Sprache, Kultur, Aggression

hallo!
Ich habe mal von einem suedamerikanischen (??) Stamm gehoert, der keinen Wortschatz bezueglich „Kriminalitaet“ hat (z.B. Diebstahl, Mord etc., etc.), weil, kaum zu glauben, es dort nicht existiert! Die Frage ist: gibt es keine Sprache, weil es die Phaenomene nicht gibt, oder gibt es keine Vorfaelle, weil es nicht in den Kopf von Leuten kommt, als Wort oder Bild? Offensichtlich wurde ja vielfach demonstriert, dass freiere Gewaltdarstellung (z.B. TV, aber auch ein laxer Umgang mit aggressiven Worten im Alltagsgebrauch) die Bereitschaft fuer Aggression steigert, bzw. die Toleranz fuer dickes Fell erhoeht…
Wuerde eine Entschlackung der Sprache allein Menschen evtl. bereits friedlicher machen koennen??
Wer weiss mehr darueber?
Danke fuer Ideen und Kommentare, Sepp

Ich denke, das dieser Stamm dieses Wort nicht gebraucht, weil es dazu keine Notwendigkeit besteht, sprich ihre Gesellschaft frei von Mord, Agression etc. ist.
Ich denke, schon das es auch in diesem Stamm zum Teil agressive Auseinadersetzungen gibt, entweder sind diese aber nicht so negativ, das sie extra negativ bewertet werden müssen oder sie werden als Facette einer Unterhaltung empfunden.

Würden wir unsere Sprache reduzieren indem wir einige Wöter entfernen, denke ich nicht, das wir damit Erfolg hätten. Ich denke, wenn man das eine Wort nicht mehr benutzen darf, sucht man sich eben neue Bezeichnungen. Ähnlich wie es Jugendliche tun, um sich von der Erwachsenenwelt abzugrenzen.

Leider habe ich von diesem Stamm noch nichts gehört. Ich könnte mir aber vorstellen, daß es dort aufgrund einer Kultur friedlichen Zusammenlebens tatsächlich keine Diebstähle oder Morde u.ä. gibt, da das Eigentum und Leben geachtet wird. Sontige gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Einzelnen könnten jedoch als Stammesrituale oder Kämpfe um die Rangordnung zum Alltag in einem solchen Stamm gehören, also gar nicht als „falsch“ angesehen werden. Ebenso kann es sein, daß es Stämme gibt, in denen oben in der Rangordnung stehende Stammesmitglieder sich alles erlauben dürfen. Da die Untergebenen dieses akzektieren müssen und auch werden, braucht man keine Bezeichnung wie Diebstahl, da man es eh nicht als verboten einstufen würde. In vielen Stammeskulturen gibt es eine klare Hierarchie. Vorgänge, die wir hier vielleicht als kriminell einstufen würden, haben dort jedoch auch oft historische und religiöse Hintergründe. Kleinere Stämme können sich gar nicht erlauben, sich untereinander zu schikanieren, da der familiäre Zusammenhalt ihr Überleben sichert. Gewalt wird dort höchstens als Mittel zum Schutz des Stammes durch Einflüsse von außen genutzt.
Würde gerne mehr über diesen Stamm wissen.

In unserer Kultur entstehen meiner Ansicht nach zuerst die Formen der Kriminalität, denen wir dann Namen geben um darüber zu sprechen oder sie einordnen zu können. Niemand begeht einen Tageswohnungseinbruch, nur weil er dieses Wort gehört hat. Eine bloße Abschaffung der Begrifflichkeiten würde wohl keine Lösung bringen.
Anders sieht es bei der Art der Darstellung der Kriminalität in den Medien aus. Wird nur gezeigt, wie einfach Täter bei Eigentumsdelikten erfolgreich waren und wie selten man solche Täter dingfest macht, könnten hier schnell Nachahmer zu finden sein. Genauso ist es für kriminelle sehr hilfreich, wenn im Internet oder TV haarklein die Zutaten für Verbrechen oder Vergehen dargestellt werden. Mit solch genauen Infos sollten sich Medienanstalten zurückhalten. Aber die Quote…

Hi Sepp!

Dazu fällt mir folgendes ein:

Mein Lehrer für Sprache(n) in Gymnasium pflegte zu erzählen, daß es ein Stamm in Afrika gibt (an der Wüste?), die keine Bezeichnung für Schnee haben, denn sie kennen den Schnee gar nicht. Dagegen ein Stamm am Nordpol hat fünf verschiedene Wörter für dieses Element, weil es bei denen ja so allgegenwärtig ist. Diese Eskimos verfügen dagegen über kein Wort für Sand. Aus ebensolchen Grund.

Nur meine Gedanken dazu!

Einen schönen Gruß noch!
Helena

Ich habe mal von einem suedamerikanischen (??) Stamm gehoert,
der keinen Wortschatz bezueglich „Kriminalitaet“ hat (z.B.
Diebstahl, Mord etc., etc.), weil, kaum zu glauben, es dort
nicht existiert!

Hallo Sepp,

sehr interessante Frage, aber die Hauptfrage, die sich mit stellt ist: woher hast du die Informationen? Ein Bericht über einen Menschen oder eine fremde Kultur ist meist sehr abhängig von der Person, die darüber berichtet.

