Städtetripp nach Lissabon

Ich fliege Anfang Oktober mit meiner Frau für 3 Tage nach Lissabon. Ich suche nach allgemeinen Reisetipps und insbesondere nach Tipps für Essen & Trinken sowie für Fado.
Vielen Dank schon jetzt für Eure / Ihre Antworten.

Servus,

erwarte nicht zu viel vom Lissaboner Neuschwanstein Sintra - es geht um steingewordene Phantasmen eines Romantikers. Auch das Castelo dos Mouros in Sintra ist Disneyland, es hat in dieser Form in der arabischen Epoche nie existiert. Viel schöner ist die andere Vorort-Linie nach Cascais, dem eigentlichen „Tor zum Atlantik“ von Lissabon. Zwar wenig wahrscheinlich, aber auch nicht völlig ausgeschlossen, dass das Wasser am dortigen Strand Anfang Oktober noch 19 - 20 ° Schwimmtemperatur hat. Dann allerdings selbständig auf die veröffentlichten Gezeitendaten achten und (wie überhaupt nirgends und nie am Atlantik) nicht bei ablaufendem Wasser reingehen.

Nutze den Electrico 28E, um in die Viertel Alfama und vor allem Graça zu kommen. Bis Graça oben kommen die eilig von irgendwelchen Kreuzfahrtschiffen ausgekotzten Massen gar nicht hin, weil sie schnellschnell ihr Dutzend Selfies an anderen Plätzen abhaken müssen.

„Authentischen“ Fado gibt es angesichts des Overtourism in Lissabon praktisch nicht mehr - um eine Idee davon zu bekommen, kannst Du eigentlich in jede Pinte am südlichen Abhang der Alfama gehen, die was von Fado aushängt - grob zwischen der Rua dos Corvos und der Rua Jardim do Tabaco.

Ein bissele weiter oben, bereits Richtung Graça, die Taberna dos Clérigos, in der die portugiesische Sitte, dass man beim Essen die Vorspeise ungefragt angeboten (bzw. gleich hingestellt), nachher aber berechnet kriegt - es ist kein „Gruß aus der Küche“! -, noch nicht zum Nepp für Touris im Sinn von „drei Garnelen für 57 Euro“ degeneriert ist. Wir sind zufällig über diese Adresse gestolpert, weil wir in der Nähe wohnten, aber ich traue mich mal, das als Tipp weiterzugeben.

Wegen „gutbürgerlicher“ Fisch- und Meeresfrüchteküche ‚A Mourisca‘, Travessa das Mónicas 28. Kostet einen Schnaps mehr, ist aber immer noch recht entspannt, der Schwerpunkt liegt auf der Küche und nicht auf den Verbeugungen usw.

Der Betrieb in der (trotzdem noch besuchens- und sehenswerten) klassischen kommunalen Markthalle Mercado da Ribeira wird weniger, sie ist daher um die Hälfte verkleinert worden. In der anderen Hälfte haben praktisch alle Restaurants, die in Lissabon Rang und Namen haben, eine Dependance, die dort im Sinn einer Brasserie oder eines Imbissbetriebs geführt wird: Für meinen Geschmack ein bissele zu sehr Bon chic - bon genre, aber immerhin eine Möglichkeit, in einer eher hemdsärmeligen Atmosphäre die Küche der „Chefs“ von Lissabon an einem Ort versammelt zu haben.

Generell: Keine Angst vor dem Besuch der „Sehenswürdigkeiten“, die in jedem Führer stehen. Portugiesische Baukunst und Kunst generell der frühen Neuzeit hat eine einzigartige Feinheit, und was mich am meisten berührt hat: Die Personen (Heilige oder nicht), die auf italienischen Werken dieser Zeit dargestellt sind, zeigen keinerlei Emotionen, Pokerface ist angesagt. Die in Spanien fast immer den selben hohlen, eitlen Stolz. Die Heiligen in Portugal dagegen können lächeln!

Zum Appetit machen hier ein Hippie-Benediktiner aus Coimbra und eine Pietà aus Belém, bei deren Anblick ich Rotz und Wasser geheult habe - es gibt nicht so sehr viele Darstellungen des Themas, die ganz einfach eine Mutter zeigen, der sie ihren Buben totgefoltert haben.

  • Dass ich die Dauer von 3 Tagen für keine gute Idee halte, hab ich glaub ich noch nicht gesagt. Drei Wochen passen zu dieser Stadt besser, finde ich.

Schöne Grüße

MM

  • ah ja, noch was zum Thema Fado: Wie beim Flamenco in Spanien kann man Fado nicht vor etwa 22:30 - 23 h hören. Was vorher dargeboten wird, ist fast ausschließlich Nepp.

Von daher überlegenswert, ob in den drei Tagen überhaupt Fado Platz hat - weil der Tag danach für Leute mit mitteleuropäischem Tagesrhythmus doch eher recht sutje angehen muss…

Schöne Grüße

MM

  • und nochwas zum Thema Feinheit in der Emanuelinik: Wie man (auch erfolglose) Könige würdig beerdigt, nämlich ohne das ganze gestelzte spanische Affentheater, kann man in Batalha sehen - wo Ihr innerhalb der kurzen Zeit so wenig hinkommen werdet wie nach Tomar, von wo aus immerhin etwa hundert Jahre lang die Welt regiert wurde.

Das Grabmal für einen König mit Emotionen jedenfalls hier:

Viel Freude mit den feinen portugiesischen Geistern und Seelen wünscht

MM

WOW, vielen lieben Dank für die tollen Anregungen

:smile:

Sintra ist aber schon toll, auch wenn es dazu offenbar einige wenige andere Ansichten gibt!