Spitznamen regional verschieden?

Liebe Dialektiker,

anlässlich der Spitznamen-Frage aus dem Nachbarbrett die Erinnerung, dass in meiner Jugendumgebung Spitznamen in großem Umfang ganz verschieden von den bürgerlichen Namen waren (ich hieß Käppi wegen meiner Vorliebe für seltsame Kopfbedeckungen; es gab den Krauser, abgeleitet vom Tabak, den Knipser, abgeleitet von einer komplizierten Geschichte, den Hebel, der nicht wollte, dass man die Ableitung seines Spitznamens wusste, den Hag ohne bekannte Ableitung des Namens, den Bambam, den Argl, den Bax, den Honda, den Bürgermeister, den Knauzen usw. usw.). Später, im südniedersächsischen Raum, kannte ich Spitznamen fast bloß als mehr oder weniger veränderte Vornamen.

Ich frage mich jetzt, ob es in diesem Zusammenhang so etwas wie ein Süd-Nord-Gefälle oder auch ein Land-Stadt-Gefälle gibt. Beides würde begünstigt dadurch, dass im ländlichen süddeutschen Raum Hofnamen (wie man jemanden nennt) und zivile Familiennamen (wie sich jemand schreibt) noch spät im XX. Jahrhundert verschieden waren: z.B. hieß einer vom Beckenbaurenhof „der Beckenbauer“, auch wenn er zivil z.B. als Josef Haas im Register stand.

Gibt es vergleichbare oder auch entgegengesetzte Beobachtungen und Erfahrungen?

Schöne Grüße

MM

Lieber Martin,

eine Systematik möchte ich nicht ableiten (das überlasse ich dann Dir) aus den in meiner Klasse vorhandenen Spitznamen (Uerdingen am linken Niederrhein - wenns denn hilft):

da war einer, der hieß Quex - wie der Hitlerjunge, weil er Anfang der 50er Jahre eine umgearbeitete Militärjacke trug

Einer war „Freelo“ - ob das mit seinem Vornamen Fritz was zu tun hatte, weiß ich nicht

Dann hatten wir Kicka und Peti - Christian und Peter.
Später wurde aus denen, weil ihr Nachname mit Mel… anfing, Schimmel und Pimmel

Ich war der Fisch, weil Freelo in einer Biologiestunde einmal fand, ein Fisch auf einer Wandkarte sehe so aus wie ich.

Aber das wars denn auch - vielleicht ist es doch der niederrheinische Mangel an Phantasie?

ruß - Rolf

Guten Morgen, Martin,

das ist ja mal wieder eine exquisite Frage.

Ihr müsst schon eine exquisiter Haufen gewesen sein!

Bei uns - Unterland, 2,5 Tausend Seelendorf am Neckar - waren Spitznamen, wenn es denn überhaupt welche gab, stets aus den Namen, meist Vor- seltener Nachname, gebildet.
Herbert => Hebbe, Winfried => Winnie; Joachim => Jaches.
An Spitznamen aus Nachnamen in meiner Klasse entsinne ich mich nicht.

Ich selber war nur der „Ruppricht“ oder „Rubrächt“, erst meine Brüder brachten es zu „Schrubber“, was aber auch aus dem Nachnamen abgeleitet war.

Mädchen hatte gar keine Spitznamen, bei denen wurden nur die Namen gekürzt. Anneliese => Lise, Rosemarie => Rose, Barbara => Bärbel, Renate => Rena.

Ich kann also keine Regelhaftigkeit, wie du sie erwartest, sehen.
Weder Nord-Süd- noch Stadt-Landgefälle.

Ich bin gespannt auf weitere Meldungen zum Thema.

Gruß Fritz

Hi!

Mir fallen auch nach längerem Nachdenken fast nur vom Vor- oder Nachnamen abgeleitete Spitznamen ein.
Eine klare Ausnahme ist ein Klassenkollege meines Vaters, der Dieter hieß, aber Poldi genannt wurde (wird?), seit mein Vater ihm irrtümlich zu Leopold zum Namenstag gratulierte. (In dem Fall halte ich den Spitznamen für einen echten Gewinn.)
Davon abgesehen wären da nur noch einzelne Spitznamen, die sich auf Äußerlichkeiten beziehen („Fatty“).

Allerdings ist in vielen Fällen die Herleitung vom Namen nur noch erkennbar, wenn man die Vorgeschichte kennt. An mangelnder Kreativiät scheint´s also nicht zu liegen.