Claude-Levi Strauss (ein französischer Soziologe/Ethnologe) versuchte zu beweisen, dass Kultur durch unsere Denkweise, die sich in der Sprache und den Sprachgebrauch wiederspiegelt, in unseren Köpfen geschaffen wird. Dementsprechend analysierte er Sprache, um dem Wesenskernen von Kulturen auf den Grund zu gehen und ihre universelle Verstrickung deutlich zu machen. Ihm nachfolgende Philosophen und Kulturwissenschaftler begannen daraufhin die Idee von Kultur ALS eine Sprache weiter zu entwickeln (z.B. Roland Bartes, Clifford Geertz, Umberto Ecco). Dass heißt, Kultur ist unentrinnbar mit Sprache verbunden, wird durch sie weitergegeben, angenommen, angepasst, verändert und neu erfunden, genauso, wie Kultur auf die Sprache einwirkt - Kultur lässt sich mit diesem Gedankenansatz nicht mehr von gesprochener Sprache unterscheiden. Es stellt sich also nicht mehr die Huhn-oder-Ei Frage.
In Bezug auf die Ethnie (Stamm) von der du sprachst, kann man mit Sicherheit sagen (nachdem sie mit der westlichen Kultur konfrontiert wurden), dass sie nun in Erfahrung gebracht haben werden, was wir unter dem Begriff „Kriminalität“ verstehen.
Das Problem ist natürlich, dass es sehr schwer ist, unterschiedliche Rechtssysteme miteinander zu vergleichen, die von anderen Ansichten über den Menschen, die Ursachen (Motive) für Vergehen und die Bestrafung/Behandlung dieser Vergehen geprägt sind. Wie Peter schon schrieb, kann ein Mord aus Rache hier eine Bestrafung als Mord aus niederen Beweggründen nach sich ziehen, dort wird er vielleicht mit dem Recht(!) der Blutrache legitimiert.
Aber der Meinung, dass es „dort“ keine Kriminalität gibt (also den Verstoß gegen überliefertes Recht) ist mit Vorsicht zu begegnen. Diese Auffassung fällt noch in die Zeiten der Idealisierung von sogenannten „Ureinwohnern“ zu einer Gemeinschaft, die in Frieden und im Ausgleich mit sich und der Natur lebt und unter dem Begriff Exotismus oder Exotik-Wahn bekannt wurde (und der sich nebenbei gerade wieder sehr gut verkaufen lässt, wenn man extrahierte Lactose Bakterien aus der Brustwarze einer schwangeren Frau am Macho Pichu im Joghurt vermarkten will).
Das Beispiel, dass Kulturen doch so unterschiedlich sind, dass es hier keinen Namen für dies und dort dafür 50 Namen für jenes gibt, zeigt meiner Meinung nicht die Unterschiedlichkeit von Kulturen, sondern ihre Gemeinsamkeit: die extreme Anpassungsfähigkeit. Wenn es keinen Namen für etwas gibt, heißt das nicht, dass kein Verständnis für das Phänomen existiert. (Ein schönes Beispiel dafür ist Douglas Adams humoristisches „Der Sinn des Labenz“, in welchem er jedermann vertrauten Situationen, für die es keine Begriffe gibt, Ortsnamen zuordnet).

Die Frage ist: gibt es keine Sprache, weil es
die Phaenomene nicht gibt, oder gibt es keine Vorfaelle, weil
es nicht in den Kopf von Leuten kommt, als Wort oder Bild?

Sicher kann man mit gezielter Verwendung von Begriffen das Denken verändern (kurz: Propaganda. Ein schönes literarisches Beispiel ist G. Orwells „1984“, oder die Erfindung der Begriffe „Kollateralschaden“ oder „Wirtschaftsstandort“). Aber eine ?Entschlackung der Sprache" ist deshalb kaum möglich, weil gesprochene Sprache sich laufend mit der Erfahrung der Menschen verändert und vermischt, und es - zum Glück - bisher nicht gelungen ist, Sprache in totalitärer Weise zu steuern. Gesprochene Sprache folgt ja nicht dem Duden, sie sucht sich ihre Schlupfwinkel um die Erfahrung, die ich gemacht habe, dir vermitteln zu können.

„Gesellschaften bergen wie Menschenleben ihre eigene Interpretation in sich; man muss nur lernen, den Zugang zu ihnen zu gewinnen“ (C. Geertz).

So, ich hoffe das war nicht zu oberflächlich oder zu theoretisch.
Grüße,
Phil

So, ich hoffe das war nicht zu oberflächlich oder zu
theoretisch.
Grüße,
Phil

Nee: cool war das - echt interessante Anregungen und Meinungen!!
Ich glaube, um ehrlich zu sein, die urspruengliche Info kam aus einem „Selbsthilfe-buch“ - in dem ueber die Kraft von positiver Sprache usw. die Rede war. Ist also wohl tatsaechlich mit sehr viel Vorsicht zu geniessen. Mal, sehen, vielleicht finde ich noch mehr Details heras, sage ich dann durch.
Besten Dank aber nochmals, und einen schoenen Tag, Sepp

korrektur

aus einem „Selbsthilfe-buch“ - in dem ueber die Kraft von
positiver Sprache usw. die Rede war. Ist also wohl

Deutsche Sprack: „in dem VON der Kraft…“ - habe nun wohl doch schon zu lange im Ausland gewohnt… (kommt mir bloss nicht mit Rechtschreib-rephorm usw., das kam nach meiner Zeit!!)
:wink:) Sepp