Schwarzes Loch - Singularität Fiktion?

Liebe Astronomen,
im neues Kosmos Himmelsjahr steht bei der Beschreibung eines entstehenden Schwarzen Loches, bei der eine genügend große Masse sich selbst extrem zusammendrückt: „Eine Singularität ist allerdings Fiktion (und)… kommt in der Natur nicht vor“.

Nun kam mir die Vorstellung, dass Millionen oder gar Milliarden Sonnenmassen sich auf einen ausdehnungslosen Punkt zusammenziehen, schon immer nicht ganz geheuer vor. Aber als absoluter Laie maße ich mir natürlich keine echte Beurteilungsfähigkeit an.

Leider verrät uns der Hans-Ulrich Keller nicht, wie denn statt dieser fiktiven Singularität das Innere eines schwarzes Loches aussieht. Klar, der Schwarzschildradius verhindert, dass man da reingucken kann.

Also:
Wie stellt man sich den Aufbau eines schwarzen Loches vor?
Gibt es dazu eine oder mehrere sich widersprechende Theorien?
Oder weiß man es einfach nicht, weiß aber, dass es keine Singularität sein kann?

Nachträglich schöne Weihnachten!
Karl

Hallo Karl2,

man weiß nicht wie die Masse in einem Schwarzen Loch verteilt ist, ob also wirklich eine Singularität vorliegt. Insofern ist die Aussage im Kosmos Himmelsjahr aus meiner Sicht mutig bzw. entspricht nicht dem was man derzeit beweisen kann, zumal ein Schwarzes Loch nach außen hin nicht von der Hypothese abweicht, es wäre im Inneren eine Singularität. Zu bedenken ist auch, dass sich die „Dichte“ des SL falls sie homogen verteilt wäre innerhalb des Schwarzschildradius, je nach Größe des SL gewaltig unterscheidet (kleine SL sind in diesem Sinn VIEL dichter als große) - das wertet man als Hinweis darauf dass die Masse sich in SL stark konzentriert.

Allerdings würde ich persönlich auch eher gegen eine Singularität wetten. Eine wahre Singularität würde (wenn die ART unter diesen Umständen weiterhin gälte) die Zeit am Ort der Singularität unendlich verlangsamen. Damit haben schon vorher die Teilmassen, wenn sie beinahe eine solche gebildet haben, keine Zeit mehr tatsächlich genau auf einen Punkt zusammenzufallen (selbst wenn es keine bisher schwer berechenbaren anti-singulären Prinzipien - Stichwort Unschärferelation - gäbe).

Grüße, Wizzy

Hallo Karl,

hab jetzt erst gesehen, daß dein Posting seit Wochen hier unbeantwortet vor sich hin dümpelte :wink: Aber nun hast du ja schon eine erste Antwort bekommen …

Auch wenn Hans-Ulrich Keller Astronom ist und nicht theoretischer Physiker bzw. ART-Spezialist, müsste er wissen, daß die Aussage "

eine physikalisch unredliche und den Laien irreführende Aussage ist. Allerdings kommen so manche Spekulationen in den Medien über die „Geheimnisse“ der schwarzen Löcher auch daher, daß es sehr schwierig ist, die Ergebnisse der über ein Jahrhundert andauernden Arbeiten über die BH-Dynamik in anschaulicher Umgangssprache wiederzugeben.

Das Problem besteht/bestand darin, für die allgemeinrelativistischen Feldgleichungen

Screenshot_2019-02-05 Einsteinsche Feldgleichungen

Lösungen zu finden. Ein erster Erfolg war die sog. Schwarzschild-Lösung, die unter extrem vereinfachten Randbedingungen den gravitativen materiefreien Umgebungsraum einer kugelsymmetrischen homogenen Masseverteilung (ungeladen, nicht rotierend). Zu dieser Lösung (Schwarzschild-Metrik) gehört der sog. Schwarzschild-Radius, der besagt, daß bei einer bestimmten Massendichte, nämlich wenn die Masseverteilung der Kugel einen bestimmten Radius erreicht, die Fluchtgeschwindigkeit = c wird. Die zugehörige Kugelsphäre ist in dieser Lösung eine mathematische Singularität (nicht die, um dies es in deiner Frage geht), d.h. darüberhinausgehende Aussagen (also zu kleineren Radien) war nicht möglich. Daher der Name „Ereignishorizont“. Weil aus dem Inneren dieses Horizontes auch Licht nicht entweichen könnte, also auch keine visuelle Information mehr nach außen dringen könnte, fand sich später die Bezeichnung „Black Hole“. Jede Spekulation, wie das Innere „aussieht“, ergibt sich von daher eh als abwegig. Auch für einen „inneren“ beobachter im gedankenexperiment ist es abwegig, da aus bestimmten Gründen auch innerhalb keine (Licht-)Information ausgetauscht werden kann (→ „asymptotic silence“)

