Zur Zeit Jesu wimmelte es von Gruppierungen, die sich mehr oder weniger ähneln. Einige von ihnen waren im Widerstand gegen die Römer, andere zogen sich einfach in die Wüste zurück, und ab und an gibt es Überschneidungen.
Wo liegen die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen den sog. Essenern, den „Söhne des Lichts“, den Qumranbewohnern, den Widerständlern auf Masada u. ä.
Qumran - ein Mythos am Ende
Hi.
Wo liegen die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen den sog. Essenern, den „Söhne des Lichts“, den Qumranbewohnern, den Widerständlern auf Masada u. ä.
Ein Verhältnis zwischen Essenern, Schriftrollen und Qumranbewohnern besteht vermutlich nicht. Eine Zeitlang ging man von einem engen Zusammenhang von Essenern und Schriftrollen aus. Mittlerweile weiß man, dass das ein wissenschaftlicher Mythos ist.
„Essener“ werden in den Schriften nicht erwähnt. Jene angeblichen sozialen Merkmale der Essener, die Anlass gaben, sie mit den Texten zu verbinden, gab es bereits in der griechischen Tradition, u.a. bei Pythagoras, und auf diese Tradition konnten die Textautoren theoretisch auch zurückgreifen. Die Essener sind zur Erklärung also nicht notwendig. Übrigens ist die Existenz von Essenern historisch nicht mal gesichert.
Seit den Untersuchungen der Jerusalemer Archäologen Yizhak Magen und Yuval Peleg (zu Anfang des 3. Jts.) ist der Mythos „Essener = Qumran“ weitgehend erledigt. Mehr noch: Die Beziehung „Schriftrollen = Qumran“ scheint ebenfalls erledigt. Sie fanden folgendes heraus:
- In Qumran lebten nicht Mönche, sondern Handwerker und Bauern.
- Die Schriften wurden von 500 verschiedenen Schreibern angefertigt. In Qumran lebten aber nur 100 Menschen.
- Keramik, Schmuck und viele Münzen wurden gefunden. Das passt nicht zur angeblich asketischen Strenge der Essener.
- Man fand mehrere Brennöfen, 1000 Krüge und viel fehlgebrannte Aussschussware - vermutlich war Qumran vor allem eine Produktionsstätte für Keramik.
Die These der israelischen Wissenschaftler lautet:
Die Schriften wurden nicht in Qumran verfasst, sondern dort nach 70 nur versteckt. Vermutlich stammen sie aus Bibliotheken und Synagogen in Jerusalem, von wo sie, um sie vor den Römern zu retten, nach Qumran gebracht wurden.
Man sollte also drei Dinge auseinanderhalten:
- Qumran, eine Keramikproduktionsstätte
- die Schriftrollen, die dort nach 70 versteckt wurden
- die Essener, die, falls sie historisch sind, mit den Rollen vermutlich nichts zu tun hatten
Chan
Upps, erst mal Danke für die ausführliche Antwort. Inhaltlich muss ich mich damit erst einmal auseinanderstezen, denn einiges ist mir noch nicht ganz klar. Qumran muss dann aber sehr bekannt gewesen sein, wenn man so viele Schriftrollen aus der Umgebugn zum Schutz vor der Zerstörung durch die Römer dorthin brachte.
Allerdings habe ich schon öfter die Theorie gehört, dass gerade die Bewohner von Qumran eher eine Durchgangsstation für Händler bestimmter, kostbarer Handelswaren war, die aus dem Orient bis zur Küste gelangen sollten, sozusagen eine Zwischenstation.
Dann kann man auch nicht mehr den Begriff „Essenersekte“, „Qumransekte“ benutzen, denn der religiöse Inhalt, den diese Begriffe implizieren, wäre damit hinfällig.
Mein Hauptinteresse liegt auf Masada, deren Geschichte und deren Bewohner. Waren da Kontakte irgendwelcher Art bekannt zwischen den Bewohnern Qumrans, und wen ja, welcher Art waren sie?
Ich weiß, es klingt im Moment noch alles sehr unausgegoren, aber aufgrund der Antwort ist einiges in meinen Vorstellungen ins Wanken geraten.
Trotzdem vielen Dank für die Anregungen
Hallo,
einiges ist mir noch nicht ganz klar. Qumran muss dann aber
sehr bekannt gewesen sein, wenn man so viele Schriftrollen aus
der Umgebugn zum Schutz vor der Zerstörung durch die Römer
dorthin brachte.
ich würde da mal für mich den gesunden Menschenverstand in Anspruch nehmen und behaupten: wenn ich nationale Kulturschätze, z.B. eine Bibliothek, vor einer ausländischen Besatzungsmacht verstecken möchte, dann suche ich mir nicht einen „sehr bekannten“ Ort aus. Es sei denn, ich habe an dem sehr bekannten Ort ein wirklich sehr, sehr gutes Versteck. Letzteres waren die Qumran-Höhlen eher nicht.
