Hallo von_Vrymersfeld,
Ein direktes Buch das sich mit dem Thema befasst habe ich noch nicht gefunden, aber mir ist das auch schon aufgefallen und deshalb kann ich da wohl ein paar Gedanken dazu beitragen.
Wir leben zwar rein juristisch in einer Demokratie, aber in vielen Bereichen haben wir das Kaiserreich noch nicht überwunden, und so glauben die Leute, wenn sie eine gewisse Stellung haben, sie wüssten
Kraft ihrer Stellung einfach mehr als Andere.
Dazu müssen wir uns einfach einmal anschauen, wie das in unseren Hierarchien so zugeht: Niemand will es sich mit jemandem verscherzen, der in der Hierarchie über ihm steht, deshalb wird da nicht widersprochen. Das kommt auch in der alten autoritären Erziehung noch rüber: „Wider-sprich mir nicht“, „Solange Du Deine Füße unter meinen Tisch stellst, machst Du was ich Dir sage!“. In solchen Situationen verinnerlichen die Kinder, dass sie in der Hierarchie nach oben nicht widersprechen dürfen. Und das hat natürlich auch Auswirkungen. Diejenigen, denen nicht mehr widersprochen wird haben plötzlich den Eindruck, sie wüssten wirklich alles. Eine große deutsche Behörde, in der es sehr strikte Hierarchien gibt weiß das, und wechselt Führungskräfte regelmäßig aus, damit sie wieder geerdet werden. Dann ist in unserer Gesellschaft ja weit verbreitet, dass die Leute zwar keine Ahnung vom Thema haben, aber trotzdem eine detaillierte Meinung dazu vertreten. Das Bewusstsein, dass das Wissen der Menschheit inzwischen so komplex und vielfältig ist, dass selbst Spezialisten ihr Fachgebiet nicht mehr überblicken, existiert praktisch nicht.
Entsprechend reagieren die Leute auch, wenn ihnen widersprochen wird. Das ist mindestens unangenehm. Es wird um so unangenehmer, je begründeter der Widerspruch ist, denn dann bekommt die Fassade ja Risse. Leicht zu beobachten in unserer Gesellschaft ist auch, dass Probleme nicht sachlich ausgetragen werden, jedenfalls nicht in der Regel. Das geschieht in erster Linie auf der emotionalen Ebene. Und auf der emotionalen Ebene glauben viele einfach Recht zu haben, wobei wir wieder bei den Hierarchien sind. Habe hier selbst im Umfeld erst kürzlich eine solche Geschichte erlebt:
Da ist der Sohn, Arzt. Die Mutter bringt eine halblebige Katze mit nach Hause und bringt sie zum Tierarzt. Der verordnet eine Therapie mit Medikamenten. Die Freundin des Sohnes weiß nicht so genau, wie die Medikamente verabreicht werden und baut Mist. Dann will die Mutter das erklären, aber der Sohn stellt sich auf die Seite seiner Freundin und hält sich nicht an das, was er als Arzt gelernt hat. Bei einer ganz einfachen Sache.
Der Arzt handelt also rein emotional, gegen besseres Wissen. Und wenn Du dann Sachlichkeit rein-bringst bist Du der Böse. Tja, so kanns kommen! Das geht sogar so weit, dass die Menschen im Allgemeinen jemanden als in der Hierarchie sehr hochstehend ansehen, wenn er gegen Regeln verstößt, im Restaurant z.B. die Füße auf den Stuhl legt oder im Rauchverbot raucht. Da gibt es sogar wissenschaftliche Untersuchungen. Bei den Machtspielen wird das als „Flegelspiel“ bezeichnet und beschreibt eine häufig anzutreffende Unart.
Ich denke also, dass es einfach daran liegt, dass wir rein gesellschaftlich noch in der Vergangenheit leben und die Demokratie und das Wissen um unsere komplexe Welt noch nicht unserer Gesellschaft angekommen sind.
BtW: Wie sagte doch Horst Seehofer einmal? „Wir müssen die Lufthoheit über den Stammtischen haben!“ Das erklärt vieles.