Sog. Political Correctness, MeToo, anti-ismen-#aufschreie, SafeSpaces und Konsorten

Hallo!

Eines meiner Lieblingsthemen, weil ich einfach einen großen, antiliberalen Kulturbruch als Hintergrund der oben genannten Dingen sehe, der ganz viel mit der Gegenwartsgesellschaft zu tun hat, aber als solcher nicht groß Thema wird.

Ich finde die Überlegungen der beiden Autoren (Quelle unten) interessant, die idealtypisch drei „moral cultures“ unterscheiden. Ist natürlich ein bisschen viel amerikanischer Text, aber m.E. lohnenswert:

  1. orientiert an der Würde: People are more tolerant of insult and disagreement. Children might be taught some variant of “Sticks and stones can break my bones, but words can never hurt me.” It’s good to have “thick skin,” and people might be criticized for being too touchy and overreacting. If the issue in the conflict is something more than a slight or insult — say, a violent assault — you’re to handle the matter through appeal to authorities such as the legal system. Taking the law into your own hands with violent vengeance is itself a serious crime and generally looked down upon.

  2. orientiert an der Ehre: much greater sensitivity to slight. Insults demand a serious response, and even accidental slights might provoke severe conflict. Having a low tolerance for offense is more likely to be seen as a virtue than a vice. Letting yourself be slighted without seeking justice is shameful. And seeking justice is more likely to take the form of violent vengeance. Appealing to authorities is more stigmatized than taking matters into your own hands.

  3. orientiert am Ich-bin-ein-Opfer"-Status: [egocentric] victimhood culture combines some aspects of honor and dignity. People in a victimhood culture are like the honorable in having a high sensitivity to slight. They’re quite touchy, and always vigilant for offenses. Insults are serious business, and even unintentional slights might provoke a severe conflict. But, as in a dignity culture, people generally eschew violent vengeance in favor of relying on some authority figure or other third party. They complain to the law … to the administration at their university, or… to the public at large.

Sinnvolles Raster, um die Phänoneme, die die Titelzeile aufführt, komplexer zu diskutieren?
Sind diese nicht allesamt, zumindest teilweise, der Opfer-Kultur zuzuordnen?
Ist diese mit ihrer ganzen Dauer-Vigilanz nicht extrem ungesund, lust- und glücksfeindlich?

Es geht jetzt nicht darum, dass einer antwortet „Aber Antirassismus ist doch eine Selbstverständlichkeit, hat doch nichts mit Opfer-Kultur zu tun?!?“ oder dergleichen - Ja, natürlich, das ist völlig richtig, das hat er nicht komplett.
Das potentiell endlose Verschieben der geeigneten Begriffe (Neger->Schwarzer->Black->Farbiger->PoC->…) beispielsweise aber schon, oder das Lauern auf die kleinsten rassistischen oder sexistischen Fehltritte irgendwelcher Professoren, um ihn oder sie dann ‚melden‘ zu können, hat auch damit zu tun. Usw.
Und auch das Muster, jeden, der sich der Opfer-Kultur entziehen möchte, dann automatisch in eine Verteidigungshaltung zu bringen, weil der ja praktisch (wie es die Würde-Kultur vorsieht, die Opfer-Kultur aber ausschließt) angeblich Rassismus, Sexismus und andere -muse verteidigen würde. „Er/Sie begreifts einfach nicht“, „zu wenig Empathie“ etcppusw… - und muss defensiv argumentieren.

Gruß
F.

Quelle: https://quillette.com/2018/05/17/understanding-victimhood-culture-interview-bradley-campbell-jason-manning/

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oh oh oh
das wird extrem spannend jetzt.

Sog. Political Correctness schon einleitend im titel.
und noch ein „Opfer“ fettgedruckt im text nachgeschoben.

unterschreibe ich jetzt schon mal.
weil die opferkultur hierzulande nicht nur mittlerweile, sondern seit jahrzehnten von tätern, mitwissern und unterstützenden schaulustigen ausgeht.

das besondere ist, dass sie aktuell in die schlagzeilen gerät.
weil der zweite (nach RAF, imho) widerstand geleistet wird.
auf einer etwas anderen ebene zwar.
aber zumindest die täter ähneln sich sehr.
kultivierter.

das mag sein.

pasquino

:wink:

Wobei es gar nicht ums billige Provozieren geht, sondern z.B. darum, dass die, die bei solchen Diskussionen irgendwann sowas sagen wie, „lass doch die Kirche im Dorf“ vollkommen adäquat die Würde-Position (1) vertreten, während sie von der Opfer-Position (3) aus höchst defizient erscheinen.
Vor kurzem hat mir jmd. hier geschrieben, ich könne z.B. Sexismus erkennen, aber ich wolle oft nicht. Nein, ich argumentiere nur nicht von der Opfer-Position (3) aus, weil ich die ungut finde, sondern von der Würde-Position (1) aus, die Sexismus und Rassismus durchaus auch nicht ok findet, aber z.B. viel mehr Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen toleriert und dieses Tolerieren auch einfordert.