Später wurde eine weitere Lösung der Gleichungen gefunden, die (ebenso ausschließlich) den Innenraum einer solchen Sphäre beschreibt, die ebenfalls an diesem Ereignishorizont eine Koordinaten-Singularität hat. D.h. es war noch nicht möglich, die Geodätische eines einfallenden Körpers über diese Grenze hinaus homogen zu berechnen. Erst durch eine andere Art von Koordinatensystem (→ Kruskal-Szekeres-Koordinaten) konnte eine allgemeine Form gefunden werden, in der diese Grenze keine mathematische Unstetigkeitsstelle mehr ist. Eine Unstetigkeitsstelle, eine Singularität, befindet sich jedenfalls im Zentrum dieses für einen Außenbeobachter sphärischen Raumgebietes. In dieser Singulariät ist die Raumkrümmung unendlich.

Nur: Jenseits dieser Grenze verkehren die Raum- und Zeit-Koordinaten ihre Bedeutung. Umgangssprachlich ausgedrückt: Zum Beispiel ein Raumpunkt wird zu einer Bewegungsgröße. Er ist keine „Stelle im Raum“, sondern eine Raumzeit-Kurve (das ist mit dem scherzhaften Ausdruck „Spaghettisierung“ gemeint). Und: Alle Geodätischen innerhalb dieser Sphäre enden notwendig in einem einzigen Punkt. Und an diesem Punkt ist die Raumkrümmung unendlich. Es gibt auch keine „stabilen“ Teilhorizonte innerhalb. Alle Horizonte kollabieren ihrerseits zu einem Punkt. Der „Raum“ ist also ein dynamisches Gebilde mit der Tendenz, sich selbst in einem (mathematischen!) Punkt zu „vernichten“. In den von Hawking und Penrose in den 1960ern entwickelten „Singularitäten-Theoremen“ wird interpretiert, daß alle Geodätischen sich zu einem einzigen Punkt entwickeln, an dem sie „nicht mehr fortsetzbar“ sind. D.h. sie enden in einem Punkt, und dieser Punkt befindet sich nicht mehr im Raum. Manche argumentieren, daß deshalb die ART keine „vollständige“ Theorie sei, weil eine „vollständige“ Theorie keine Lösung enthalten darf, an der sie nicht mehr gültig ist.

Später wurden auch andere Lösungen gefunden: Für rotierende schwarze Löcher, für geladene schwarze Löcher und für geladene und rotierende schwarze Löcher. Bei den rotierenden ist die zentrale Singulariät kein Punkt, sondern ein Ring von null Dicke.

Bis hierher nur zur Andeutung, daß es bei diesen Bemühungen weniger um

sich widersprechende Theorien

geht, als vielmehr um nach und nach gefundene Lösungen der Gravitationsgleichungen und en detail erweitere Möglichkeiten, diese physikalisch zu Interpretieren. Bis in die 1950er waren BHs nichts anderes als theoretische Lösungen der Gleichungen. Erst als man mehr über Sternentwicklungen wußte, wurden diese Konstrukte auch physikalisch brisant: Sterne kollabieren am Ende ihrer Entwicklung bis zu einem Zustand, in dem allein noch das → Paulische Ausschließungsprinzip fermionische Materieteilchen auseinander halten kann (Weiße Zwerge, Neutronensterne). Und Sterne über einer bestimmten Anfangsmasse durchschlagen bei ihrem Kollaps sogar diese Grenze der Materieverdichtung. Damit hatte man Kandidaten, die für eine Überschreitung ihres jeweiligen Ereignishorizontes in Frage kamen. Und in Konsequenz dann erst die Frage, was passiert mit den Materieteilchen jenseits des Ereignishorizontes?

Klar war, und ist nach wie vor, daß die Teilchen alle ihre Eigenschaften verlieren bis auf Masse, Drehimpuls und die elektrische Ladung. Und kaum strittig ist, daß - wie oben erwähnt - alle ihre Geodätischen den Singularitäten-Theoremen gehorchen müssen. Sie befinden sich nicht mehr zu einem „Zeitpunkt“ an einem „Ort“ bzw bewegen sich eine „Richtung“, sondern sie enden mitsamt der kollabierenden Raumzeit alle in einem Punkt der unendlich gekrümmten Raumzeit. Ist auch die Singularität mathematisch kein Problem, so ist sie einerseits ein Problem der Vollständigkeitfrage der Theorie. Aber sie ist jedenfalls ein Problem der Beschreibung der Materiezustände. D.h. die Frage, ob es vielleicht doch eine weitere physikalische Eigenschaft der Teilchen gibt, die, ganz anders als das Pauli-Prinzip, eine null-werdende Annäherung verhindert.

