Seltsame Einheit

Moin,

bin eben an einer Werbetafel vorbeigefahren, auf der stand, dass eine Firma Stromerzeuger bis 250 KVA vermieten würde. Was bedeutet dies? Kilovoltampere? Ich habe ja schon gelernt und weiß, dass Groß- und Kleinschreibung wichtig ist. Ich gehe mal davon aus, dass hier nicht darauf geachtet wurde, da das ganze Schild in Großbuchstaben war.

Viele Grüße

Data

Hallo Data,
Du liegst korrekt, kVA = Kilo Voltampere. Das ist die so genannte Scheinleistung, die bei Erzeugern (Generatoren) und Übertragungstechnik (Trafos, Schaltanlagen) angegeben wird.

Im Hausgebrauch wird meist mit der Wirkleistung Watt, Kilowatt (W, kW) gerechnet, da Otto-Normalverbraucher auch nur den Wirkleistungsanteil zählt und bezahlt. Das ist allerdings elektrotechnisch gesehen nur die halbe Wahrheit.

Viele Verbraucher (Motoren, Leuchtstofflampen, Netzteile …) verbrauchen einen Teil der zugeführten el. Energie um überhaupt erst einmal zu funktionieren. Dabei wird noch keine nutzbare Leistung (Wirkleistung) freigesetzt. Diese Verluste bilden die so genannte Blindleistung. Schein-, Blind- und Wirkleistung stehen in einem Winkelverhältnis zueinander, welches jedem Elektrotechniker geläufig sein sollte.

Die Erzeuger, aber auch die Übertragungstechnik in elektrischen Netzen müssen nun allerdings nicht nur den reinen Arbeitsanteil (Wirkleistung) liefern und bewältigen, sondern auch die elektrischen Verluste (Blindleistung) im System.
Daher wird die gesamte Scheinleistung angegeben. Bei Motoren hingegen gibt man die, an der Welle abgegebene mechanische Leistung, also Wirkleistung, an.

Wenn ich dich richtig verstanden habe, zieht sich doch der Verbraucher den vollen Strom, einmal für Wirkleistung und für die Blindleistung. Demnach müsste doch die Scheinleistung abgerechnet werden, oder bin ich auf dem Holzweg?
Vielen Dank übrigens für diese tolle Erklärung. Gibt es eigentlich eine Begründung, warum die Scheinleistung so eine seltsame Einheit hat? Ich dachte immer, dass Spannung und Kraft die Stärke ergibt. Hier wird das alles lustig zusammengesetzt.

Data

Wieso ist Kilovoltampere ein komische Einheit ?

Sie ist doch mit der Leistung (Watt) verwandt, das Produkt aus Spannung x Strom, also Volt(V) mal Ampere(A).

Aber eben Scheinleistung, weil sie den Blindstromanteil enthält.
Deshalb muss auch ihre Maßeinheit einen von Watt abweichenden Namen bekommen.

Und der Stromzähler zählt nur Wirkleistungen (Watt) und ermittelt daraus den Verbrauch in kWh (bei Privatkunde und Kleingewerbe).

Der Blindstrom muss aber in gewissen Grenzen gehalten werden. Man macht das durch Mengenbeschränkung und ggf. Kompensation (der Blindanteil wird verringert).

Große Stromkunden haben aber durchaus Blindleistungszähler und müssen dafür zahlen, sind aber ebenfalls gehalten ihn technisch zu begrenzen.

Grund: der Blindstrom ist ja tatsächlich da und messbar, er belastet die Leitungen und die Trafos des Versorgers. Verrichtet aber keine (Wirk)Leistung.

MfG
duck313

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Hallo,
genau so ist es.
Bei Privat- und Kleingewerbekunden ist die Blindleistung pauschal im Strompreis mit drin, die Zähler sind tatsächlich reine Wirkleistungszähler.
Bei Großkunden kann der Blindleistungsanteil sehr hoch sein, als Reserve müssen die Versorger ihre Anlagen höher dimensionieren. Um hier regulierend einzugreifen, erhalten die Kunden zusätzlich Blindleistungszähler und müssen diesen Anteil teuer bezahlen. Dadurch wird der Anreiz geschaffen, durch Investition in die eigenen Anlagen

diese Zusatzkosten zu senken.

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Schein-, Blind- und Wirkleistung stehen in einem Winkelverhältnis zueinander

hui… :slight_smile: Ich drücke es mal etwas präziser aus: Die Scheinleistung S ist nicht die arithmetische Summe S = P + Q aus der Wirkleistung P und der Blindleistung Q , sondern die geometrische Summe, d. h. es gilt S2 = P2 + Q2. Die schöne Illustration mit dem Bier ist also genaugenomen irreführend, weil sie diesen (nicht ganz unwichtigen) physikalischen Zusammenhang gerade falsch abbildet, nämlich als arithmetische Summe. Ein rechtwinkliges Dreieck mit P und Q an dessen Katheten sowie S an dessen Hypotenuse geschrieben – das wäre das korrekte Bild.

Gruß
Martin

Würde aber doof aussehen :wink:

Stimmt, ist aber bestimmt nicht so allgemeinverständlich wie das Bier. Daher war die Antwort auf die Fragestellung zugeschnitten.

Der komplette Wortlaut ist übrigens:

Auf Wunsch erkläre ich auch gern, warum Das so ist. Dann sollte allerdings ein eigener Beitrag als Grundlage dienen.

