Sozialistisches Gehaltsprinzip?

Hallo liebe Wissende,

man liest ja in letzter Zeit immer wieder von selbstbedienenden Managern verschiedenster Unternehmen - ein Vorstand, der sich €14m einsackt, obwohl im sogar €17m „zustehen“ würden, wobei große Teile seiner Belegschaft für weniger als €30k malochen - ein Banker, der sich mit €80m aus Gewinnen durch illegale Manipulation gütlich tut etc. etc.

Es geht mir nicht um die Neiddebatte.

Bereits in meiner Jugend wurde ich - gerade in den kapitalistischen USA - mit dem Gedanken konfrontiert, dass es dort Unternehmen gibt, die ein sozialistisch orientiertes Gehaltsmodell verfolgen:

Jeder Angestellte darf nicht mehr als X-mal so viel verdienen wie ein Anderer.
Da gibt es Unternehmen, welche X als 5, andere als 19, andere als 35 definieren.

Jetzt bin ich sehr fasziniert von dem Modell, aber für mich tauchen direkt ein paar Fragen auf:

So direkt klingt es erst mal unfair, wenn eine 20-Stunden-Aushilfe 1/3 dessen verdient, was der Super-Vertriebler mit Studienabschluss bei einer 100-Stunden-Woche bekommt, denn plötzlich wäre ihm der Anreiz für seine Mehrarbeit genommen und alle würden darunter leiden weil ja weniger Geld zum Verteilen verfügbar wäre.

Ich denke, tragbar wäre ein Ansatz der Form „Die Zeit eines Menschen sollte im Wert nicht mehr als einen Faktor X voneinander abweichen“.

Für mich geht es darum welches X wäre geeignet, um erstens eine klare sozial-orientierte Entlohnungsmethode sicherzustellen und andererseits verschiedener Faktoren (Qualifikation, Ausbildung, Leistungsbereitschaft) noch Güte zu tragen?

Ich fand den Faktor 5 gar nicht so schlecht - aber: ist er zu niedrig gegriffen? Oder schon eigentlich unverantwortlich hoch?

Für mich gibt es viele Argumente sowohl für als auch wider.

Gerne würde mich aber von Euch Folgendes interessieren:

  • Habt Ihr Erfahrungen mit einem derartigen Entlohnungsmodell?
  • Kann es in der Praxis überhaupt funktionieren?
  • Welche Faktoren wären wohl realistisch und praktikabel?

Interessieren tut mich das auf zwei verschiedenen Ebenen:

Zum ersten, die unternehmerische. Würde ein Unternehmen so etwas von sich aus anbieten: Würde es qualifizierte Kräfte eher einladen oder abschrecken?

Zum zweiten, die politische. Würde der Staat so etwas einführen, auf Unternehmensbasis, d.h. innerhalb des selben Unternehmens muss die Regelung erfüllt sein: Könnte es funktionieren oder würde es nur zu Schlupflochnutzung durch die Einkommensmillionäre führen?

Gibt es hier bereits Studien, auf die man zurückgreifen könnte?

Gruß und Danke,
ein faszinierter, aber in diesem Zusammenhang völlig unwissender
Michael

Hallo,

kapitalistischen USA - mit dem Gedanken konfrontiert, dass es
dort Unternehmen gibt, die ein sozialistisch orientiertes
Gehaltsmodell verfolgen:

Da wäre schon mal die Frage, was ein
„sozialistisch orientiertes Gehaltsmodell“ sein soll?
Ein wirklich sozialistisches Gehaltsmodell gab es nicht
im real existierenden Sozialismus der DDR und auch nicht
im Kommunismus der UdSSR und noch weniger in den ärmeren
Ländern Osteuropas.
Rein ideologisch gab es den Grundsatz bzw. die idealisierte
Zukunftsvorstellung, dass jeder nach
„seinen Leistungen und nach seinen Bedürfnissen“
bezahlt werden sollte.
Praktisch gab es ideologische Vorgaben und rein pragmatische
Festlegungen sowie Korruption und Vetternwirtschaft ebenso
wie Neid und Betrug.
Letzendlich haben Parteifunktionäre der SED festgelegt unter
Nutzung ihrer Machtstrukturen und Überwachungsapparate,
wer für seine Leistungen besser entlohnt wird und wer weniger
bekommt. Dabei wurde zumindest das Leistungsprinzip meist
grob mißbraucht, indem man tatsächliche Leistungen zum
Wohle der Gesellschaft mißachtet und auch bestraft hat und
Arschkriecherei und Denuziantentum belohnt hat.
Außerdem gab es ideologische Grundsätze, die von vorn herein
zu einer gewissen Perversion des Leistungsprinzips führten.
Arbeiter und Bauern wurden als Basis der Partei (der Arbeiterklasses)
oft bevorzugt im Vergleich zu Intelligenz.
So konnte ein eher miderbemittelter Heizer im Schichtbetrieb
mehr verdienen, als ein Ing. in einer Entwicklungsabteilung.
Dazu mußte der Heizer dazu nicht mal den Abschluss der
8. Klasse haben und konnte es sich auch leisten, die
meiste Arbeitszeit hinterm Ofen zu pennen oder Karten zu spielen.