Und da gibt es noch viele weitere ungelöste Fragen. Z.B. die Einmischung quantenphysikalsicher Gesetze in dieses Szenarium: Z.B. Wieweit ist die Unbestimmtheitsrelation unter der Bedingung unendlicher Raumkrümmung noch relevant (unter anderem, weil der Begriff „Ort“ hier keinen Sinn mehr macht)? Ist die Unterscheidung zwischen Bosonen (die sich an ein und demselben Ort befinden können) und Fermionen (die das nicht können - Pauli-Prinzip) noch relevant? Da in der quantenfeldtheoretischen Behandlung der Elementarteilchen diese eh punktförmig sind („Volumen“, bzw. eine dementsprechende räumliche Größe, kommt ihnen erst durch ihre Wechselwirkungen zu): Was wird aus ihrer Wechselwirkung untereinander? Denn die wird durch Bosonen vermittelt (Gluonen usw.). Und überhaupt: Verliert der Wechselwirkungsbegriff selbst schon seine physikalische Relevanz, da er Bewegungsmöglichkeit vorraussetzt? … Nur halt ein paar Beispiele.

Aber: Das sind - vorerst - ungelöste Fragen. Und eine ungelöste Frage ist in den Naturwissenschaften etwas vollkommen anderes als „Fiktion“ und

kommt in der Natur nicht vor

Gruß
Metapher

Vielen Dank Wizzy und Metapher für eure Antworten! Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass es in diesem Forum halt keine Kompetenz mehr im Bereich Astronomie gibt. Umso schöner, dass ich mich darin geirrt habe.

Lieber Metapher, nicht, das dies das einzige wäre, was ich noch nicht verstanden habe an deiner ausführlichen Antwort, aber:

  1. Was sind Geodäten im Zusammenhang mit Schwarzen Löchern? Ich kenne sie nur als kürzeste Verbindungen zweier Punkte z. B. auf einer Kugeloberfläche? Inwieweit ist die Singularität in der „Mitte“ (?) eines Schwarzen Loches der Endpunkt aller Geodäten?

  2. Das Teilchen, aus denen unsere Materie besteht, unter bestimmten Bedingungen ungeheuer zusammengedrückt werden können (z. B. da ein Atom zum größten Teil „leer“ ist), kann man sich ja gut vorstellen, so erstaunlich auch das schon ist. Dass Materie aber eventuell sich so verändert, dass sie völlig ausdehnungslos wird (aber wohl Masse behält?), klingt ja dem Laien sehr nach Märchen. Der Physiker betrachtet dieses Wunder aber ganz nüchtern als eine Möglichkeit?

Karl

Ad 1.:
Geodäten als kürzeste Verbindung zweier Punkte auf einer Kugelkoberfläche … yepp, da haben sie ihre Bezeichnung her. Aber allgemeiner sind es Bahnkurven von Körpern bei kräftefreier Bewegung. Und nicht nur in einem euklidieschen (also „flachen“) Raum, sondern in allgemeinen gekrümmten Räumen.

Es ist nun aber gerade die entscheidende Aussage der ART, daß der Kraftbegriff (und es geht ausschließlich um die Gravitation) durch den der Raumkrümmung ersetzt wird. Man kann sagen, wenn sich - newtonsch ausgedrückt - ein massiver Körper in einem Gravitationsfeld bewegt, dann bewegt sich allgemeinrelativistisch ein gekrpmmter Raum in einem gekrümmten Raum. Und die zugehlrigten Bahnkurven sind daher Geodäten. Btw.: Die Bahn eines (masselosen) Lichtteilchens wird als Nullgeodäte bezeichnet. Sie entspricht der Geraden im eukidischen Anschauungsraum.

Nun war es so, daß die Lösung der Feldgleichungen für den Raum jenseits des Schwarzschild-Horizontes (d.h. wenn die Massendichte ein entsprechendes Maß erreicht), d.h. die sogenannte „innere Schwarzschildlösung“, einen sich selbst immer weiter ad infinitum krümmenden Raum beschreibt. Das ist nicht nur so, wenn eine Massendichte die Schwarzschildbedingung überschreitet, wenn also ein BH entstaht, sondern auch, wenn ein Probekörper in ein bereits vorhandenes BH einfällt: Es gibt keine „stabile“ geschlossene Bahn innerhalb des Rschwarzschild, so wie es sie bei nicht kollabierten Massen (Sterne) gibt. Jeder jeweilige „Ort“ eines Objektes befindet sich auf einer inneren Schale, welche ihrerseits kollabiert.

