Simone de Beauvoir's wichtige philosophische Gedanken

Hallo Leute,

ich frage mich welchen Beitrag Simone de Beauvoir zur Philosophie beisteurte und wie man diese verstehen kann.
Ich kenne zwar ihr Werk „Das andere Geschlecht“ jedoch fehlt mir das nötige Hintergrungwissen, was die philosphischen Gedanken darin waren bzw. welche anderen Gedanken sie verfolgt hat.

Ich bedanke mich schon mal für eure hilfe :smile:

Zum Feminismus steuerte Beauvoir insofern etwas bei, indem sie ihn meines Wissens wissenschaftlich erst wirklich erfand. Es gab schon vor ihr Feministinnen, gewiss, beispielweise ist Christine de Pizan hier eine gern genannte Protagonistin, doch hat Beauvoir die Angelegenheit nicht nur politisch betrachtet (mit philosophischen Implikationen), sondern sie hat die Sache genuin philosophisch betrachtet (mit politischen Implikationen).

Programmatisch für Beauvoir ist folgender Satz: „On ne naît pas femme, on le devient.“ Das heißt soviel wie: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es.“
Darin sind zwei Gedanken enthalten. 1. Von Geburt her sind beide Geschlechter gleich. 2. Männlich und Weiblich sind soziale Kategorien, die den Menschen erst angelernt werden müssen und von der Kultur bestimmt sind.
Damit löste Beauvoir den zwingenden Zusammenhang von biologischem Geschlecht und sozialer Rolle auf, indem sie zeigte, dass die sozialen Rollen auch anders sein könnten.
Diese Trennung von sozialem Geschlecht (gender) und biologischem Geschlecht (sex) begegnet uns heute auch immer noch in Forderungen, das Frauenbild solle sich nicht auf ein Klischee von Frau beschränken (Hausfrau und Mutter); oder wenn man Manager als Männerberuf bezeichnet oder Celia Ahern als Frauenliteratur. Auch mit Penis kann ich diese Bücher lesen, auch mit Brüsten kann ich eine Firma leiten, salopp gesagt. Dadurch lassen sich eben auch Forderungen nach gleicher Bezahlung mit einem solchen Feminismus vertreten, da das „sex“ keinen zwingenden Einfluss hat auf das „gender“, die Frau also eine Rolle nicht sofort schlechter mache, einfach weil sie Kinder bekommen kann.
Und wenn dann doch ein Zusammenhang, rein statistisch (Frauen arbeiten eher als Friseurin, Männer als Mechaniker), zwischen diesen beiden Kategorien auftaucht, dann argumentiert der Feminismus, die Gesellschaft konstruiere die soziale Rolle immer noch entlang der äußerlichen Geschlechtsmerkmale. Diesen Konstruktionszusammenhang zwischen gender und sex wollte und will der Feminismus der Gleichheit bis heute abschaffen.

Beauvoir steht damit paradigmatisch für die erste Generation der modernen Feministinnen, die eine Gleichheit, das ist das Stichwort, zwischen den Geschlechtern postulierte. Später, nach etwa zwei Jahrzehnten, entstand dann ein Feminismus der Differenz, beispielsweise vertreten von Luce Irigaray, welcher versuchte die Grenzen zwischen den Geschlechtern zu betonen und sich bemühte, die Wirklichkeit weiblicher zu gestalten.
Die Idee der Konstruktion von Geschlecht wurde in der Gegenwart von Judith Butler noch weiter ausgezehrt. Die beschrieb nicht nur das gender als gesellschaftliche Konstruktion, sondern auch das biologische Geschlecht, das sex. Das erscheint zuerst sehr unplausibel (schließlich kann man den Unterschied der Geschlechter hier ja augenscheinlich „sehen“), doch ich lege jedem Leser an Herz, sich mit dieser Gesellschaftskritik einmal auseinander zusetzen. Man lernt dabei sehr viel über sich selber. Ich habe es jedenfalls getan.

Beauvoir ist also eine feministische Philosophin der ersten Stunde und vertrat den Feminismus der Gleichheit. Die Unterscheidung gender und sex stammt von ihr und sie war Wegbereiterin für eine philosophische Strömung, die die Nachkriegsphilosophie bis heute prägt.

Korrektur an einer Beauvoir-These
Hi Notensafe,

prima Artikel von dir. Gegen Beauvoirs Thesen lässt sich nicht viel sagen, aber in einem nicht unwesentlichen Punkt scheint sie daneben zu liegen. In „Das andere Geschlecht“ (La deuxième Sexe) behauptet sie in einem Abschnitt über Frühgeschichte:

Die Frau…

… mochte Erde, Mutter, Göttin sein, doch war sie dem Manne nicht gleichgestellt, ihre Macht bekundete sie nur jenseits des menschlichen Bezirks; sie stand also außerhalb. Die Gesellschaft ist immer eine männliche Gesellschaft gewesen; die politische Macht hat immer in den Händen der Männer gelegen.