Dann kann man auch nicht mehr den Begriff „Essenersekte“,
„Qumransekte“ benutzen, denn der religiöse Inhalt, den diese
Begriffe implizieren, wäre damit hinfällig.
Der „religiöse Inhalt“ ist sicherlich nicht hinfällig. Die Existenz einer religiösen Strömung im Judentum der Zeitenwende, die sich durch typische gemeinsame Merkmale wie asketische Lebensweise, Sexualfeindlichkeit, weitreichendes gemeinschaftliches Eigentum und Pazifismus auszeichnete, ist recht gut belegt (Flavius Josephus, Philo Alexandrinus, Plinius maior, um nur die Zeitgenossen zu nennen). Ob man diese Strömung nun als Sekte - also als religiöse Gemeinschaft mit einheitlicher Ideologie oder gar einer Organisationsform - bezeichnen kann, ist eine ganz andere Frage. Sicherlich gab es lokale Gruppen (‚Gemeinden‘), die auf Basis dieser religiösen Überzeugungen zusammenlebten - sonst hätte das mit dem gemeinschaftlichen Eigentum ja nicht funktioniert. Es muss sich also nicht nur um eine religiöse, sondern auch um eine soziale Bewegung gehandelt haben. Vorstellbar (wenn auch kaum beweisbar) wäre, dass z.B. Töpfereien in Qumran von Kooperativen bewirtschaftet wurden.
Wiederum eine andere Frage ist, ob die Bewohner Qumrans alle dieser Strömung zuzurechnen sind, also ob Qumran gewissermassen eine ‚Sektenkolonie‘ war.
Mein Hauptinteresse liegt auf Masada, deren Geschichte und
deren Bewohner. Waren da Kontakte irgendwelcher Art bekannt
zwischen den Bewohnern Qumrans, und wen ja, welcher Art waren
sie?
Der bereits erwähnte Pazifismus der sog. Essener steht dazu in ziemlich deutlichem Widerspruch. Masada war auch keine zivile Siedlung, sondern eine Festung (der Name bedeutet genau dies), von Herodes gebaut oder zumindest ausgebaut, in der sich die jüdischen Widerstandskämpfer am längsten gegen die römischen Besatzer halten konnten. Wobei diese Widerständler (eine politische Gruppierung, nicht eine religiöse , auch wenn es da natürlich Wechselbeziehungen gab) durchaus nicht einheitlich war,sondern vermutlich genau wie in dem verlorengegangenen Jerusalem aus unterschiedlichen, womöglich untereinander verfeindeten Fraktionen bestand, die nur der gemeinsame Hass auf die Römer vereinte.
Freundliche Grüße,
Ralf
Hallo Ralf,
hier gerät inzwischen soviel durcheinander (zumindest für mich!), dass ich mir jetzt erst einmal selber noch einmal Klarheit darüber verschaffen muss, wer wer war, als da sind:
a)Essener (deren Existenz wohl nicht unbedingt mit Qumran zu tun haben muss); Sind die Essener geographisch angesiedelt (Klostergemeinschaft?)
b) Qumran(bewohner) mit wahnsinnig vielen Funden (religiösen Inhalts)
c) Verteidiger von Masada (sozusagen in ziemlicher Nachbarschaft)zu Qumran.
d) Zeloten (Masadaverteidiger u.a.)
e) „Söhne des Lichts“ (Essener?)
Wer hat was mit wem gemein? Religiös? Politisch? Beides?
Das sind alles Fragen, die ich mir im Moment stelle, um klarer zu sehen. Verzeihung, wenn ich mich da auch wiederhole, aber vieles sind auch nur Theorien, z. B. welche Rolle die Essener innerhalb dieses Gefüges nun spielten.
Dank im Voraus für Anregungen.
Bisher bin ich sehr positiv überrascht über die Antworten, die einfach sher interessantsind und anregen, weiter zu suchen.
Chirbet Qumran ohne Essener
Hallo jonalisa,
für einen ersten Überblick, den du offenbar suchst, ist Ralfs (wie immer) gute Zusammenfassung eigentlich schon bestens geeignet. Was dich vielleicht anfänglich noch irritieren wird, ist die Tatsache, daß die Interpretation der Ausgrabungen in der Siedlung Chirbet Qumran bis heute noch unabgeschlossener Forschungsgegenstand ist. Und daß ferner über die Essener sehr sehr wenig bekannt ist - die ältesten und zugleich einzigen einigermaßen vertrauenswürdigen Zeugnisse aus dem 1. Jhdt. u.Z. hat Ralf dir aufgelistet (Philo Alexandrinus, Flavius Josephus, Plinius d.Ä.).
