Schwierigkeiten, alten kranken Opa zu besuchen

Liebe Jule,

Ich sehe kein Problem. Du musst lediglich die Entscheidung
treffen, ob dir dein Großvater oder du selbst wichtiger bist.

mir waren eigentlich die Menschen „lieber“, die klar gesagt haben, dass sie mit dem Verfall/Sterben nicht umgehen können, als die (wie meine Schwiegermutter), die sich mit ihrer Präsenz so wichtig genommen haben und nur aus schlechtem Gewissen noch einmal auftauchen wollten und meinem Mann damit überhaupt keinen Gefallen getan haben.

Nicht jeder Besuch tut dem Sterbenden gut: Als ich meinem Mann gesagt habe, dass seine Mutter kommt, hat er nur rumgeschrien: „Was will sie denn hier!“ und hat sie mehrmals beschimpfend aus dem Zimmer geschmissen, so dass ich mindestens eine Stunde brauchte, ihn wieder zu beruhigen.

Wenn der Sterbende wirklich wichtig ist, sollte man sich selbst eben auch nicht so wichtig nehmen! Das heißt aber eben auch, dass man sein schlechtes Gewissen diesem Menschen nicht aufbürden muss.

Beides ist okay - aber du solltest vor dir selbst soviel
Ehrlichkeit aufbringen, dazu zu stehen, dass du lieber den für
dich angenehmeren Weg gehen willst.

Sabine ist doch ehrlich - und das finde ich sehr angenehm! Ich sehe da überhaupt keine Scheinheiligkeit!

Viele Grüße

Kathleen

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Hallo Jule,

Nein. Ich kann das wirklich nur sehr schwer aushalten - das ist ja das Problem.

Ich sehe kein Problem. Du musst lediglich die Entscheidung
treffen, ob dir dein Großvater oder du selbst wichtiger bist.
Beides ist okay - aber du solltest vor dir selbst soviel
Ehrlichkeit aufbringen, dazu zu stehen, dass du lieber den für
dich angenehmeren Weg gehen willst. Alles andere wäre
scheinheilig.

Ich komme mir nicht wirklich scheinheilig vor, wenn ich hingehe. Ich besuche ihn ja, weil ich mir sicher bin, dass er sich über meinen Besuch (die größte von vier Enkeltöchtern) freut und obwohl es mir so schwer fällt.
Vielleicht sollte ich einfach weiter machen wie bisher: Ihn besuchen, wenn ich die Kraft dazu aufbringen kann und mein Mitgefühl und mein Entsetzen über seinen Zustand einfach zulassen und es durchstehen…

LG,
Sabine

Hallo Kathleen,

über eine Antwort von dir freue ich mich. Durch deine Artikel weiß ich ja, was du durchgemacht hast.

Will Dein Opa Dich
denn überhaupt sehen?

Ich denke, dass er sich sehr wohl über meinen Besuch freut. Er weiß nur nicht, wie schwer es mir fällt und dass ich (und andere aus der Familie auch) ihm die Erlösung wünsche.

Stärke Deine Oma, hilf ihr loszulassen. Sag vielleicht beim
nächsten Krankenbesuch zu Deinem Opa, dass Du stets für Deine
Oma da sein wirst, damit er eine Angst weniger hat.

Das könnte ich ihm sagen, das ist eine sehr schöne Idee. Allerdings habe ich auch ein bißchen Angst um die Oma, wenn er geht. Sie kennt nichts anderes, als für ihn da zu sein. Alle, insbesondere meine Mutter und ihre Schwestern, sollten sich dann um die Oma kümmern, finde ich. Wir müssten sie beschäftigen und ablenken. Das könnte ich ihm dazu sagen (dass die Familie für Oma da ist nämlich).

Wenn Dir die Besuche an sich zu viel sind: Liefere Deine Oma
im Heim ab, begleite sie aber bis zur Tür und ruf ein nettes
„Hallo“ in den Raum. Sag ihr, dass Du sie dann später wieder
abholst.

