Hallo Alexandra,
Du kannst den nur finden, wenn Du einmal bei ihm schon gestartet bist. Du hast Dir wohl irgendwann im Leben einen Sinn vorgestellt, erblickt, verfolgt oder erarbeitet, jedoch dürfte das lange her sein, weil man für gewöhnlich den Sinn des Lebens unter andren Dingen verschüttet oder verschüttet bekommt. Sicher ist, dass er nicht ganz erreichbar ist, sonst wäre das Leben nicht das Leben. D. h. es wird auf etwas hinzuarbeiten sein, das auf dieser Welt so nicht zu haben ist, und zugleich wird das in einer Art geschehen müssen, die bereits kleine Erfolge zeitigt, da man ja nicht sicher sein kann, ob es morgen noch weitergeht. D. h. der Weg muss wenigstens ein bisschen das Ziel sein.
Es gibt eine unerträgliche Leichtigkeit des Sterbens - z. B. dass man nicht zu einer Arbeit gehen muss, dass man niemandem zu dienen hat, dass man wenig bis nichts für sich tun oder denken kann. Daher wird der Sinn des Lebens wenigstens gewisse Dinge enthalten, die wir als wahrscheinlich annehmen dürfen: auf sich selber reflektiert haben, die wichtigsten Menschen mit Nachrichten versehen haben, gewisse Botschaften gehört und angenommen haben, gewisse Dinge erahnt und vergessen zu haben, die Schmerzen und das Leiden einigermassen würdig ertragen haben, und bei all dem etwas von dem zu spüren, was nicht haben ist, sondern sein - und was das sowohl individuell für einen ganz allein als auch universal für alle und zu jeder Zeit sein kann.
Das alles geht nur, wenn in der Vergangenheit bereits ein Ansatz dazu da ist. Man kann ihn ausbauen und erleichtern, indem man auch eine Kultur des Todes ein Stückweit pflegt und zulässt, bspw. Angehörige auf dem Friedhof besucht und sich ausmalt, wo man einst begraben sein will oder könnte. Man kann auch in sich gehen und überlegen, was „Zeit“ für einen ist, was man liebt oder was man noch mehr lieben möchte. Man kann auch Rituale entwickeln, z. B. eine regelmässige Andacht oder eine regelmässige Verbindung zur Natur eingehen. Wichtig sind natürlich Beziehungen, aber wo und wie oder wieviel muss jeder selber herausfinden. Wichtig ist schliesslich auch eine Art Öffentlichkeit, denn im Tod kannst Du einst nichts mehr verbergen.
Sicher ist: Das alles bedeutet einen Aufwand. Es ist zwar ein angenehmer Aufwand (wer spaziert schon nicht gerne, auch wenn es auf dem Friedhof ist), aber doch nicht jedermanns Sache. Stell Dir vor, Dein Arbeitgeber gibt Dir für einen Tag die Aufgabe, auf den Boden zu liegen und still zu sein, aber Du kriegst für den Tag keinen Lohn - ein eher unangenehmes Vorhaben. Und doch würdest Du am Boden auch wichtige Erfahrungen machen. Ähnlich ist es, wenn man sich mit dem Tod beschäftigt, man wird kaum dafür bezahlt (es wäre denn, man schleppte die Särge anderer…)
Gruss
Mike