Schwäbische Sprichwörter (Jahr 1900) - Übersetzungshilfe gesucht!

Hallo zusammen,

bei den schwäbischen Texten aus dem Jahr 1900 stoße ich immer wieder an meine Grenzen.

Könnt Ihr mir bei der Übersetzung bzw. beim Verständnis der folgenden, unter der Rubrik Sprichwörter aufgeführten, Sätze helfen?
(Orthographie und Interpunktion habe ich vom Original übernommen.)

a) „Wer läßt der Gois da Schwanz et z’hauch wachsa.“
Die wörtliche Übersetzung ins Schriftdeutsche stellt hier kein Problem dar - aber wie ist dieser Satz gemeint?

b) „Di hau I hear, daß Feile sch…, Spitz ghauener!“
= „Dich prügle ich durch, dass […?]“

c) „Du stohst im Zuig denna, wie der Gockeler em Äwerk.“
= „Du stehst in deinen Kleidern[?], wie der Hahn im […?].“

d) „Do könnt mer doch a Hex werde, Jockel, birabämmer!“
übersetze ich (teils etwas frei) mit:
„Da könnte man doch ausrasten, du Kasper / Depp aus Birnbaumholz!“ [?]

e) „Dear heult vor de Stroi wia a Hund.“
= Der heult vor […?] wie ein Hund."

f) " Liaber schlecht g’fahra als hauffärtig gloffa."
= „Lieber schlecht gefahren als stolz[?] gelaufen.“

g) Isch denn a Kuah fluigig worda.
= „Ist denn eine Kuh flügge / flugfähig[?] geworden.“
= gemeint im Sinne von: „Kann das denn wahr sein?“[?]

Vielen Dank schon mal für Eure Mühe!

Es grüßt
Renardo

Hallo Renato,

viel hab ich dazu nicht zu bieten:

Der heult vor den Streichen wie ein Hund. (sobald er merkt, dass es gleich etwas setzen wird)

hoffärtig ist im Vergleich zu stolz eindeutig peiorativ; gemeint könnte sein, dass sich jemand zu gut ist, sich ein Stück mitnehmen zu lassen - sei es, auf einem schlechten Wagen, sei es, weil er nicht gerne etwas von andren annimmt.

Hier täte ich ein „je“ ergänzen:

Ist denn je eine Kuh flügge geworden?
= das ist vollkommen unsinnig und unglaubhaft.

Schad, dass der Ostälbler Bolo2L nicht mehr ist - der hätte das alles leicht zusammengebracht…

Schöne Grüße

MM

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Hallo, Renardo,

zum Geiß-Schwanz ist im DWB (Grimm) zu finden:

c) die geisz will auch einen langen sterz, d. h. im neidischen vergleich mit ihrem weidenachbar, dem schafe …; gott weisz wol, warum er der geisz den schwanz abgehauen hat (bair. …, warnung vor überspannten plänen)

Siehe auch Wander, u. a.:

829. Gott lässt der Ziege den Schwanz nicht länger wachsen, als sie ihn brauchen kann.Simrock, 3849; Körte, 2352; Braun, I, 948.
Böhm. : Dobře že svinĕ rohův nemá. – Nedal pán bůh svini rohy, aby netrkala. ( Čelakovsky, 101. )
Engl. : In proportion to the size of the cat are its thighs.

1962. Wenn Gott der Geiss einen langen Schwanz gegeben, sie wäre zu hoffärtig geworden.

… und https://www.heinrich-tischner.de/22-sp/6mda/sh/texte/spw/h/hrgt/geisz.htm

Gruß
Kreszenz

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  • wenn wir grad dabei sind, noch ein hübsches peioratives Attribut aus der Gegend, wo das Schwäbische ins Seealemannische übergeht, und das keine wörtliche Entsprechung im Standarddeutschen hat:

Säll ischt ou a vordlhäftiger Siach, a vordlhäftiger! („vorteilhaftig“ = ohne Rücksicht auf alle anderen immer auf den eigenen Vorteil bedacht)

… daß Du Feilen scheißt? Nie gehört, die Metaphorik ist auch wenig einleuchtend. Vielleicht schon im Original verhört? Möglich vielleicht auch Feiala = Veilchen, also das ungefähre Gegenteil von Exkrementen?

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Hallo Aprilfisch;

hab vielen Dank für Deine Antwort!

b) „Di hau I hear, daß Feile sch…, Spitz ghauener !“
= „Dich prügle ich durch, dass […?]“

Möglich vielleicht auch Feiala = Veilchen, also das ungefähre Gegenteil von Exkrementen?

Ich hätte hier statt „Feile“ dann eigentlich eher die Schreibweise „Vei[g]ala“ erwartet, hatte aber auch schon in diese Richtung gedacht.
Dein Vorschlag erscheint mir daher letztlich doch recht plausibel.

e) „Dear heult vor de Stroi wia a Hund.“
= Der heult vor […?] wie ein Hund."

Der heult vor den Streichen wie ein Hund. (sobald er merkt, dass es gleich etwas setzen wird)

Ja, so würde es Sinn machen!
Irritierend nur, dass hier „Stroi“ und nicht „Stroich“ steht!
(Den Satz „Du kriagsch glei Stroich!!“ habe ich bis heute noch im Ohr! :smile:)
Nach dieser Lesart würde ich diesen Satz als spöttische Äußerung über eine Person verstehen, die sehr pessimistisch bzw. übertrieben ängstlich ist. Frei übersetzt wäre das dann in etwa:
„Der jammert schon, bevor ihm (überhaupt) etwas zugestoßen ist!“

f) " Liaber schlecht g’fahra als hauffärtig gloffa."

hoffärtig ist im Vergleich zu stolz eindeutig peiorativ; gemeint könnte sein, dass sich jemand zu gut ist, sich ein Stück mitnehmen zu lassen - sei es, auf einem schlechten Wagen, sei es, weil er nicht gerne etwas von andren annimmt.