Ich habe große Angst, sie würde es nicht verstehen und sie wäre verletzt. Beim letzten Mal brachte ich es nicht übers Herz, Ihre Frage „Ja willst du den denn Opa nicht sehen?“ mit ‚nein‘ zu beantworten.

Aber habe auch den Mut, Deiner Oma klar zu sagen, dass es Dir
das Herz zerreißt, Deinen Opa so leiden zu sehen - und sei für
Deine Oma da!

Das wäre der ehrlichste Weg und der mir am ählich sehendste.

Alles Gute

Dankeschön!

LG,
Sabine

Hallo,

Vielleicht sollte ich einfach weiter machen wie bisher: Ihn
besuchen, wenn ich die Kraft dazu aufbringen kann und mein
Mitgefühl und mein Entsetzen über seinen Zustand einfach
zulassen und es durchstehen…

und - falls Du Dich so entscheidest - mit diesen Gefühlen rechnen, Deine innere Reaktion auf den Besuch richtiggehend einplanen, den Tag anschließend frei halten für etwas, das Dir dann gut bekommt. Egal, ob Ablenkung, Einigeln, extra gutes Kuchenessen oder was auch immer.

Vielleicht kannst Du diese Gefühle nehmen als etwas, das Du für Deinen Opa aushältst, als „Arbeit“ für ihn, die eben nicht nur den Besuch umfasst, sondern auch Deine Reaktion darauf.

Und es gibt ja auch nicht nur die Möglichkeiten „besuchen“ oder „nicht besuchen“, sondern Du kannst auch überlegen, in welchen Zeitabständen Du Dir das zumuten willst und kannst.

Wie auch immer Du Dich entscheidest - alles Gute Dir dafür!

Jule

Hallo (andere?) Jule,

Wie auch immer Du Dich entscheidest - alles Gute Dir dafür!

Danke!

LG
Sabine

Liebe Sabine,

Ich denke, dass er sich sehr wohl über meinen Besuch freut.

bleibt dann Deine urprüngliche Frage: Wie sollst Du am besten damit umgehen?

Er
weiß nur nicht, wie schwer es mir fällt und dass ich (und
andere aus der Familie auch) ihm die Erlösung wünsche.

Ich denke, Sterbende bekommen mehr mit und wissen mehr, als man immer meint. Und das Letzte, was sie brauchen können, ist „belogen“ zu werden. Ich habe sowohl meinem Vater als auch meinem Mann ca. 12 Stunden vor ihrem Tod gesagt, dass sie bitte gehen sollen, dass alles in Ordnung sei…

Wenn Dir nach Weinen ist, dann weine in seiner Gegenwart! Wenn Dir danach ist, dann sag ihm, dass Du einfach wünscht, dass er keine Schmerzen mehr hat.

Nebenbei mal: Wieso wird Dein Opa nicht auf eine höhere Morphiumdosis gesetzt? Für mich war es das Wichtigste zu wissen, dass mein Mann wenigstens keine Schmerzen hat. Danach habe ich ihn jeden Tag gefragt.

Das könnte ich ihm sagen, das ist eine sehr schöne Idee.
Allerdings habe ich auch ein bißchen Angst um die Oma, wenn er
geht. Sie kennt nichts anderes, als für ihn da zu sein.

Daher ist es umso wichtiger, ihr auch klarzumachen, dass sie endlich auch loslassen muss. Wie sie dann genau mit seinem Tod umgehen wird, kann Dir niemand sagen. Ich hatte ja z.B. auch spekuliert, dass Helmut Schmidt nach Lokis Tod höchstens noch sechs Monate leben wird!

Vielleicht fühlt sie sich ja auch „erleichtert“, wenn es Dein Opa endlich geschafft hat. Vielleicht ist ihre derzeitige Fürsorge nur Ausdruck ihrer Angst, selbst so sterben zu müssen.

Alle,
insbesondere meine Mutter und ihre Schwestern, sollten sich
dann um die Oma kümmern, finde ich.

