… oder etwas breiter, und den Liebhabern der Sophia gemäßer, formuliert: Eros, Rausch und Kunst.
Wieso schaffen wir, als Gesellschaft, es eigentlich nicht, unser Leben nachhaltig an dieser simplen Trias auszurichten, sondern verlieren sie immer wieder fast gänzlich aus den Augen, um sie dann, nach Jahrzehnten oder länger, verlässlich doch immer wieder zu finden?
(Momentan sind ja alle drei Aspekte wieder mal gehörig unter Beschuss.)
Das siehst Du zu negativ. „Uns“ geht´s so gut wie nie zuvor. Karrierechancen, soziale Sicherung, Vermögensbildung. Und dabei eben auch viel Zeit für manch anderes.
Ja, das isteressiert mich auch. Bitte, wenn möglich, Beispiele.
Du hattest letztens schon so eine Bemerkung gemacht, die ich nicht verstanden habe.
Mir entgehen ja öffentliche Diskussionen öfter mal.
Ich denke da spontan an die Ü50- Harley-Davidson-Typen, aber die sind ja schon wieder durch (zu alt )
Die jetzige oppositionell zu ihren 68er Eltern stehende Generation junger Erwachsener wird etwas anderes als wir (wieder)finden, da deren jugendlichen Geist etwas anderes trägt, als den ihrer Eltern.
Und überhaupt, etwas (aus der Jugend oder einer vorhergehenden Generation) wiederfinden zu wollen ist ja gekoppelt an das Gefühl des Verlustes desselben. Den mag nicht jeder empfinden, aber vielleicht viele.
Irgendwann hat man den Zeitgeist satt, und es muss wieder ein anderer her.
Ich weiß nicht, ob deine Trias in jeder Generation wiederkehrt, aber als Befreiung von Restriktionen tut sie es auf kurz oder lang wohl doch.
Das wäre Thema einer ausführlichen Sonderdiskussion, weil das kaum in ein paar Sätzen abhandelbar ist.
Dennoch kurz drei Thesen, die natürlich, völlig klar, viel ausführlicher dargestellt werden müssten, als ich es hier tun kann und will:
der Sex ist heute (in Werbung und Co.) allgegenwärtig, ihm wird aber keinerlei gesellschaftliches Emanzipationspotential zugesprochen. Wenn er in größerem Rahmen thematisiert wird, dann v.a. entweder marktförmig (also wo und wie man ihm Geld verdienen kann) oder in Bezug auf seine Gefahren (Missbrauch, Belästigung, stört in der Arbeitswelt usw.)
der Rausch … wo wird dem Rausch heute irgendetwas Positives zugeschrieben? Dinge wie „Bewusstseinserweiterung“ interessieren nicht mehr groß, nicht einmal mehr bei den gesellschaftlichen Trägerschichten, bei denen das zu anderen Zeiten interessiert hat (Opiumzirkel im 19. Jhdt., LSD im 3. Viertel des 20. Jdts. usw. Auch beim Rausch dominiert wie beim Sex heute der Bezug auf die Gefahren deutlich den Diskurs.
Kunst: Hier ist die Lage schwieriger. Es gibt klar erkennbare Ansätze, die Kunst immer stärker einem moralischen Regime zu unterwerfen im Namen von Tierschutz, Antisexismus, ‚keiner Religion auf die Füße treten‘, kein hate-speech, keine Diskriminierung usw.
Wenn das Wesen der Kunst in der Überschreitung besteht, dann gerät damit unmittelbar die Kunst als solche unter Beschuss.
Ich habs oben bei meiner Antwort an HomolusLupulus ein bisschen abstrakt umrissen.
Es geht mir v.a. darum, dass alle drei Elemente (beim Sex und dem Rausch m.E. leicht sichtbar) heute weit stärker unter dem Aspekt „Gefahr“ diskutiert werden als unter Aspekten wie „Befreiung“ oder „Lust“ usw.
Das ist eine gute Antwort auf meine Frage, warum diese Trias immer wieder verloren geht, aber doch immer wieder wiederkehrt.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das quasi als dialektische Gesetzmäßigkeit sehen möchte, die durch die Generationswechsel bedingt ist, oder ob mir das nicht eher so erklären sollte, dass diese Trias immer wieder bestimmte historische Verhältnisse benötigt, in denen sie sich kurzfristig (etwa gegen mki’s Trias von „Karriere, Vermögen und Sicherheit“) durchsetzen kann, z.B. -wie etwa beim Vierteljahrhundert um ‚68‘ herum- entwertete Vaterfiguren und starke Geburtenjahrgänge usw.