Jeder Angestellte darf nicht mehr als X-mal so viel
verdienen wie ein Anderer.

Sofern man nur normale Angestellte vergleicht, ist das doch
heute auch so in den meisten Betrieben.

Da gibt es Unternehmen, welche X als 5, andere als 19, andere
als 35 definieren.

Also, das zweifache oder dreifache eine Gehalts vom normalen
Angestellten mit normalen Einkommen ist doch in der Regel
schon soviel, dass man da sehr gut von leben kann.
20.facher Lohn und noch viel mehr ist in meinen Augen auch
pervers.

So direkt klingt es erst mal unfair, wenn eine
20-Stunden-Aushilfe 1/3 dessen verdient, was der
Super-Vertriebler mit Studienabschluss bei einer
100-Stunden-Woche bekommt,

Das ist ja auch Äppel mit Birnen verglichen.
Dann nimm doch zumindest gleiche Arbeitszeiten an oder
beziehe dich auf den Stundenlohn.

Dazu kommt aber auch noch ein anderer Aspekt,
nämlich ein Mindestniveau, das man braucht um zu
überleben. Mit einem niedrig bezahlten 20h-Aushilfsjob
wird man oft nicht über Sozialhilfeniveau kommen.

denn plötzlich wäre ihm der Anreiz
für seine Mehrarbeit genommen und alle würden darunter leiden
weil ja weniger Geld zum Verteilen verfügbar wäre.

So ist es generell. Leistungsträger müssen auch so
entlohnt werden, das sie bereit sind ihre Leistung auch
zu erbringen. Deshalb ist ideologische Gleichmacherei
auch keine Lösung des Problems.

Ich denke, tragbar wäre ein Ansatz der Form „Die Zeit eines
Menschen sollte im Wert nicht mehr als einen Faktor X
voneinander abweichen“.
Für mich geht es darum welches X wäre geeignet, um erstens
eine klare sozial-orientierte Entlohnungsmethode
sicherzustellen und andererseits verschiedener Faktoren
(Qualifikation, Ausbildung, Leistungsbereitschaft) noch Güte
zu tragen?
Ich fand den Faktor 5 gar nicht so schlecht - aber: ist er zu
niedrig gegriffen? Oder schon eigentlich unverantwortlich
hoch?

Beides kann sein.
Steht eben auch wieder die Frage, was man als Basis definiert.

Es stellen sich aber auch ein andere Probleme.
Wir leben ja nicht in einem abgeschotteten Land wie die DDR.
Leistungsträger können also locker entschwinden, wenn sie
meinen im Ausland besser zu fahren. Man kommt also nicht
um die Marktmechanismen herum, wenn man wirklich gute Leute
haben will. Ein weltweiter Konsens über die von dir angedachten
Entlohnungsrichtlinien wird aber nicht erreichbar sein.

Außerdem gibt es dann immer noch die Schicht der Supereichen,
die es gar nicht nötig haben, für ihr Einkommen aus Vermögen
zu arbeiten.

  • Habt Ihr Erfahrungen mit einem derartigen Entlohnungsmodell?

Welches denn?

  • Kann es in der Praxis überhaupt funktionieren?

Kommt auf die Umstände an.
In meinem Umfeld (Betrieb) verdient auch der Geschäftsführer
sicher nicht mehr als ca. das 2…4 fache vom normalen
Angestellten (Sachbearbeiter).

  • Welche Faktoren wären wohl realistisch und praktikabel?

Praktikabel ist nur das, was die Firma am Leben erhält
bzw. gut florieren läßt.

Interessieren tut mich das auf zwei verschiedenen Ebenen:
Zum ersten, die unternehmerische. Würde ein Unternehmen so
etwas von sich aus anbieten: Würde es qualifizierte Kräfte
eher einladen oder abschrecken?

Man kann in aller Regel davon ausgehen, das hochqualifizierte
Leute wissen, was sie wert sind.
Dies gilt auch für Staat und Verwaltungen.
So soll die Bezahlung von Fachleuten in Brüssel, die
für die EU arbeiten überdurchschnittlich hoch sein.
Aber genau da braucht man eben auch keine mittelmäßigen
Beamten, sondern eben hochrangige Experten!
Echte Experten sind aber überall gefragt und man kann sie
nur haben, wenn man sie gut bezahlt.
Gruß Uwi

Ob es funktionieren kann?
Hallöchen,

Da wäre schon mal die Frage, was ein „sozialistisch orientiertes Gehaltsmodell“ sein soll?

Wie gesagt, von der Logik her die Idee, dass jeder Mensch einen Wert darstellt, und egal wie viel man leistet, es gewisse ethische Mindesteinschätzungen dieses Werts gibt, welche man durch ein wie-auch-immer-geartetes moralisches Gefüge so orientiert, dass die Schere nicht zu weit auseinandergeht zwischen „Wenigverdienern“ und „Vielverdienern“

Zum Erfolg eines Unternehmens oder einer Gesellschaft allgemein trägt in der Summe jeder bei (positiv oder negativ) und dies sollte auch umgekehrt in der Verteilung der Gehälter berücksichtigt sein.