Ja, da gebe ich Dir recht!
Aber den Begriff „hoffärtig“ versteht heute ja kaum jemand mehr, daher habe ich ihn durch „stolz“ ersetzt.
Treffender wäre wohl die Übersetzung
„Lieber schlecht gefahren als hochnäsig gelaufen.“

g) Isch denn a Kuah fluigig worda.

Hier täte ich ein „je“ ergänzen:
Ist denn je eine Kuh flügge geworden?
= das ist vollkommen unsinnig und unglaubhaft.

Ergo: „Hast du jemals eine Kuh fliegen sehen?“

Danke nochmals und beste Grüße!
Renardo

Hallo Kreszenz;

toll, was Du hier alles zu Tage gefördert hast!
Vielen Dank dafür!

c) die geisz will auch einen langen sterz, d. h. im neidischen vergleich mit ihrem weidenachbar, dem schafe …; gott weisz wol, warum er der geisz den schwanz abgehauen hat ( bair. …, warnung vor überspannten plänen )

1962. Wenn Gott der Geiss einen langen Schwanz gegeben, sie wäre zu hoffärtig geworden.

Demzufolge würde ich den Satz

a) „Wer läßt der Gois da Schwanz et z’hauch wachsa.“

sehr frei so interpretieren:
„Wer hat schon immer alles unter Kontrolle?“ oder „Wer verhält sich immer untadelig?“ --?

Nochmals vielen Dank für Deine Mühe!

Herzliche Grüße
Renardo

Heureka!!! Ich hab’s gefunden! :grinning: :+1::clinking_glasses: :champagne:

Mit „Äwerk“ ist Werg gemeint!:

Werg n. ‘Abdichtungs- und Polstermaterial aus kurzen Fasern, die beim Hecheln von Hanf und Flachs abfallen’. Ahd. āwirki n. ‘grober Flachs oder Hanf, Abfall beim Schwingen des Flachses’ (um 800), āwirke f. (9. Jh.), āwirc n. (Hs. 12. Jh.), āwurki n. (10. Jh.), āwurka f. (Hs. 12. Jh.), āwerc n. (Hs. 13. Jh.), mhd. āwürke, āwerc n., nhd.(schwäb. alem.) Abwerk, Abwerg schließen sich als Bildungen mit dem Präfix ahd. ā- ‘von … weg, fort’ an das unter Werk (s. d.) behandelte Substantiv im Sinne von ‘Ergebnis einer Tätigkeit’ an. […]
Daneben steht ebenfalls mit der speziellen Bedeutung ‘Flachs, Hanf, Abfall beim Flachsschwingen’ ahd. werc (9. Jh.), mhd. werc(h), nhd. Werg, mnd. wer©k, mnl. werc, nl. werk. Schreibung mit auslautendem -g tritt im Md. des 15. Jhs. auf, beginnt aber erst im 18. Jh. sich allmählich durchzusetzen (voll ausgeprägt im 20. Jh.).
[„Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute“: https://www.dwds.de/wb/Werg]

Ergo lautet der eingangs zitierte Satz in modernes Hochdeutsch übertragen:

„Du stehst in deinen Kleidern (drin) wie der Hahn im Werg / Flachsabfall.“

Charmant geht anders …! :smile:

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Haidenei - bischt a Siach!

(oder, falls Du schon nördlich dieser internen Grenze daheim bist, deren genauen Verlauf ich nicht kenne wie so sehr vieles:)

Bischt a Käpsele!

Sub conditione Iacobaea immer gerne zu weiteren Schandtaten in rebus suebicis bereit

MM

Dazu kenne und verstehe ich aus Oberschwaben:
„Liabr schlecht gfahra wia gut gloffa.“ Sinn: Es ist allemal besser, auf einem rüttelnden Fuhrwerk gefallenshalber mitgenommen und auch durchgeschüttelt zu werden, als zu Fuß unterwegs zu sein. „Hoffährtig“ heißt hochnäsig, von sich eingenommen, als wenn man zu einem (herrschaftlichen) Hof unterwegs wäre und sich wunder was darauf einbilden würde.
Gruß weidag

Servus,

das hier:

ist eine volkstümliche Deutung.

„Hoffart“ und „hoffärtig“ sind, wie man bei den Brüdern Grimm lesen kann, aus den älteren Formen „Hochfahrt“ und „hochfährtig“ erst ziemlich spät (im 16. Jahrhundert) entwickelt.

Schöne Grüße

MM

Hallo zusammen,

noch ein kleiner Fund zu „Wer läßt der Gois da Schwanz et z’hauch wachsa.“, der wie Kreszenz’ Fund im DWB (Grimm) vor überspannten Plänen warnt:

„175. Unser Herrgott läßt dr Geiß de Schwanz et z lang wachse, se tatsächlich sich sonst d Auge ausfitze.“
[in: Lämmle, August (Hrsg.): Schwäbische Volkskunde. Erstes Buch: Der Volksmund in Schwaben. Silberburg Verlag Stuttgart, 1924. S. 29]

Es grüßt
Renardo

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