Das werden sie doch sicherlich auch tun. Und wenn ihr es innerhalb der Familie „verteilt“, wird sich auch kaum jemand überfordert fühlen.

Wir müssten sie
beschäftigen und ablenken.

Da muss ich jetzt mal schmunzeln - auch wenn das Thema noch so ernst ist und mir an der einen oder anderen Stelle auch Tränen in die Augen schießen: Man muss Witwen nicht entmündigen und ihnen auch kein „Spaßprogramm“ anbieten. Meine Freunde haben das auch versucht und sind kläglich gescheitert! Zu wissen, dass jemand/die Familie da ist, ist schön, aber dass es Momente gibt, in denen man schlicht niemanden sehen und sich einfach nur seiner Trauer hingeben möchte, muss das Umfeld eben auch respektieren.

Eventuell werdet Ihr Euch auch wundern! Ich kenne viele ältere Witwen, die auf einmal richtig aufgeblüht sind! :smile: Beneidenswert! :smile:

Das könnte ich ihm dazu sagen (dass
die Familie für Oma da ist nämlich).

Das fände ich schön!

Ich habe große Angst, sie würde es nicht verstehen und sie
wäre verletzt.

Mag sein, dass sie es nicht versteht, aber Du hast es doch auch noch nicht versucht.

Beim letzten Mal brachte ich es nicht übers
Herz, Ihre Frage „Ja willst du den denn Opa nicht sehen?“ mit
‚nein‘ zu beantworten.

Ein „Nein“ ist auch schwer zu verstehen, wenn man die Gründe nicht kennt. Sag ihr einfach, dass es Dir so weh tut, Deinen Opa so leiden zu sehen, dass Du Dich hilflos fühlst, dass Du sie für ihre Stärke bewunderst, Du diese aber eben nicht hast und so häufig weinen musst. Sag ihr auch, dass Du Dir auch Sorgen um sie machst, wenn der Opa stirbt, Du so viel machen möchtest, damit es allen gutgeht, Du Dich aber einfach hilflos fühlst.

Vielleicht hast Du Glück und sie versteht es! Älteren Menschen fällt es oft schwer zu verstehen, warum die „Jugend“ nicht so stark ist wie sie selbst. Wenn sie aber etwas sehen/erleben, kommt es auch bei ihnen an: Weine in der Gegenwart Deiner Oma!

Weißt Du, ich durfte meiner Oma (sie wohnt mit meiner Mutter nebenan) fast täglich die Frage beantworten: „Wo ist denn Dein Mann? Warum kommt er denn nicht runter?“ Dazu brauchte ich schon starke Nerven! Aber ich habe den Fehler gemacht, nicht zu weinen!

Daher fand ich es umso wichtiger, dass sie nachts geweckt wurde, um meinen Mann tot zu sehen! Alles andere wäre für sie weiterhin abstrakt geblieben! Sie hat meinen Mann noch auf die Stirn geküsst und danach war es nie wieder Thema!

Das wäre der ehrlichste Weg und der mir am ählich sehendste.

Dann mach es! Du bist doch kein selbstsüchtiger Mensch, nur weil es Dir das Herz zerreißt und Du Dich hilflos fühlst! Du fühlst - und das ist das Wichtigste!

Bleib einfach bei Dir, denn nur so kannst Du auch den Menschen helfen, die Dir wichtig sind! Alles wirst Du nie auffangen können!

Und Sterbebeleitung innerhalb der Familie ist nicht unbedingt eine Erfahrung, die ich jemanden wünsche.

Ich wünsche Dir alles, alles Gute - Du hast viel zu geben - aber eben auf Deine Art!

Liebe Grüße

Kathleen

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Carpe diem!

Von dem guten Gefühl, dass sich nach so einer Phase einstellt…

Du meinst sicher dasselbe „gute Gefühl“, das sich bei den frommen Christen einstellt, nachdem sie ihren Rosenkranz abgearbeitet haben.

Wow, Kathleen,

vielen Dank für diesen Post. Ich bin sehr bewegt und finde, du berätst mich sehr einfühlsam.

Du hast Post.

