Hallo wachercallit,
selbstverständlich gibt es ein System. Sonst müßtest Du jahrelang herumfahren, bevor Du Taxifahrer wirst - der Taxischein erfordert eine sog. Ortskenntnisprüfung. Dafür mußt Du lernen.
Ich bin während meines Studiums 3,5 Jahre in Frankfurt gefahren. Dafür habe ich einmal meine Semesterferien geopfert: 6 Wochen jeden Tag lernen, 8 Stunden am Tag. Wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, waren das für Frankfurt damals:
Alle Friedhöfe
Alle Krankenhäuser
Alle Ämter
Alle Museen und Sehenswürdigkeiten
Alle ausländischen Konsulate
240 Straßen (fängt an bei… hört auf bei…)
50 Zielfahrten (Du bist bei A, mußt nach B, nenne den genauen Weg mit allen Straßennamen, an denen Du entlangfährst).
Wenn Du das geschafft hast, kennst Du Dich in Frankfurt aus. Es ist nämlich so, daß die og. Reihenfolge Dich in die Stadt einführt: Friedhöfe und KH zeigen Dir die Stadtteile, die Ämter gehen genauer in die Innenstadt, die Museen und Konsulate zeigen Dir das, wohin Du wohl häufiger hinfahren wirst, die Straßen sind so ausgewählt, daß Du aus dem groben Raster ein feinfaschiges Netz wird, und die Zielfahrten geben Dir einen guten Einblick in das Verkehrssystem der Stadt - Einbahnstraßen, Hauptverkehrsstraßen, usw.
Um das alles zu lernen, nimmst Du am besten Karteikarten und Deine Freundin/Freund/Kumpel zum Ausfragen (heute geht das wohl besser mit dem Computer). Dann fängst Du an, jede Kategorie für sich, nimmst etwa 10 Karteikarten und lernst sie auswendig. Beim Abfragen sollte Dein Partner darauf achten, welche Karten lernresistent sind (das gibt es: manche Teile lernst Du, manche wollen nicht). Die sollten nach zwei, drei anderen Karten nochmal abgefragt werden; durch die häufigere Abfrage prägen sie sich doch. Wenn Du 10 kannst, nimmst Du 10 weitere, bei der Abfrage werden alle 20 wild gemischt abgefragt - so lernst Du dazu. Nützlich ist auch, Eselsbrücken zu bauen, manche meinen, das sei das Allerwichtigste: Nach etwa 10 Jahren habe ich selbstverständlich das meiste wieder vergessen. Einige Eselsbrücken waren aber offenbar so gut, daß ich sie bis heute behalten habe (spontan: die Ziegenhainer Str. geht von der Kirchhainer Str. bis zur Rauschenberger Str.; ich hatte mir sowas gemerkt wie „die Ziege rauscht den Berg an der Kirche hinunter“ oder so). Jeder hat seine eigenen Eselsbrücken, es gibt eine Anekdote von Charles Bukowski, der seine Erfahrungen als Briefträger im „Mann mit der Ledertasche“ beschreibt, er mußte Straßenkreuzungen zu Bezirken zuordnen uns stellte sie sich als Paare, die besonders versaute Stellungen -die Bezirksnummern- einnahmen, weil das seiner Phantasie am ehesten entsprach - jedem das seine .
Und jetzt kommt das Wichtigste: Nachdem Du all das gelernt hast und Deine Ortskenntnisprüfung bestanden hast (abgefragt wurden 15 Straßen, 5 Zielfahrten und einige Ämter oder Museen, genau weiß ich das nicht mehr), nachdem Du Dich mit der BOKraft auseinandergesetzt hast und Deine Funkprüfung abgelegt hast, dann darfst Du Taxifahren - und alles von neuem lernen. Denn hier hat Katja Recht: erst durch das körperliche Erfassen all dessen bist Du wirklich in der Lage, fehlerfrei zu fahren. Dann mußt Du auch die nicht weniger wichtigen Dinge lernen: Kneipen, gewisse Etablissements, wer wo zu welcher Stunde verkehrt,…
Dann kennst Du die Stadt. Und dann mußt Du die Leute kennenlernen: als Taxifahrer bist Du nämlich Zuhörer, Unterhalter, Seelsorger, …
Ich habe jedenfalls damals versucht, meine Erlebnisse niederzuschreiben, später habe ich meine Fahrgäste fotografiert, denn ich dachte, was ich so erzähle glaubt mir keiner!
War eine tolle Zeit. Bin froh, daß sie vorbei ist!
Gruß
J.