Ob und was die Essener mit Chirbet Qumran zu tun haben, darüber sind seit dem Schriftrollenfund in den Qumran-Höhlen 1951 (und den Folgejahren) viele Arbeitshypothesen aufgestellt worden und ebensoviele wieder verworfen worden. Der archäoligische Konsens in der Forschung ist gering.
Essener (deren Existenz wohl nicht unbedingt mit Qumran zu tun haben muss)
So ist es. Die Essener lebten in kleinen Gemeinschaften in rituellen Ordnungen asketisch und ohne Frauen verstreut an mehreren Orten über Palestina. Philo Alexandrinus schreibt über sie in „Quod omnis probus liber sit“ (Prob. Lib.), und in „De vita contemplativa“ (Vit. Cont.) erwähnt er die „Therapeutes“ als eine ihrer Gruppen. Nach über 50-jähriger Forschung scheint sich herauszukristallisieren, daß sich Vermutungen über einen Bezug zu Qumram nicht betätigen. Einer der Gründe ist der Fund zahlreicher Frauengräber. In Qumran aber gibt es umgekehrt Hinweise auf eine religiös-rituell orientierte Gruppe - unter anderem durch die dort ausgegrabenen Miqwaoth, die auf explizite Reingungsritualik verweisen, aber nicht spezifisch auf Essener.
Sind die Essener geographisch angesiedelt (Klostergemeinschaft?)
Nicht in Klöstern (die gibt es im Judentum nicht), sondern in Dorfgemeinschaften, jedenfalls fern von Jerusalem (Konflikte mit Sadduzim und Parishim bzgl. Tempelkult).
Verteidiger von Masada (sozusagen in ziemlicher Nachbarschaft)zu Qumran.
Nun ja, so nachbarschaftlich sind die 80-100 km ja nicht gerade. Es besteht die Möglichkeit, daß Qumranbewohner auf der Masada beteiligt waren, aber dann erst recht keine Essener (siehe die zutreffende Begründung im Posting von Ralf). Anlass für die These war lediglich, daß alle Hinweise auf Essener sagen, daß es sie nach Mitte 1. Jhdt u.Z. nicht mehr gibt.
Zeloten (Masadaverteidiger u.a.)
können mit Essenern nicht in Verbindung gebracht werden. Die Zeloten waren eine kämpferische politische Formation, die Essener eine kontemplativ-asketisch-religiöse.
„Söhne des Lichts“ (Essener?)
Nein. Die in einigen Texten der Qumran-Höhlen 1Q und 4Q erwähnten „Söhne des Lichts“ sind Bestandteil eines (leider nur fragmentarisch erhaltenen) eschatologischen Mythos. Keine historische Relevanz.
Wer hat was mit wem gemein?
- Mit Masada unter anderem Zeloten und möglicherweise Qumranbewohner. - Mit Masada die Essener jedenfalls nichts.
- Mit Chirbet Qumran die Essener sehr wahrscheinlich nichts.
- Essener mit Zeloten mit Sicherheit nichts.
- Mit Inhalten der Qumranschriftrollen die Essener mutmaßlich wenig: Einige Texte könnten auf essenisches Gedankengut zurückgehen bzw. sich auf sie beziehen, oder sogar von Essenern verfaßt worden sein, aber es gibt keinen Beweis, daß sie auch in der Siedlung Chirbet Qumran niedergeschrieben wurden.
Gruß
Metapher
שלום כולם
als ehemaliger Mitarbeiter des Rockefeller Museums, speziell für die Schriftenfunde vom Toten Meer, muss ich Ch´an voll zustimmen.
Die Essener, die man eigentlich JACHAD > יחד QumranJACHAD der religiösen Richtung der Apokalyptiker aus dem antiken Judentum verband. Schuld daran war der nicht besonders sympathische archäologische und bibelwissenschaftliche Leiter Roland de Vaux von unserem Institut.
Erst wir, die „jüngere Generation“ haben unter reger Mithilfe anderer Institutionen hier der Wahrheit etwas auf die Sprünge geholfen. Hervorheben möchte ich hier die Arbeit meiner Kollegen und Mitarbeiter um Prof. Normen Golb.
Heutzutage gilt die „Qumran-Essener-Theorie“ nicht nur als überholt, sondern zeugt auch von mangelhaftem Wissen und Informationen der neuzeitlichen Bibelwissenschaft.
Nochmal Danke dem sehr guten Beitrag von Ch´an.
Schalom Amikam
זאב ברנובסקי