Sektenberatungsstellen

Hallo,

ich hätte einige Fragen zu Trägern von Sektenberatungsstellen.
Ich habe festgestellt, dass in meiner Gegend alle Sektenberatungsstellen von der katholischen und evangelischen Kirche, bzw. der Caritas und der Diakonie betrieben werden.

Jetzt frage ich mich natürlich, warum Sektenberatungsstellen ausgerechnet von kirchlichen Einrichtungen betrieben werden und nicht staatlich bzw. konfessionell/religiös neutral sind. Oder ist das vielleicht nur ein lokales Phänomen hier bei uns in Bayern?

Irgendwie finde ich es komisch, dass eine religiöse Gruppe darüber informiert, wie man aus einer anderen religiösen Gruppe aussteigen kann.

Weiß vielleicht jemand näheres darüber, warum Sektenberatung (in manchen Gegenden?) in kirchlicher Hand ist?

Gruß Tanja

Ich weiß ja nicht, was genau „Ihre Gegend“ ist. Aber das Suchwort „Sektenberatung“ gibt bei mir als ersten Link das Bayrische Jugendamt und das Kultusministerium an. Und auch unter den weiteren Links sind nichtkirchliche Vereine zu finden.

Aber davon abgesehen hat ein Staat, der sich nicht in religiöse Angelegenheiten einmischt, vermutlich von sich aus weniger Ansatzpunkte, über religiöse Gruppen zu informieren. Solange keine Anhaltspunkte für staatskritisches oder gesetzeswidriges Verhalten feststellbar sind, wird er vermutlich keinen Handlungsbedarf sehen.
Kirchen als selber religiöse Einrichtungen haben da schon eher ein eigenes Interesse, über andere religiöse Gruppen oder Strömungen zu informieren. Das könnte erklären, warum die Mehrzahl der Beratungsstellen in kirchlicher Hand sind, auch wenn das in gewisser Hinsicht fragwürdig ist.

Martinus

Hallo Martinus,

ich meinte eigentlich Beratungsstellen vor Ort. Jemand der sich persönlich beraten lassen möchte und z.B. in Passau oder Würzburg wohnt, wird wahrscheinlich nicht extra nach München zum Kultusministerium oder ins Bayerische Jugendamt fahren, denke ich mal.

Hier wäre allerdings, da Sie diese beiden Stellen erwähnten interessant, ob man im Kultusministerium und im Bayerischen Jugendamt ein ebensolches persönliches Beratungsgespräch führen kann, wie dies z.B. bei örtlichen Beratungsstellen der Caritas oder Diakonie der Fall ist, oder ob dies nicht eher Stellen sind, von denen man lediglich Informationsmaterial oder Unterrichtsmaterial anfordern kann.

Gruß Tanja

Hi

Du sprichst da ein bekanntes und altes Problem an, das auch in der Religionswissenschaft kritisch betrachtet wird.

Nicht nur werden die Sektenberatungsstellen von den Kirchen vor Ort vertreten, auch in den Beratungen was als Sekte gilt haben die christlichen Kirchen großen Einfluss.

Natürlich handeln sie im Eigeninteresse, daraus ist der geradezu verdammnisbeschwörende Sektenbegriff im modernen Sinne eigentlich erst entstanden - früher war das mal ein recht harmloses Wort.

Das ist nicht nur in Bayern so.

Einige Religionswissenschaftler, die zu entsprechenden Themen geladen wurden (mir ist leider gerade Entfallen wie die entsprechenden Beratungen über aktuelle Sekten sich nennen) haben versucht die Kritik vorzubringen und Änderungen herbeizuführen.
Die Kritik wurde zur Kenntnis genommen, geändert hat sich bisher wenig. Immerhin werden überhaupt Religionswissenschaftler geladen.

lg
Kate

Mir ist nicht ganz klar, worauf Sie konkret hinauswollen. Suchen Sie eine nichtkirchliche Beratung in Ihrer Gegend? Dann würde ich Ihnen in der Tat einen Anruf im Münchner Ministerium empfehlen. Die sollten wissen, was staatlicherseits wo zu finden ist. Oder interessiert es Sie einfach nur, warum es hier deutlich mehr kirchlche als staatliche Angebote gibt? Dazu siehe meine Vermutung oben.