Gruß
F.

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Was der Artikel beschreibt, ist eine Perversion, die besonders an amerikanischen Colleges anzutreffen ist. Es gibt diese tyrannische Form der „Political Correctness“, die mit Denk- und Sprechverboten verbunden ist. Hier lebt man in safe spaces, beklagt microaggressions und gibt trigger warnings aus. Die Haltung, geradezu nach einer Kränkung zu suchen, um den anderen dann zurechtweisen zu können, geht mir auch auf den Keks. Ich kann also gut verstehen, dass sich dazu eine Gegenbewegung formiert hat.

Was aber jetzt passiert, ist, dass diese Gegenbewegung 1. jede Einforderung von Anstand unter dem Begriff „Political Correctness“ fasst, und dann 2. die Extrembeispiele dieser „Political Correctness“ als für sie charakteristisch darstellt. So kann man dann jeden, der ein Unrecht beklagt, als jemanden diskreditieren, der Teil einer anti-liberalen Kultur ist. Ironischerweise wird man damit selbst derjenige, der Denk- und Sprechverbote aufstellt.

Es gibt einen Unterschied, ob jemand einen Aufstand macht, weil deine Kinder „Cowboys und Indianer“ spielen; oder ob jemand ein öffentliches Forum nutzt, um von einer erlittenen Vergewaltigung zu erzählen. Was ist der Sinn davon, das alles in denselben Topf „Opferkultur“ zu schmeißen? Wieso betrachtet man nicht Fall für Fall und überlegt sich, ob ein Vorwurf angemessen ist oder nicht?

Gruß

Ich empfehle dir den Artikel „Debattenkultur: Der Wille zur Schuld“ von Lotter in Zeit Online:

Rücksicht auf die Verletzlichkeiten von Personen zu nehmen bedeutet für diese Avantgarde nicht etwa ein mitfühlendes Verstehen anderer menschlicher Schicksale. Verstehen würde schon eine übergriffige Vereinnahmung gegenüber den Leidenden darstellen. Umgekehrt sollte sich der seiner Würde bewusste Leidende in öffentlichen Diskursen nicht auf allgemein nachvollziehbare Gründe berufen, sondern eine Formulierung wählen wie „als ein xy … kann ich sagen, dass …“ – wobei xy für irgendeine Eigenschaft steht wie „afroamerikanisch“, „schwul“, „weiblich“. Es wird unterstellt, nur ein Mitglied der Gruppe, die diese Eigenschaft aufweist, könne mit Autorität für das sprechen, worunter diese Gruppe leidet und worauf sie Anspruch hat. Dies gilt allerdings nur für solche Eigenschaften, die sich auch auf Schuldnarrative oder zumindest auf unverdientes Leiden beziehen lassen.

Es ist zunächst mal die Suche nach Helden, die sich weiterentwickelt zu einer Art Opferkult (Was hat die Person doch erleiden müssen…).

Danke, den fand ich sehr lesenswert.
Auch weil er das Wahrheitsmoment in anderen Perspektiven, etwa, wenn er auf Toni Morrison zu sprechen kommt, sehen und anerkennen kann.

Gruß
F.

Yepp.

Da gebe ich dir recht.
Ich möchte aber darauf hinweisen, dass keine der drei genannten Positionen (Position 2 können wir eigentlich weglassen, weil der vermutlich keiner hier im Forum anhängt) das unterstützt. Ich würde sagen, es ist schlicht gänzlich unmoralisch/unethisch, Forderungen nach Anstand und Beklagen von Unrecht pauschal zurückzuweisen, also somit weder( 1) noch (2) oder (3).
Ich gestehe auch jeder der drei Positionen ein Wahrheitsmoment zu, man muss sich nicht zwischen ihnen für nur eine davon entscheiden.

Was meinst du damit bzw. wer macht das?

Gruß
F.

Danke für eure Antworten!

Ich find es schon interessant, dass nicht einer derjenigen, der/die sonst bei diesen Themen stark von Position (3) aus diskutieren, in eine Meta-Diskussion einsteigt.
Kann natürlich Zufall sein, dass die alle gerade keine Zeit haben.

Gruß
F.