Sofortiger Hardwaretausch bei Verstoß gegen Vorschriften zum Umgang mit EGB

Hallo zusammen,

gelegentlich kommt man bei der Bearbeitung von Ausschreibungen schon mal ans Grübeln. Jetzt verlangt jemand, dass Hardware, die unter Verstoß gegen Vorschriften zum Umgang mit EGB aufgebaut/gewartet wird, schon alleine deshalb unverzüglich auszutauschen ist. Wir reden hier von ganz normalen PC in ganz normalen Büroumgebungen.

Ja, natürlich muss man sich an die Vorschriften halten, und in IT-Werkstatträumen ist ja auch das ganze ESD-Geraffel vorhanden, die Techniker sind auch entsprechend unterwiesen, … Aber nur weil jemand mal einen PC ohne Erdungsarmband auspackt gleich den Austausch zu verlangen, halte ich dann doch für übertrieben. Der User am Arbeitsplatz wird auch ohne Armband am PC sitzen, und da habe ich doch meine Zweifel, was mögliche Spätschäden und deren Zurechenbarkeit angeht.

Aus guten alten Zeiten kann ich mich noch an einen Kollegen erinnern, der bei trockener Heizungsluft damals über einen Winter eine ganze Handvoll Netzwerkkarten gehimmelt hat. Aber genau das ist ja dann auch ein unzweifelhafter ESD-Schaden, der sofort auftritt. Zu Zeiten als ich mir mal mein Studim mit PC-Bau finanziert habe, haben wir allerdings hunderte PC ohne irgendwelche zusätzlichen ESD-Schutzvorrichtungen gebaut/gewartet, ohne dass ich auch nur in einem einzigen Fall den Verdacht gehabt hätte, es mit irgendwelchen ESD-Schäden oder deren Spätfolgen zu tun gehabt zu haben. Gelegentlich stieß man mal auf hässliche Potentialunterschiede beim Verlegen von Netzwerkkabeln, die dann gerne auch mal eine Karte mitnahmen. Aber da wurde dann der Elektriker bzgl. Potentialausgleich gerufen, die Karte getauscht und gut war es.

Also mal Hand aufs Herz: Es wir zwar immer wieder viel über Spätschäden geschrieben. Nur so eine ganz konkrete Gefahr/eindeutige Fälle??? Kann dazu jemand etwas beitragen?

Und was macht man mit einem komplett funktionsfähigen, neuen PC, wenn der wegen „Befindlichkeiten“ getauscht werden muss? Eine echte Diagnose (zum Ausschluss) einer potentiellen Vorschädigung halte ich für ausgeschlossen. Also einfach wieder als Austauschgerät beim nächsten Mal (mit Armband) aufstellen?

Gruß vom Wiz

Also mal Hand aufs Herz: Es wir zwar immer wieder viel über
Spätschäden geschrieben. Nur so eine ganz konkrete
Gefahr/eindeutige Fälle??? Kann dazu jemand etwas beitragen?

ich.
ich habe vor jahren mal tv-geräte entwickelt. immer wieder gab es frühausfälle (innerhalb eines jahres!) beim kunden. das ließ erst nach, als ALLE vom hersteller des chipsatzes vorgeschriebenen esd-maßnahmen in der produktion eingehalten wurden. und der hatte sich das nicht ausgedacht, sondern dazu defekte baugruppen untersucht: chips ausgelötet, mittels säure vom gehäuse befreit und die fehlerursache gesucht (und gefunden): verbrannte kontakte vom bondingdraht am chip.

also: es gibt wirklich esd-schäden, die sich erst wesntlich später zeigen.

ach ja: ein 24h-dauertest aller produzierten geräte hat natürlich auch was gebracht (auch dabei gab es ausfälle), aber das war nicht mal die halbe miete.

Hallo Wiz,

Also mal Hand aufs Herz: Es wir zwar immer wieder viel über
Spätschäden geschrieben. Nur so eine ganz konkrete
Gefahr/eindeutige Fälle??? Kann dazu jemand etwas beitragen?

Grundsätzlich muss man zwischen Geräte- und Bauteilebene unterscheiden!

Für unbeschaltete Bauteile gibt es keine gesetzlichen Normen. Da gilt was der Hersteller vorschreibt oder garantiert.
Ein Bauteil darf kaputt gehen, wenn man es nur schräg anschaut. Allerdings werden einzelne Bauteile nur von Fachkräften gehandelt, zumindest sollt es so sein.
Wie man bei nochmal22 nachlesen kann, ist da leider auch nicht immer gewährleistet :frowning:

Die nächste Ebne liegt dann beim Entwickler. Er muss durch eine geeignete Beschaltung sicher stellen, dass das die Schaltung die Anforderungen erfüllt ohne, dass das Bauteil einen Defekt erleidet.