Und in diesem Kontext konnten Stephen Hawking und Roger Penrose in den 1960ern, daß alle Bahnen in einem solchen sich selbst infinit krümmenden Raum irgendwo enden. Und weiter, daß diese Endpunkte alle identisch sind. Also in einer einzigen Singularität enden.

In diesem → Artikel ist das, worum es dabei geht, etwas ausführlicher beschrieben.

Diese ist nun eben nicht etwa ein Punkt „in dem alle Masse komprimiert ist“. Das ist ein irreführende Vorstellung. Es ist ja ein unendlich in sich gekrümmter Raum, also die Krümmung divergiert ad infinitum. Man kann das auch so ausdrücken: Die Singularität ist ein Punkt, der keine räumlich extendierte Umgebung hat. Seine Umgebung, egal wie „weit“ sie gefaßt wird, besteht nur in diesem Punkt.

Das gibt dann auch einen Ausblick auf deine andere Frage.

Ad 2.:
Es ist irreführend, von „ausdehnungsloser“ oder unendlich „zusammengedrückter“ Materie zu sprechen (obwohl auch viele kompetente Physiker das so sagen). So kann man den Zustand bezeichnen, bevor der Kollaps den Ereignishorizont erreicht. Vielleicht auch in dem folgendenn Prozess, bis die Singulariät erreicht ist. Aber „ausdehnungslos“ ist ja ein Begriff, der ein punktförmiges Objekt innerhalb eines ihn umgebenden Raums begreift. Aber die Materie „in“ der Singulariät hat keine solche Umgebung: Aller Raum um sie herum ist nur dieser Punkt. Deshalb benutzt die zugehörige Fachsprache auch unmissverständlicher den Begriff „divergiertes Krümmungsmaß“, statt „Punkt“.

Auch „zusammengedrückt“ ist kein adäquates Adjektiv mehr für diesen singulären Zustand. Denn es imaginiert, daß da eine äußere Kraft auf die räumlich ausgedehnte Materie wirkt (welche sich aussichtslos gegen das immer weiter Komprimiertwerden wehrt). Es ist ja die (massive) Materie selbst, die sich selbst ad infinitum „zusammenzieht“. Die makrophysikalische Anschauung versteht ja unter „Masse“ immer auch ein ausgedehntes Objekt. Das ist aber bereits im Elementarteilchenbereich, also im subatomaren Bereich, nicht mehr der Fall - zumal in dieser Größenordnung sowieso der Begriff „Volumen“ keinen physikalischen Sinn mehr macht. Übrigens besteht auch ein Neutronenstern bereits nicht mehr aus „Atomen“, sondern (im Wesentlichen) aus Neutronen. Und die kollabieren nicht etwas deshalb weiter, weil es sich um sowas wie „unkomprimierbare Kügelchen“ handelt. Sondern weil ein seltsames Naturgesetz - das schon erwähnte Paulische Ausschließungsprinzip - Teilchen mit Spin 1/2 verbietet, denselben Ort einzunehmen. Für Teilchen mit ganzzahligem Spin („Bosonen“, also Photonen, Gluonen, auch die hypothetischen Gravitonen) gilt das Verbot nicht.

Es ist ja nicht so, daß Physiker hier einem von außen entgegengeschwappten „Wunder“ begegnen, sondern daß umgekehrt die Mathematik diese Strukturen beschreibt, und dann erst entdeckt wird, daß diesen mathematischen Strukturen tätsächlich etwas im physikalsichen-materiellen Beobachtrungsbereich entspricht - und sich so verhält, wie die Mathematik es vorschreibt, Schwarze Löcher z.B. kannte man ja schon kurz nach der ART Publikation 1915. Und Einstein hatte bis in die 1050er nicht geglaubt, daß es sowas real im Universum geben könnte. Daß die Natur mathematisch ist, ist ja vielmehr das „Wunder“.

Gruß
Metapher

PS. Ich hab noch lebhaft in Erinnerung, wie sich in den 1970ern die theoretischen Physiker darüber lustig machten, daß die Experimentalphysiker allen Ernstes versuchten, die Existenz von Quarks nachzuweisen. Sie waren ursprünglich ausschließlich als mathematische Konstrukte verstanden - bis es an ihrer „realen“ Existenz keine Zweifel mehr gab …

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