützung sicher sein. tobias hingegen … er kann eigentlich kaum anders reagieren. ich würde sogar sagen, dass er ziemlich gesunde reaktionen zeigt. er will beachtung und liebe. und wenn er keine liebe kriegen kann, so will zumindest bemerkt (beachtet) werden.

nochmals, ich finde es klasse, dass ihr euch um ihn sorgt.
vielleicht gelingt es euch ja zuätzlich einen guten therapeuten (einen mann !!!) zu finden.

Hallo Georg,

endlich eine Antwort von mir:

ich finde euren einsatz aussergewöhnlich. was treibt euch an,
das zu tun ? der schutz eurer kinder, eine hilfe für tobias,
oder noch was anderes ?

wir leben hier in einer Stadt mit den unterschiedlichsten Leuten: sehr reiche und sehr arme Leute, alt eingessene mit ellenlangen Generationen vor Ort, sehr viele Ausländer (eher aus Osteuropa und ehem Jugoslawien), und sehr viele Alleinerziehende. Was uns antreibt ist die Erkenntnis, dass wir uns auf die Instiutionen alleine nicht verlassen können sich angemessen um die Kinder zu kümmern (sei es die Lehrer mit zuvielen Kindern in einer Klasse, Horte und Heime mit vielen Problemkindern). Der Tobias geht wie unsere Kinder noch fast 3 Jahre in diese Schule. Um sein (für uns nachvollziehbares) Verhalten nicht schlimmer werden zu lassen, sind wir bemüht zusammen mit der Lehrerin und der Heimleitung den Jungen bei der Integration in die Klassengemeinschaft zu helfen.

deine einschätzung, dass er sich minderwertig fühlen muss,
trifft sicher zu. denn wem vertraut er im moment, wem ist er
wichtig, welche nahestehenden personen hat er, die sich für
seinen werdegang interessieren.

Das weiß ich nicht, wäre aber interessant zu wissen wer seine informelle Bezugsperson ist.

nochmals, ich finde es klasse, dass ihr euch um ihn sorgt.
vielleicht gelingt es euch ja zuätzlich einen guten
therapeuten (einen mann !!!) zu finden.

Das stelle ich mir schwierig vor, denn dann besteht die Gefahr laienhaft in die Bemühungen der Heimleitung einzugreifen. Dennoch werden wir Tobias im Auge behalten - bei all seinem Wohl und Wehe.

Wie gestaltet sich Dein Aufgabenbereich in der Schule. Ich habe noch nie von Sozialarbeitern in der Schule gehört.

viele Grüße
Claudia