Biochemie und religiöse Regeln
Servus,
ja, die Ironie hab ich schon wahrgenommen. Allein, sie zielt in eine unpassende Richtung: Die Frage, ob etwas halal, haram oder makruh ist, ist nicht primär eine Frage, die sich mit biochemischen Methoden beantworten lässt. Beispiel, um beim Schlachten zu bleiben und nicht zu weit in ganz andere Bereiche des Lebens abzuschweifen: Ob mit dem Segen „Bism Allah Al Rahman Al Raheem“ geschlachtet worden ist oder nicht, hat keinen Einfluss auf die biochemischen Eigenschaften des Fleisches, aber ist ein entscheidendes Kriterium dafür, ob das Fleisch halal oder haram ist.
Ein eher weitläufiges Analog sei erlaubt, das aus der Sicht dessen, was man in christlichem Kontext gewohnt ist, vielleicht dem Verständnis förderlich ist: Es ist kaum bestreitbar, dass bei der Transsubstantiation keine Veränderung der biochemischen Eigenschaften einer Hostie erfolgt. Dennoch ist sie danach ihrem Wesen nach etwas völlig anderes als vorher.
Die bei Christen verbreitete Ansicht, eine Regel könne gleichzeitig irgendwie gültig und doch nicht so wichtig sein - ein hübsches Beispiel ist das Verbot des Blutgenusses auch für Heidenchristen, von dem in Apg 15, 29 die Rede ist - ist im Islam weniger populär. Zwar spielt auch dort die Gnade des Herrn gegenüber denen, die aufrichtig bereuen, eine Rolle, aber die Anforderungen an den einzelnen Gläubigen, das auch zu tun, was er als richtig vernommen und erkannt hat, sind schon etwas höher angesetzt als im Christentum. So kommt es bei gläubigen Moslems zu einem Bemühen, in Details halal zu leben, die von außen betrachtet merkwürdig erscheinen mögen.
Freilich gibts auch bei Nachbars nicht so viele Heilige. In einem weiteren Abschwiff eine hübsche Episode, die ich mit einem Gast aus Libyen erlebt habe: Der Mann wollte den deutschen Aufenthaltstitel für seine Hadsch nutzen - weil in Deutschland die relative Anzahl von Moslems viel geringer ist als in Libyen, sind die Wartelisten für die Hadsch kürzer, man bekommt als Einwohner von Deutschland (incl. Inhabern eines Titels für mindestens sechs Monate) aus dem Stand ein Visum für die Hadsch. Nun war aber in der Saudischen Botschaft ein Hardliner, dem auffiel, dass die Gattin von H. einen Aufenthaltstitel von der französischen Behörde hatte, und H. selber einen deutschen Titel. Er schöpfte Verdacht, die Eheleute lebten vielleicht nicht zusammen (was auch so war), und wollte aus diesem Grund dem H. kein Visum für Mekka geben, weil ein solchermaßen unislamisch lebendes Ehepaar natürlich nicht pilgern darf.
Der tief geknickte H. hat mit mir einige Gläslein Tee getrunken, von seinem Mißgeschick erzählt, und mir einige Fragen zum deutschen Meldewesen gestellt. Drei Tage später war seine Frau schon seit einem Jahr an der gleichen Adresse wie er selber in Deutschland gemeldet, er hatte sein kleines Bußgeld für die unterbliebene Anmeldung bezahlt, sich ein wenig drüber amüsiert, wie billig es ist, von deutschen Beamten einen Stempel zu bekommen, hechtete mit der druckfrischen Meldebescheinigung in den Nachtzug nach Berlin und kam auf den letzten Drücker mit dem Visum für die Hadsch wieder.
Was es tatsächlich mit der Gattin von H. auf sich hat, weiß bis heute weder ich noch der Saudische Botschaftsangestellte. Aber das sind Privatangelegenheiten, die hat H. vermutlich mit Allah Al Rahman Al Raheem ausgemacht, und wenn ich daran denke, wie H. strahlend und gelöst, wie ich ihn selten gesehen habe, von der Hadsch zurückgekommen ist, glaube ich, die beiden haben sich ganz gut verstanden - al-ḥamdu li-llāh.
Schöne Grüße
Dä Blumepeder