Für ganze Geräte gibt es dann aber die EMV-Vorschriften!
E lektro M agnetische V erträglichkeit eglt eben nicht nur, was ein Gerät an Störungen aussenden darf, sondern auch wie es auf externe Störungen reagieren darf. Da ist die ESD-Problematik mit enthalten.
Es gibt Tests, bei welchen das Gerät zwar aus dem Takt kommen darf und auch Aus- und Eingeschaltet werden darf um wieder tritt zu fassen, aber es darf dabei kein Schaden am Gerät entstehen. Bei anderen Tests darf das Gerät kaputt gehen, aber nicht anfangen zu brennen, bzw. es darf dabei keine Lebensgefahr vom Gerät ausgehen.

Allerdings gilt ist das mit der EMV so eine Geschichte.
Ein Hersteller kann dies natürlich nur für sein Werk garantieren ;-(
Somit kann es sein, dass ein PC alleine alle Vorschriften erfüllt, aber sobald man ein Kabel einsteckt oder eine Erweiterungskarte einbaut, die Daten nicht mehr eingehalten werden.

Das Auspacken ohne Erdungsband ist so eine Sache.
Schon beim abziehen vom Klebeband entstehen elektrische Ladungen, erst recht wenn man das Gerät aus der Kunstoffverpackung (Plastiktüten, Styropor usw.) befreit. Berührt man dabei nur das Metall-Gehäuse passiert nichts. Berührt man aber als erstes einen Steckkontakt, kann diese Entladung zu einem Schaden führen.

Also muss, damit es auch bei den Dummen klappt, ein Erdungsband verwendet werden :frowning:

Man kann auch im Winter Netzwerkkarten ohne Erdungsband sicher einbauen.
Dazu muss man zuerst die ESD-Verpackung berühren und die Karte dann so fassen, dass man Kontakt mit der Masseleitung der Karte hat. Wichtig ist jetzt, dass man den Kontakt mit der Karte beibehält und sie nicht mal zwischendurch weg legt. Dann zuerst mit der anderen Hand das PC-Gehäuse berühren, nicht mehr los lassen und mit der anderen Hand die Karte, in den von Netz getrennten, PC einstecken.
Das Erdungsband vereinfacht das Ganze, aber auch nur wenn alles richtig gehandelt wird.
Es bringt eben nichts, wenn z.B. Erdungsband und PC keine elektrische Verbindung miteinander haben, also auf unterschiedlichen Potentialen liegen können!

ESD-Schäden sind meistens eben keine sofortigen Totalausfälle!
Im Allgemeinen ist da nur etwas angeschlagen und der wirkliche Ausfall kommt erst viel später. Da dadurch die Parameter der Bauteile etwas verschoben sind, kommt es höchstens zu sporadischen Störungen, welche dann erst nach langer Zeit zu einem wirkliche Ausfall führen.

Ich hatte mal so einen Angeschlagenen RS-232-Treiber in meinem Labor-PC. Loopback-Tests funktionierten und auch mit den meisten Geräten funktionierte die Schnittstelle mit allen Geschwindigkeiten. Es gab nur mit Manchen Geräten Probleme, da bekam man keine Verbindung zu Stande. Mit den anderen Schnittstellen funktionierten diese Geräte aber. Auch mit dem Oszilloskop war nichts am Signal messbar.
Erst der Austausch des 1488-Treibers löste dann das Problem.

Hier noch etwas Literatur:
http://documentation.renesas.com/doc/products/others…
Besonders Kapitel 4 dürfte dich interessieren.

MfG Peter(TOO)

Auch hallo

Wir reden hier von ganz normalen PC in ganz normalen Büroumgebungen.

Sicher ?
„Über dem Teich“ werden auch bestimmte Standards verlangt, wenn man mit der US-Regierung Geschäfte machen will: http://de.wikipedia.org/wiki/Federal_Information_Pro… (spez. FIPS 140-2)
In Zeiten von NSA und unsicher gewordenen Krypto-Standards kann man sich sicher seinen Teil denken…

Was nicht ausschliessen soll, dass der Auftraggeber aus wirtschaftlichen (oder anderen) Gründen auf zuverlässige Rechner setzt.

mfg M.L.

Hallo Peter,

besten Dank für die Infos. Also nehmen wir es mal als gegeben an, dass Spätschäden tatsächlich irgendwie signifikant - lassen wir mal die konkrete Größenordnung außen vor - entstehen (können). Aus der anderen Antwort habe ich die Bestätigung bekommen, dass man entsprechende Vorschädigungen nicht zerstörungsfrei im konkreten Einzelfall bestätigen/ausschließen lassen (wenn ich alle Chips in Säure lege, bleibt vom PC nichts mehr über).