Martinus

P.S. Nur so zur allgemeinen Ergänzung - geraten, ob’s den Kern trifft:
Je nach dem um welche Sekte oder religiöse Strömung es geht, könnten auch Jugendämter vor Ort Informationen haben. In wie weit sie allerdings das Personal haben, das sich auch über das, was in den Faltblättern abgedruckt ist, hinaus auskennen, kann ich nicht sagen. Und selbstredend sind auch Jugendämter nur in Kreisstädten oder kreisfreien Städten zu finden.

Auch die großen Kirchen sind ja nicht überall mit einer Sektenberatung vertreten. Die katholischen Diözesen haben oft eine auf Diözesanebene, die evangelische Kirche auf Landeskrichenebene. Wirklich vor Ort ist von der Kirche dann auch nur der Pfarrer/die Pfarrerin. Die werden im Allgemeinen vermutlich mehr über religiöse Strömungen wissen als der Jugendarbeiter des kommunalen Trägers. Aber abgesehen davon, daß sie nur bedingt neutral informieren können, bleibt die Frage, ob sie im konkreten Fall mehr sagen können. Je spezieller die Frage, desto unwahrscheinlicher ist das.

Hallöchen,

Da stellt sich die Frage, was ist überhaupt eine Sekte und warum sucht man eine Sektenberatungsstelle auf.

Es gibt diejenigen, die Zweifel an der Orthodoxie der Lehre einer religiösen Sondergemeinschaft hegen.
Hier kann eine sekuläre Einrichtung nicht helfen, denn Orthodoxie lässt sich leider nicht objektiv definieren. Ob man hier jedoch, sorry der religiöse Vergleich, den Teufel mit dem Beelzebul austreibt, ist natürlich fragwürdig.

Dann gibt es auch diejenigen, die aus missbräuchlichen religiösen Strukturen aussteigen wollen. Eigentlich macht es fast keinen Unterschied, ob der Missbrauch auf religiöser, sozialer, physischer oder sonstwelcher Ebene stattfindet. Die Religion ist bei solchen Vereinen quasi nur der Beipackzettel, um sich zu legitimieren.
Hier können kirchliche Einrichtungen nur bedingt helfen, da in den Hirnen dieser Personen oftmals die Religion nahezu untrennbar mit dem Missbrauch verschmolzen ist.
Dennoch: wer das Vertrauen hat, sich an die Kirche zu wenden, dem kann über die üblichen humanitären Kanäle der tatsächlich gut vernetzten Kirche viel geholfen werden, ohne das Wort „Religion“ überhaupt in den Mund zu nehmen.

Zur Frage, warum eine religiöse Gemeinschaft beim Ausstieg aus einer anderen Gemeinschaft berät, darf ich mal eine (mit Absicht etwas abwegige) Analogie ins Spiel bringen? Darf ein Steuerhinterzieher geschlagene Frauen beraten?

Es geht beim Sektenausstieg in vielen Fällen nicht so sehr ums Seelenheil wie ums körperliche Heil. Einige Sekten treiben Mitglieder in den Ruin - oder gar den Tod; der „worst case“ wäre das Selbstmord-Attentat!
Da geht es nicht um „meine Religion ist besser als Deine“, sondern um einen Dienst an der Gemeinschaft!

Tatsache ist, dass ein ausgebildeter Theologe mit einer ganz anderen Qualifikation an die Bewertung von Sektenfragen herangehen kann, da - unabhängig ob er ein „Eigeninteresse an Konvertierung“ hegt - er ein systematische Beschäftigung mit der Materie mitbringt, die auf dem Niveau von Laien einfach nicht zu erwarten ist.
Und wo findet man mehr Theologen, als in den Kirchen?

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Meine eigene subjektive Erfahrung ist:
Ich hatte selbst mit einem sektiererischen Verein zu tun und habe ich nach/während dem Ausstieg an die Kirche gewendet.
Dort hat man mir Wissen zur Verfügung gestellt, um eine „Außensicht“ zu bekommen und mir angeboten, mich mit anderen Aussteigern in Kontakt zu bringen, aber ansonsten hat man sich sehr zurück gehalten.
Die geleistete Hilfe war nicht anders als die, welche man von einer sekulären Einrichtung bekommen hätte.
Und ich wurde niemals gefragt, ob ich zurück in die Kirche möchte…

Gruß,
Michael