Mir fällt übigens auch nach längerem Nachdenken kein Spitzname für ein weibliches Wesen ein, der sich hätte halten können.

alien

Hallo,
in meinem Innsbrucker Freundeskreis war und ist es durchaus üblich, den Leuten Spitznamen zu geben (und dann auch ausschließlich diese zu verwenden), die überhaupt nichts mit ihren tatsächlichen Namen zu tun haben, sondern auf bestimmte Eigenschaften oder auch Ereignisse anspielen. So kenne ich einen Murmel, einen Gläser (kein Brillenträger, so einfach ist die Sache nicht), einen Vinz (der nicht etwa Vinzenz oder so heißt), einen Langen, einen Sugar usw. usf. Aber auch außerhalb dieses Kreises kenne ich Leute unter den seltsamsten Namen, etwa Simbabwe oder Teletubbie. Allerdings beschränkt sich das fast ausschließlich auf Männer, Frauen bekommen nur selten solche Namen verpasst.
Ich selbst bin übrigens auch so ein Fall: ich habe bereits früh stark zu rauchen begonnen; dieses Herumqualmen kennt man hier auch als „buchln“. Ein Freund („der Don“) hat dann angefangen, mich „Buchl“ zu nennen, da war ich 16 oder 17. Das wurde mein Spitzname, und viele Leute, die ich danach kennenlernte, wussten lange nicht, wie ich wirklich heiße. Zwar habe ich vor vier Jahren (nachdem weit mehr als 20 Jahre gebuchlt habe) mit dem Rauchen aufgehört, der Name ist mir aber geblieben und ich bin bei den meisten meiner Bekannten immer noch „der Buchl“.
Grüße, Peter (oder Buchl, wie’s beliebt)

Kindheit bei Potsdam:
Da hatten wir - sozusagen als Prachtbeispiel - einen Gerd, der sogar zwei Spitznamen hatte, die sich nicht aus dem Namen ableiteten und deren Bedeutung ich nur erahnen kann: 1. „Jeckel“ (vielleicht von „jeck“, verrückt, die Jecken/Gecken beim Karneval?), 2. „Halla“ (???).

Dann fällt mir noch einer ein: Ralf hieß „Lachtaube“ - er hatte immer ein seltsam entrücktes Lächeln im Gesicht, ohne Grund und ohne dass einer wusste, warum.

Eine Kollegin hieß „Dicke“ - hat sich von der Figur abgeleitet und war nicht sehr nett aus heutiger Sicht.

Nun in Österreich habe ich eher nur „verhunzte“ Vor- und Nachnamen kennengelernt oder überhaupt ganze Umschreibungen wie „der kleine rothaarige Philosoph“ für meine ehemaligen Chef, der eben klein, rothaarig und als eine Art besserwisserische Vaterfigur sich den Spitznamen redlich verdient hatte.

Vielleicht sind die Leute im Süden nicht so kreativ in dieser Hinsicht …

Gruß, Dietmar

Lieber Dialektiker Martin,

lieber These oder Antithese?!

hier in Rheinland gibt es mehrere Formen:
Ableitungen der Vor- oder Zunamen; Zusammenziehungen, Abkürzungen, Dialektformen etc.
Ableitungen von bestimmten Eigenarten oder auch Unarten; bekannteste Beispiele sind wohl Speimanes und der Schutzmann Schnäutzerkowsky vom Hänneschentheater.
Ableitungen von körperlichen Eigenaren, wie z.B. Schmal (bei der Gruppe BAP), Schäl beim Hänneschen.

Das gab es vor ettlichen Jahrzehnten im städtischen Umfeld, in dem ich groß wurde, als auch gegenwärtig im dörfliche, wo ich gerade lebe.
Bei uns im Dorf gibt es auch eine Eigenart, die ich bisher nur hier mitgekriegt habe.
Da kriegen oder nehmen die Jungs (bei Mädchen hab ich so was noch nicht mitgekriegt) neue Vornamen an. Da wird aus einem Dieter ein Heinz, aus einem Marco ein Fritz, ganz ohne System.

