Hi.
Ich möchte die Frage aufwerfen, ob eine politische Theorie denkbar ist, die sowohl spirituelle wie sozialwissenschaftliche Aspekte einbezieht und beides auf einen Nenner zu bringen versucht. Zur Einführung ein Zitat aus den Confessiones von J. J. Rousseau, einem der Wegbereiter der modernen Demokratie.
Rousseau wanderte auf einer Landstraße und las dabei eine Preisfrage der Akademie Dijon („Hat der Fortschritt der Künste und Wissenschaften dazu beigetragen, die Sitten zu verderben oder zu reinigen“). Da geschah unerwartet Folgendes:
„Wenn es je eine plötzliche Eingebung gegeben hat, so ist es die Bewegung, die bei dieser Lektüre in mir vorgegangen ist: plötzlich fühle ich meinen Geist von tausend Lichtern geblendet, eine Menge lebendiger Gedanken drängen sich zu gleicher Zeit mit einer Kraft und Verwirrung, die mich in eine unsagbare Unruhe stürzt; mein Kopf wird von einem Schwindel ergriffen wie im Rausch, heftiges Herzklopfen bedrängt mich, mein Atem geht schwerer, und da ich im Gehen nicht mehr atmen kann, lasse ich mich unter einen der Chausseebäume sinken und dort verharre ich in einer solchen Erregung, daß ich beim Aufstehen meine ganze Weste vorne feucht von meinen Tränen sehe, ohne daß ich gemerkt hatte, welche zu vergießen.“
Rousseau hatte ein visionäres Erlebnis - vermutlich ein spontaner Eintritt in das Astrale - gehabt, das seine weiteren polit-publizistischen Aktivitäten beeinflußte und verstärkte.
Nach diesem thematischen Aufhänger also die Kernfrage: gibt es eine Kraft der politischen Vernunft im Menschen, die auch im Spirituellen gründet?
Ich behaupte ja. Nennen wir diese Vernunft einfach „Logos“ und nehmen wir mal an, sie wirke in zwei Richtungen: horizontal und vertikal.
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horizontal, d.h. auf der Ebene der sozialen Regeln innerhalb einer Gesellschaft. Hier ist die Freiheit des Einzelnen ein Grundrecht, das JEDEM Einzelnen zusteht. Dem Anderen Freiheit zuzugestehen, heißt ineins, selbst dieses Recht beanspruchen zu können. ´Gesellschaftsvertrag´ nannte das Rousseau. ETWAS Freiheit für Alle, statt VIEL Freiheit für Wenige. Das ist ein zweckrationaler Deal, der einem logischen Kalkül entspringt. Dieser Deal minimiert Ungerechtigkeit. Und er ist direkter Ausdruck des Logos, nachvollziehbar auch für unspirituelle Menschen.
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vertikal, d.h. als treibende Kraft der Bewußtseinserweiterung hin zu höheren Ebenen. Hier ist der Einzelne das Subjekt spirituellen Erkennens. Der Logos fungiert dabei als die treibende Kraft der Spiritualität. Das Ziel dieses Bemühens ist die spirituelle Freiheit des Einzelnen.
Der Logos hat also zwei Dimensionen: politische Freiheit und spirituelle Freiheit. Er ist EINE Kraft, die sich unter diesen zwei Aspekten manifestiert.
In beiden Dimensionen besteht die Gefahr der Entstellung der angestrebten Freiheit. Es gab und gibt spirituelle Lehren (Religionen), die den Einzelnen fesseln. Es gab und gibt politische Systeme, die den Einzelnen fesseln. Die Kraft des Logos wirkt diesen Entstellungen entgegen. Sie ist die evolutionäre Kraft im menschlichen Geist.
Ich will´s jetzt nicht komplizierter machen. Als Anregung für Pro und Contra mag das genügen.
Gruß