LG,
Sabine

Warum nicht? Ist jedenfall sicher besser, als jahrelang mit dem besch… Gefühl rumzulaufen, man habe die dann nicht mehr gegebenen Möglichkeiten damals nicht genutzt, noch einmal für den anderen da gewesen zu sein, mit ihm noch letzte Dinge ausgetauscht zu haben, … Und das kommt ganz von alleine. Dafür braucht es keine Kirche, keinen Gutmenschen, der einem ein schlechtes Gewissen einredet, … Das steckt einfach in jedem drin. Oft gut verschüttet unter Coolness, Egoismus, … Aber wenn man es am wenigsten erwartet, man mal zur Ruhe kommt/ggf. auch mal durch eigene Krankheit/Unfall/Krise/Alter zur Ruhe gezwungen wird, ist es plötzlich da.

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Liebe Sabine,

Du hast Post.

darf ich aus meiner Antwort auf Deine PM noch einige Aspekte rausgreifen, ohne dass ich natürlich Deine privaten Angaben benutze?!

Ich finde besonders diesen Punkt wichtig: Schmerztherapie!

Kannst Du nicht zu Deiner Oma sagen: „Ich verstehe nicht, warum Opa immer noch so starke Schmerzen haben muss. Wollen wir nicht mal gemeinsam mit dem Arzt sprechen? Vielleicht kann ja die Morphium-Dosis noch erhöht werden!“

Mein Mann war auf 100er-Pflaster eingestellt und hat zusätzlich oral Morphium bekommen. Ich hoffe, das Heim kontrolliert bei Deinem Opa auch den rechtzeitigen Wechsel der Pflaster, damit es keine Stunden der unnötigen Schmerzen gibt! Glaub mir, mit Schmerzen muss man heute nicht (mehr unbedingt) sterben!

Zu Deiner Oma:

Du scheinst doch ein sehr inniges Verhältnis zu Deiner Oma zu haben. Ich fände es schön, wenn Du sie bei einem Besuch wirklich abholst, Deinen Opa kurz begrüßt und Deine Oma mal ins nächste Café „entführst“ und ihr ein Stück Torte spendierst. So kann sie sich schon einmal wenig an ihre neue Freiheit in der Zukunft gewöhnen.

Vielleicht gibt es ja auch noch eine alte Schulfreundin, zu der der Kontakt schon einmal wieder angekrubelt werden kann?

Du kannst Dich auch schon mal kundig machen, ob es in Eurer Nähe „Trauercafés“ gibt und mit dem Träger Gespräche führen.

Ich habe auch noch innigen Kontakt zu der Ansprechpartnerin des Nierenkrebs-Vereins, wir haben uns angefreundet, obgleich ich sie noch nie persönlich getroffen habe. Manchmal helfen „außenstehende Leidensgenossinnen“ auch sehr/mehr! Die Familie kann/muss nicht alles auffangen.

Liebe Grüße

Kathleen

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Hi Tom_DA_X

ich glaube dass es Dir noch an der nötigen Erfahrung in solchen Angelegenheiten mangelt, sonst würdest Du keine Vergleiche anstellen zu Rosenkranz betenden Menschen.
Dass geht meilenweit am Punkt vorbei.

Gruß von aria

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Hallo Wiz

Ja und wie es immer wieder hochkommt. Hättste,wärste,warum? warum nicht?
Aber dann ist es „zu spät.“

LG aria

Die Situation ist sehr schwierig und ich weiß nicht, ob du je mit ihr richtig umgehen werden kannst. Ich würde an deiner Stelle ihn trotzdem so oft besuchen, wie es nur geht. Vielleicht kannst du paar alte Fotos auftreiben und die ihm zeigen. Versuche ihm zu erzählen, was bei dir so los ist. Ansonsten versuche die Zeit zu „genießen“ die er noch da ist.

Letzte Rückmeldung
Hallo und Danke an alle, die sich Gedanken gemacht haben.
Mein Opa wurde gestern Abend endlich erlöst.
LG,
Sabine