Gandalf

Hallo alle,

ich glaube, dass Spitznamen eher Moden unterliegen (die dann aber sicher auch
wieder regional unterschiedlich sind).
Zu meines Bruders Zeiten (Jg. 42) war es in der Volksschule üblich, die
Nachnamen, mit denen die Schüler vom Lehrer benannt wurden, abzukürzen und mit
einem -o enden zu lassen. Daher wurde bei meinem Bruder der Böhler zum „Bohlo“,
und ich erbte diesen Namen dann, sobald ich im Gymnasium in die gleiche
Jugendgruppe eintrat. Ich habe dann der Unterscheidung wegen den „Bolo“ gepflegt
(er dagegen hieß nur in der Jugendgruppe so, in der Klasse wurde er „Fuzzy“
genannt Ich wurde dagegen durchgängig zum Bolo, sogar Lehrer nannten mich so,
denn es gab schon einen anderen Rudolf in der Klasse und auch einen Rudi). Ich
kann mich noch an jemanden aus seinem Dunstkreis erinnern, der Beyrle hieß und
nur „Beyo“ gerufen wurde. Allerdings waren in seiner Klasse auch drei Dieter, der
„Dieter“, der „Did“ und der „Didi“. Dagegen hießen von zwei Herrmanns aus der
Klasse einer „Theo“ und der andere „Hugo“
Ansonsten gab es bei uns auch ähnliche Erscheinungen. Ein Birkhold ward „Bize“
genannt, ein Mack „Mucki“, ein Störrle „Stare“. Schön war die Version, nachdem
ein Mitschüler mit den Initialen P. O. schlicht „Pe Null“ genannt wurde. Einer
namens Schumm war der „Musch“ oder „Muschi“. Allerdings hatten auch unsere
Mädchen Spitznamen: Die Bettina hieß „Setti“ (weil ihre größere Schwester anfangs
sie so nannte, statt „Schwesti“), bei einer Irmgard wurde aus Irmi „Omi“, eine
Mitschülerin wurde „Vacca“ gerufen, weil sie erst während des ersten
Gymansialjahrs zu uns kam, vom Direx vorgestellt wurde und einer sagte: Die sieht
ja aus wie ein Mondkalb. In unserem Latinisierungseifer wurde daraus „Vacca
Lunae“, was natürlich auf die Dauer zu lang war. Die Regina war die Tochter vom
Direx und wurde folgerichtig nur „Rex“ gerufen (die Rex natürlich). Und aus der
Marlies, die leider schon tot ist, wurde die Marie (Betonung vorne auf langem a).
Und einer hatte ewig lange keinen Spitznamen. Dann haben wir einen konstruiert,
weil wir fanden, das ginge nicht. Er hieß Wolfgang Mayer, also nahmen wir die
ersten Buchstaben beider Namensteile, WoMa, und machten einen Womatz draus. Weil
wir uns aber ewig nicht einigen konnten, ob man das mit oder ohne t schreiben
solle, kultivierte er (bis heute) einen „Woma(t)z“. Und ein Reinhard hieß
„Richard“, weil ein Lehrer ihn unbeirrbar Richard nannte. Und als er es auf
unsere ständigen Zurufe endlich gelernt hatte, verwirrte ihn der Betroffene
genauso konsequent immer mit der Korrekttur, er heiße Richard. Dabei blieb es
dann.
Viele Lehrer hießen bei uns übrigens so wie ihre Kürzel im Tagebuch: Wabla
(Wagenblast), KG (Kallenberg), WaWa (Walter Wagner), Bu-Frau (Frau Dr. Bühler),
Bu-Mann (Herr Dr. Bühler).

Spitze Grüße
Bolo2l

Hallo MM
Hier in Berlin wird’s -was Spitznahmen betrifft- nicht viel andes sein als in Süddeutschland, nehm ich mal an.
Wenn ich so zurückdenke, dann fällt mir auf, dass in meiner Schulzeit eigentlich nur Einige über Spitznahmen verfügten, und auch nur Jungen.
Mädchen hatten ganz selten Spitznamen.
Von den Jungen eigentlich auch nur die, die ein bißchen aus der Masse hervor lugten. :wink:
Einer meiner Freunde (bis heute) hatte viele Spitznamen:
Savanne (er war jahrelang in Afrika mit seinen Eltern), Kruke, Oddjob, Charley, Joey.
Ich hatte ein oder zwei. Die meisten aber wohl gar keine.
Gruß,
Branden

Servus,

ich häng mich mal als pars pro totis an mich selber dran.

Schönen Dank fürs Mitsuchen - die Anzahl der verschiedenen Gegenden ist sicher nicht repräsentativ, aber ich denke, man kann daran schon sehen, dass es wohl keine regional ausgeprägten Tendenzen gibt.

Es geht demnach wohl eher um biographische als um topographische Orte: In den „wunderbaren Jahren“ mag auch Sprache und Namengebung ein wenig mehr Wunderbares und Wunderliches enthalten als später…

Schöne Grüße

MM