Das ist nicht nur vereinfachend, sondern vermutlich auch falsch. Aktuell lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass „die Gesellschaft“ nicht immer männlich dominiert war, sondern bis zum Neolithikum eine prinzipiell egalitäre war. Bis zum Neolithikum gab es - dem archäologischen Befund gemäß - keine männlichen Gottheiten, dafür aber eine weitverbreitete Verehrung von Muttergottheiten, denn bis zum Neolithikum war Vaterschaft unbekannt, die Fruchtbarkeit der Frau wurde auf die Wirkung einer göttlichen Ur-Mutter zurückgeführt. Die Einführung der Viehzucht führte zur Entdeckung der männlichen Teilhabe an der Fruchtbarkeit (ähnlich, wie man nur männliche Tiere gejagt hatte, wurden zunächst nur männliche Tiere geopfert bzw. verspeist, was zur Nachwuchslosigkeit der Herden führte - da ging den Männern ein Licht auf - das ist jedenfalls die entsprechende Hypothese). Auffällig ist auch, dass erst nach Einführung der Viehzucht der Phallus ein sakrales Symbol wurde (Funde aus dem 6. Jt. vuZ.), also Jahrzehntausende (!), nachdem man begonnen hatte, weibliche Merkmale kultisch darzustellen. Sakralität war in jenen und auch noch späteren Zeiten ganz wesentlich an Fruchtbarkeit geknüpft, also konnte „der Mann“ erst nach Entdeckung seiner Fruchtbarkeit 1) die Ebene des Sakralen betreten (als Stiergott usw.) und 2) mit diesem Backing seine soziale Stellung auf Kosten der Frau ausbauen (Einführung der Ehe als Mittel der Kontrolle über die Frau, männliches Königtum usw.).

Es ist unmöglich, dass „der Mann“ vor seiner Sakralisierung politische Dominanz ausgeübt hat, denn Herrschaft hatte im Alten Orient in historisch fassbarer Zeit immer die Legitimation durch Götter zur Bedingung, was wiederum ein Wissen um männliche Fruchtbarkeit voraussetzt, da ohne dieses, wie gesagt, der Mann kein sakrales Potential hatte, somit kein männlicher Gott denkbar war, der zur Legitimation eines männlichen Königs geeignet wäre. Dazu kommt, dass die frühen Könige gleichzeitig Priester waren (ob als Priesterkönig oder Königpriester, ist umstritten), was sakrale Kompetenz einschließt. Man kann daraus auf die prähistorischen Zeiten rückschließen und behaupten, dass die frühneolithischen und die paläolithischen Männer mangels Sakralität keine Dominanz ausüben konnten.

Man kann also davon ausgehen, dass die Dominanz weiblicher Gottheiten in der Frühgeschichte einherging mit einer egalitären Stellung der Frau in der Gesellschaft. Die Matriarchatsthese (Dominanz der Frauen) hat zwar ausgedient, die Egalitätsthese aber nicht, denn es spricht nichts gegen sie bzw. nichts für eine prähistorische Dominanz der Männer.

Ich zitiere, um meine Behauptungen über die Dominanz weiblicher Gottheiten, zu stützen, nachfolgend aus einigen Texten, darunter Steinkeller und Selz, zwei der bedeutendsten Mesopotamien-Experten der Welt.

Piotr Steinkeller (Assyriologe an der Harvard-Uni) zur Rolle der Göttin in der sumerischen Vor- und Frühgeschichte (aus On Rulers, Priests and the Sacred Marriage: Tracing the Evolution of Early Sumerian Kingship, 1999, zit. n.

[http://enenuru.net/pdfs/McGrath_ArchaicPantheon(Unde](http://enenuru.net/pdfs/McGrath_ArchaicPantheon(Unde)

It appears quite certain that the earliest pantheon was dominated by female deities (…) In the course of time, the importance of male deities increased, though never superseding that of goddesses.

Über die prähistorische Muttergöttin äußern sich Espak und Selz so:

Peeter Espak (Doktor, Uni Tartu/Estland) in

http://dspace.utlib.ee/dspace/bitstream/handle/10062

_The spread of the mother-goddess figure in almost all the early civilisations known to us might of course draw to the conclusion that the original divine figure in Eridu temple must have also been imagined female in gender. (Ancient Near Eastern Gods…, S. 13 Anm. 25)

The possibility of female dominance in early and more archaic stages of religion is certainly imaginable. It is possible to assume that also the divine power in Eridu must have been female in gender, and by later developments caused by the growth of male dominance in general, the original female deity was replaced by a male one. (ebd., S. 13)_

Gebhard J. Selz (Professor Uni Wien) in

http://academia.edu/2489201/Der_Vordere_Orient_im_4

_Während es sich hier nicht um ein dauerhaft besiedeltes Zentrum (= Göbekli Tepe, Anm. Chan) handelt, finden wir im etwa 2.000 Jahre jüngeren Catal Höyük einen festen Siedlungsplatz .mit zentralen, vornehmlich einer „Muttergottheit“ geweihten KuItanlagen (Der Vordere Orient im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr., S. 3)

Die Bedeutung der städtischen Kultur für das Weltbild darf den Blick nicht darauf verstellen, dass etwa die frühgeschichtliche Bedeutung aller Arten von „Fruchtbarkeitskulten“, die man zu Recht mit der allüberall bezeugten Verehrung von Muttergottheiten verbunden hat, in der mesopotamischen Weltanschauung auch für die nächsten Jahrtausende zentral blieb. (ebd., S. 6)_

Chan

Korrektur an zwei Links
http://enenuru.net/pdfs/McGrath_ArchaicPantheon(Unde…

http://dspace.utlib.ee/dspace/bitstream/handle/10062…

Ich hoffe, dass die Links zu McGrath (über Steinkeller) und Espak jetzt funken.