Weil es mich gerade amüsiert hat …
Besonders schön zusammengebracht hat diese beiden Aspekte heute übrigens die konservative, heterosexistische österreichische Tageszeitung ‚Die Presse‘ mit ihrer Schlagzeile: Schweden führt „Vertragsschluss“ vor Sex ein.
Um eine nicht-konservative, nicht-österreichische, nicht-heterosexistische Stimme auch noch anzuführen: In sozialen Netzwerken überhäufen sich bereits die Fragen, wie das Gesetz umgesetzt werden soll. Eine Einverständniserklärung könnte etwa im Kontext von Darkrooms schwierig sein, in denen es häufig zu nonverbalen Übereinstimmungen kommt. Auch ist unklar, ob bei Gruppensex von jedem einzelnen Teilnehmer ein separates Einverständnis nötig sein wird. Zudem wird darüber debattiert, ob man beim Ausgehen besser stets eine schriftliche Vorlage mitführen soll, da es sonst bei einem Verfahren Aussage gegen Aussage stehen könne – und die Behörden in der Regel eher den Beschuldigerinnen oder Beschuldigern glauben würden.
Beides existiert wahrscheinlich nebeneinander in gegenseitiger Beeinflussung, mal verstärkend, mal abschwächend. Individuelle Lebensphasen spielen auch noch mit hinein.
Schwierig wird es rein hypothetisch für die Junge Generation, wenn gesellschaftlich-politische Bedingungen eine Gegenreaktion in Richtung der elterlichen Werte erfordern würden.
Das ergäbe eine Zwickmühle. Ist aber natürlich viel zu platt und eingleisig gesagt.
Die Goldenen Zwanziger, der Ursprung des Rock´n Roll in den 50ern (jeweils nach schweren Kriegstraumatisierungen) und die relativ lineare Entwicklung hin zuden 68ern gegen das stockkonservative herrschende Familien-und Rollenbild.
Den Drang zu auschweifendem Lustgewinn gab es auch schon in viel früheren Zeiten nach Überwindung von Kriegen, Armut oder auch parallel zu strengreligiösem Sittenkodex.
Gegenwärtig empfinde ich eher, dass die digitale Gesellschaft eine Menge Unsicherheiten und Ungreifbares auch für junge Leute mit sich bringt, da entsteht das Bedürfnis nach klaren Regeln.
Das zeigt sich auch in Umfrageergebnissen, bei denen Werte wie Sicherheit, Karriere und definierte Strukturen einen höheren Stellenwert haben, als zu meiner Jugend denkbar gewesen wäre.
Den Rock´n Roll sehe ich im Zusammenhang weniger als Kunst, sondern als das symbolische Bewahren einer unkonventionellen Seite in einem selbst, die bei manchen in späteren Jahren seinen Tribut fordert, z.B. im Rahmen der sog. Midlife-Crisis.
In Punkto Sexualität weiß ich nicht, inwieweit der Umgang damit unter jungen Leuten heute ein anderer ist. Dein link nach Schweden klingt zwar schon wieder nach Satire, aber irgendwie muss ich mich wohl daran gewöhnen,dass solche Dinge heute ernst gemeint sind.
Die Drogen gehören auch heute noch dazu, soweit ich mich umhöre wird auch wieder gekifft, was in der Techno-Ära ziemlich out war.
Allerdings sollten sich die Drogen, so spätestens Mitte Zwanzig, auf Nimmerwiedersehen verlieren.
Bei Leuten, die auch in höherem Alter regelmäßig Drogen konsumieren (auch ohne erkennbare berufliche oder soziale Beeinträchtigungen) sehe ich öfter seltsame Persönlichkeitsentwicklungen.
Das ist schon richtig, aber auch sie spiegelt eben die relativ heftigen moralischen Fronten, genauso übergriffig und provokativ wie immer, nur eben verschoben auf die Zeit-Themen, z.B. in der Anti-Islamismus-Satire.
Die radikale Infragestellung dieses moralischen Regimes und der politischen Korrektheit existiert darin genauso, z.B. in den deftigen Satiren von Serdar Somuncu.
Danke für deine sehr anregenden Zeilen!
Auch für die, auf die ich nicht explizit eingehe oder denen ich einfach nur meine eigene Sichtweise zur Seite stelle.
Das ist gut möglich.