Danke dir, dass du nicht das dreieckige Beispiel sondern das Bier genommen hast.
Eine Frage habe ich noch, vielleicht muss ich nur von der Leitung geschubst werden (konnte ich mir jetzt nicht verkneifen). Du schriebst, dass der Blindleistungsanteil pauschal in den Verbrauch mit eingerechnet wird. Ich würde das so verstehen, dass nur das Bier bezahlt werden muss? Woher weiß denn mein Zähler wieviel Bier und wieviel Schaum ich verbrauche? Weil, den Schaum brauche ich ja nicht bezahlen?

Data

Nein, der ist im Strompreis enthalten also einkalkuliert, das ist gemeint.
Dein Zähler kann technisch nur Wirkleistung messen.

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Das ganze hat messtechnische Gründe. Die Wirkleistung ergibt sich wenn man Strom und Spannung direkt miteinander multipliziert, das geht recht einfach. Die Blindleistung erhält man, wenn man Strom und Spannung erst um 90° gegeneinander verschiebt und dann miteinander multipliziert, das ist technisch auch einfach. Für die Scheinleistung muss man den Phasenverschub messen, was, zumidest elektromechanisch, nicht einfach ist! Früher gab es noch keine Smartmeter mit eingebautem Computer!
Grundsätzlich musste man 2 Zähler einbauen, einen für die Wirk- und einen für die Blindleistung.
Glühlampen, Herde und Heizungen, früher die typischen Verbraucher im Haushalt, erzeugen aber keine Blindströme. Ganz im Gegensatz zu Motoren, welches die Hauptverbraucher in der Industrie waren.
Also hat man, aus Kostengründen, im Haushalt nur einen Zähler installiert.

MfG Peter (TOO)

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Es gibt einen viel passenderen Vergleich.

Stell dir einen Eisenbahnwaggon vor, der auf einem Gleis steht. Daneben verläuft eine Straße, auf der ein LKW fährt und den Waggon mit Hilfe eines Stahlseils zieht.

Das Seil läuft also schräg, wir nehmen mal 45° an.
Der LKW zieht mit 14.142N am Seil. Weil das Seil schräg läuft, wirkt nur ein Teil der Kraft als Beschleunigung auf den Waggon. Ein anderer Teil zerrt im 90 Grad Winkel seitlich am Waggon, dieser Teil bewirkt keine Arbeit am Waggon, er belastet zwar das Seil, aber ist eine eigentlich nutzlose Belastung. Besser wäre es, wenn der LKW vor dem Waggon wäre, aber das geht halt nicht.
Wenn man sich die Zugkrafte aufzeichnet, dann sieht man, dass 10.000N vorwärts wirken, 10.000N seitlich und diese zusammen dann die 14.142N Kraft am Seil ergeben.

Die reine Zugkraft in Fahrtrichtung entsrpicht der WIRKleistung, der nutzlose Teil zur Seite der Blindleistung und die Summe der beiden Kräfte ist die Scheinleistung.

Wenn mich der Dieselverbrauch des LKW interessiert, dann benötige ich die Wirkleistung, wenn ich wissen will, wie stark das Seil sein muss, dann intersssiert die Scheinleistung.

Und da in der Ausgangsfrage der Generator war: Dieser muss eben auch die gesamte Leistung verkraften, daher wird die Scheinleistung angegeben.
Üblicherweise gibt es da weitere Einschränkungen, meist gelteb die 250KVA nur, wenn ein gewisser Anteil Blindleistung dabei ist. Die Wirkleistung, die er abgeben kann, ist oft deutlich weniger, etwa bei 80%.

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Danke duck,
„einkalkuliert“ ist natürlich besser ausgedrückt.

-lol-, auch den Schaum bezahlst Du, genau wie das „Tropfbier“ an der Theke. Der Wirt kalkuliert Alles einfach in den Bierpreis mit hinen. Willst Du allerdings 10 Glas Schaum und kein Bier, wirst Du den Schaum bezahlen müssen.

  • schöne Freitagsdiskussion -

Die „Scheinleistung muss ins Glas“ passen, heisst das Glas die Leitungen muessen fuer die Scheinleistung ausgelegt sein.

Hallo Data,

Es gibt noch das Kleingedruckte :smile:

Der Stromversoger gibt den maximale erlaubten cos(Phi) vor, also die maximal zulässige Phasenverschiebung.

Damit kann man jetzt nachrechnen, wie viel Schaum im normalen Bierpreis einkalkuliert ist.

Praktisch ist es nun so, dass wenn der Stromversorger glaubt, dass du ein Schaumschläger bist, er bei dir den cos(Phi) mal messen kommt. Liegst du ausserhalb des zulässigen Wertes, bekommst du einen Blindstromzähler verpasst. Allerdings macht er das fast nur bei Industriebetrieben.
Der zweite Zähler koste etwas, muss abgelesen werden und dann kommt noch der Bürokram mit Rechnung usw. dazu. Das rentiert erst bei grösseren Anschlussleistungen.

Man darf nicht vergessen, dass für den Haushalt die Mischrechnung mit einbezogenem Schaum gilt. Mit zwei Zählern müssen dann der Schaum und das Bier getrennt und genau abgerechnet werden.

MfG Peter(TOO)

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tolle Diskussion!
Aber, back to the roots: Hat irgendjemand schon erwähnt, dass das alles natürlich nur für Wechselstrom gilt? Gleichstrom kennt das alles nicht. Da gibt’s nur Watt und Schluss.
Und übrigens: Große Stromverbraucher haben auch eigene Phasenschieber Generatoren/Motoren, mit denen die Blindleistung reduziert werden kann.

Außerdem: allein die Bezeichnung kVA heißt Wechselstrom.