Jetzt habe ich da also einen vollständig funktionsfähigen, neuwertigen PC, den ich nur wegen eines falschen Handgriffs ausgetauscht habe, bei dem ich eine tatsächliche Vorschädigung mit irgendeiner kleinen Wahrscheinlichkeit als möglich erachten muss, aber eben bei genau diesem Gerät weder konkret ausschließen oder belegen kann.

Lege ich jetzt dem Kunden einfach den Kaufpreis auf den Tisch und entsorge das Ding dann? Klingt irgendwie nicht wirklich sinnig. Kaufe ich es dem Kunden ab, und verticke es einfach weiter (natürlich mit Gewährleistung)? Nur blöd, dass wir keine Hardware-Bude sind. Hoffe ich darauf, dass die Kontrollen beim Kunden nicht so gestrickt sind, dass es auffällt, wenn ich das Ding einen Tag später einem anderen Mitarbeiter auf den Tisch stelle? Nicht wirklich professionell und für mich in meiner offiziellen Position als Jurist in dem Laden überhaupt nicht akzeptabel (auch wenn ich mich rein technisch damit durchaus anfreunden könnte)?

Normalerweise haben wir solche Probleme nicht, weil Kunden in unserer Größenordnung ohnehin umfassende Wartungsverträge mit den Hardware-Lieferanten haben, und wir ggf. sogar deren Vorort-Service im Rahmen laufender Beauftragungen übernehmen. D.h. eine Vorschädigung interessiert niemand, solange das Gerät einwandfrei läuft. Und sollte die nach zwei Jahren zu einem Ausfall führen, wird das betroffene Bauteil eben im Rahmen des Wartungsvertrages getauscht, und beim Hersteller interessiert sich bei Rücksendung auch niemand dafür, warum jetzt konkret ein einzelnes Mainboard nicht mehr wollte (solange wir da nicht jede Woche zehn einreichen). Solange man in „üblicher Größenordnung“ zurücksendet wird je nach Wert der Komponente und Vertrauen in den Partner nicht mal getestet, ob überhaupt ein Defekt vorliegt.

Hier geht es aber nur um das erstmalige Aufstellen und keinen fortlaufenden Support.

Gruß vom Wiz

montagsprodukte
ESD ist ein ganz ernstes Thema, da gibt es in der elektrotechnik/halbleiterei und angrenzenden fachgebieten nicht die geringsten vorbehalte.
armband anlegen ist wie helm auf baustellen tragen; am besten man denkt da erst gar nicht gross nach.

das tückische an ESD schäden ist ja gerade, dass sie weder lokalisierbar, noch vorhersehbar, und obendrein noch sporadisch sind.

es ist verständlich, dass man beim geringsten zweifel die kiste lieber sofort wegwirft, als sich der wahrscheinlichkeit auszusetzen, ein gerät zu besitzen, das später einmal den namen „montagsprodukt“ tragen wird.

Hallo Wiz,

Tja, da sitzen Technik und Juristerei im selben Boot:
Beide können auf dem Papier eine heile Welt definieren, aber deren Einhaltung nicht garantieren!
Und geahndet können Verstösse auch nur werden, wenn sie aufgedeckt und bewiesen wurden.

Bezogen auf die Technik:

  • Schon der Hersteller garantiert keine zu 100.00% fehlerfreie Ware, welche bei ihm raus geht.

  • Es folgt Transport, Verarbeitung usw. bis das Teil bei dir ist.

  • bis hierhin hast da keinen wesentlichen Einfluss.

  • Du kannst dann die Verantwortung ab hier bis zur Aufstellung beim Kunden übernehmen.

  • Wenn das Teil beim Kunden steht, hast du wieder keinen Einfluss mehr. Wer weiss ob nicht die Putzfrau einen Stecken, ohne ein Erdungsband zu benutzen, aus- und einsteckt?

Technisch kann man dann zwar einen Schaden im nachhinein nachweisen, aber eben nicht Wer ihn Wann verursacht hat :frowning:

Auch ISO 9xxxx hilft hier nicht weiter. Der betreffende Mitarbeiter beim Aufstellen kann das Kreuzchen bei „ESD beachtet“ machen, aber trotzdem einen Fehler begangen haben …

Hier müsste man jetzt noch die Badewannenkurve einfügen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Badewannenkurve

100% sicher ist nur der Tod, aber der hält sich nie an Terminabsprachen …

MfG Peter(TOO)