Ich neige es so zu sehen, dass der Körper und seine Lüste der ‚ewige‘ Bezugspunkt für das gute Leben ist (auch wenn es sicher nicht den ‚Körper an sich gibt‘, sondern alles Körperliche immer auch schon Kulturelles und Gesellschaftliches ist) und deshalb diese Trias das ist, was sein kann und darf, wenn es durch keine großen Meta-Ideologien unterdrückt oder in Beschlag genommen wird.
Sicherlich, aber diese letzte Wieder-Hinwendung zu Sicherheit/Karriere/Struktur begann schon deutlich vor dem digitalen Zeitalter - das zudem für weite Teile der Welt noch eine sehr rezente Errungenschaft erst der letzten Jahre ist.
Ja.
Aber auch der überindividuelle Dis-/Viskurs der Kunst und noch mehr der Popularkunst selbst folgen diesen angesprochenen Abwendungen und Wiederfindungen bzw. gestalten sie mit.
Es ist eben keine Satire und hat auch, völlig klar, einen wichtigen und ernsten Hintergrund.
Ich wollte mit dem Link v.a. zeigen, in welchem hohem Ausmaß der Sex heute als „Gefahr“ diskutiert und reglementiert wird - und das teilt er aus meiner Sicht definitiv mit dem Rausch und der Kunst. Alle drei Bereich sind einem Meta-Diskursgeflecht unterworfen, der sie „gefährlich“ macht und dabei dieses „Gefährliche“ auch noch durch und durch „unerwünscht“ macht.
Klar gibt es Gegentendenzen und Brüche, aber grosso modo finde ich das einen deutlich erkennbaren Zug unserer Zeit.
Ich weiß nicht, ob heute mehr gekifft wird, kann aber gut sein.
In Bezug auf diesen Rausch (den ich im philosophischen Kontext ja nicht nur als kleines, privates Benebeltsein verstehe, wie wenn sich Tante Erna zu viel Eierlikör hinter die Binde gekippt hat), war die Techno-Ära mit ihren Partydrogen aber immerhin noch ein kleiner Anklang daran, auch wenn das Zeichen dieser Zeit eher Leistungsfähigkeit für den Rausch als Bewusstserweiterung durch den Rausch war.
Kiffen hat heute aber doch mit dem Rausch (außer im Tante-Erna-Sinn) gar nichts mehr zu tun, oder?
Ja, interessant. Diesen Unterschied hätte ich so gar nicht wahrgenommen.
Die Frage, so sie denn keine rhetorische war, kann ich persönlich nicht beantworten, da ich seit mindestens 30 Jahren nicht mehr weiß wie sich das anfühlt.
Bei den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, die sich auf Rock im Park- oder Wacken-Festivals herumtreiben und dabei nebst exzessivem Alkoholkonsum sich noch die Joints reindrücken, haben die Drogen nichts protestlerisches außer dem Exzess als solchen, sofern dieser als eine Form von Protest gesehen werden kann.
Das gilt auch für studierende junge Leute.
Ich staune auch, dass es heutzutage scheinbar nicht so selten ist, dass das Abi am Ballermann auf Mallorca abgefeiert wird. Ein unvorstellbares Anti-Ding zu meiner Zeit.
Den irgendwie künstlerisch-philosophisch, nach Bewusstseinserweiterung strebenden und gesellschaftskritischen Geist, der dem Drogenkonsum vielleicht noch bis in die 80er Jahre innewohnte, kann ich nirgendwo mehr entdecken.
Auch wenn hier auf dem Tollwood Absinth gesoffen wird, dann nur weil es cool oder hip ist, an einem Kult teilzuhaben, dessen ursprünglichen (auch fragwürdigen) Geist keiner mehr kennt.
Vielleicht ist der wahre Rausch unserer Zeit ja das neueste smartphone.
Die verstärkte Wahrnehmung der Außenwelt und der sozialen Kontake durch ein display dürfte viel weitreichendere (bislang wenig beachtete) Bewusstseinsveränderungen hervorrufen als so einige Drogen.
Sowas wie Rock im Park sehe ich durchaus noch wenigstens als ‚Anklang‘ daran.
Von mir aus sogar Mallorca-Ballermann oder Fußballspiel-Auswärtsfahrt.
Immerhin noch etwas „karnevaleskes“ (im Sinne Bakthins), das sehr gerahmt, gezügelt und auf ein paar Tage begrenzt ein „anderes Leben“ und eine „andere soziale Ordnung“ anklingen lässt.
So meinte ich es, wobei ich die Messlatte („künstlerisch-philosophisch“) nicht einmal so hoch hängen würde. Eine punkig-proletarische Leck-mi-am-Arsch-i-wui-mei-Bier-Haltung wär auch schon was.