Kurz, man stellt niemand ein, der nicht zum Unternehmen positiv beiträgt - aber jeder, der dies tut, muss so honoriert werden, dass für alle klar ersichtlich ist, dass er auch einen signifikanten Wert darstellt.

Wenn sich ein Manager €1,000,000 pro Monat in die Tasche schaufelt, während er in den Medien lauthals über den „üblen Kostenfaktor Mitarbeiter“ lamentiert, stellt sich halt die Frage, wer hier wirklich wie viel zur Wertschöpfung des Unternehmens beiträgt.

Sozialistisch wäre der Gedanke, dass der große Batzen des Kapitals (sprich, Gehalt) nicht in die Hände Weniger fließen soll, sondern in der Masse so ausgebreitet werden sollte, dass jeder entsprechend seines Beitrags zum Voranschreiten des Unternehmens beteiligt sein soll.

Niemand kann eigentlich ehrlich sagen, dass er 1000-mal so viel leistet wie Andere, deswegen sollte man auch sagen, dass ein tausendfaches Gehalt in unangemessener Relation zum Beitrag am Unternehmen steht.

Und hieraus halt die eingangs gestellte Frage: Wie viel-fach könnte die Leistung von Top-Leistungsträgern verglichen mit Weniger-Leistern (die aber dennoch tatsächlich das Unternehmen voranbringen, wohlgemerkt) realistisch bemessen werden?

Es geht nicht um die Frage, ob man Einkommen bei z.B. €5000 deckeln sollte, sondern eher um die Frage, „Wenn es €1.000.000 zu verteilen gibt - wie weit sollten der Beste und der Schlechteste voneinander entfernt liegen dürfen, so dass es noch angemessen ist“?
Halt unter der Prämisse, dass ein Unternehmen immer noch die Freiheit besitzt, Mitarbeitern, welche entgegen der Interessen des Unternehmens (sprich, zum Schaden ALLER) zu arbeiten - kündigt.

Jeder Angestellte darf nicht mehr als X-mal so viel verdienen wie ein Anderer.

Sofern man nur normale Angestellte vergleicht, ist das doch heute auch so in den meisten Betrieben.

Eigentlich gibt es in „den meisten Betrieben“ keine festen Regeln für sowas.
Aber in Konzernen, sogar in größeren mittelständischen Unternehmen, gibt es doch sehr starke Abweichungen.
So bekommt im Unternehmen X der Vorstandsvorsitzende €800.000 pro Jahr, während man IT-Fachkräfte mit mehrjähriger Berufserfahrung dort gerne für €35.000 pro Jahr anstellen möchte.
Oder im Unternehmen Y genehmigt sich der Vorstand €1.000.000 pro Monat, während er die Leute im Callcenter auf Minijobbasis beschäftigt.

Hier würde die Regelung „Keiner verdient pro Stunde mehr als 20-mal-soviel wie Andere“ entweder dazu führen, dass die Minijobber plötzlich überlebensträchtige Gehälter einfahren könnten oder alternativ, dass der Vorstand halt auch mal mit €20,000 pro Monat leben müßte.
Oder, in der Praxis eher irgendwo in der Mitte: die Minijobber würden in den steuerpflichtigen Bereich fallen und das Vorstandsmitglied könnte nur noch ein Haus pro Monat kaufen.

Und dann wieder der Gesamtschluss:
Wenn ein Unternehmen so eine Regel einführt, würde das bedeuten, dass jeder erwirtschaftete Euro (zu einem gewissen Anteil) direkt in die Tasche des Erwirtschafters fließt, da der Kuchen ja (wenn auch gewichtet) gleichmäßig verteilt werden muss.
Das beweist den Mitarbeitern, dass die Führungskräfte die Mitarbeiter nicht wie Sklaven für den eigenen Zugewinn schuften lassen und bei Nichtgefallen einfach wegwerfen.
Im Gegenzug erhält jeder Mitarbeiter eine solidarische Verantwortung gegenüber allen Kollegen, denn wenn er als „Nichtleister“ ein Kuchenstück abbeißt, ohne zurückzugeben, schadet er ALLEN.

Das Management könnte sich daraus erhoffen, dass die „Zielerfüllungsgespräche“ nicht hierarchisch erfolgen, sondern in Art einer 360-Grad-Analyse von Kollegen mitgetroffen werden, so dass die Hierarchie abflacht, da die Mitverantwortung untereinander dazu führen wird, dass die Kollegen miteinander halbwegs ehrlich umgehen.
Wie gesagt, wenn X das Unternehmen voranbringt, dient es auch Y - deswegen sollte Y ein Interesse haben, X positiv zu bewerten. Aber wenn X schadet, würde sich Y auch selbst schaden, wenn er dies nicht offenlegt.

So die Idee.

Gruß,
Michael